Arbeit und Bildung

Einig im Kampf gegen Rentenkürzungen

Normalerweise prallen sie als Gegner aufeinander. Doch für einmal sind sie sich in entscheidenden Punkten einig: Gewerkschaften und Arbeitgeber üben harte Kritik am Vorgehen der Versicherungen "Winterthur" und "Zürich" und an der Aufsicht des Bundes. Damit wird die Front gegen Rentenkürzungen im überobligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge immer breiter.

Die schlagkräftige Opposition wird von den Versicherern ernst genommen. Selbst der oberste Verantwortliche der Credit Suisse Group, zu der die "Winterthur" gehört, hat sich eingeschaltet: VR-Präsident Walter B. Kielholz telefonierte letzte Woche mit dem Unternehmer, Initiator und Präsident der "Schutzgemeinschaft für KMU", Otto Ineichen. "Kielholz sicherte mir zu, dass man uns Einblick in alle Akten geben wird", sagt Ineichen. "Unser Hauptziel ist, dass die Versicherer zum Status quo zurückkehren." Dafür will die Schutzgemeinschaft als Erstes bei der Eidgenössischen Rekurskommission einen Aufschub der Beschwerdefrist erwirken, um die Akten des Versicherers sichten zu können.Damit gerät der Bundesrat als Aufsichtsorgan unter Druck. Am 4. September kommt es in der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit zum Showdown. Dann müssen die Vertreter aus dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) und dem Bundesamt für Privatversicherungen (BPV) Kommissionspräsident Toni Bortoluzzi, der zugleich Vizepräsident der Schutzgemeinschaft KMU ist, Red und Antwort stehen. Auch Christine Egerszegi, Präsidentin der Subkommission BVG, und Rudolf Rechsteiner werden kritische Fragen stellen; beide sind ebenfalls Gründungsmitglieder der Schutzgemeinschaft.


Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), und Colette Nova, Sozialversicherungs-Expertin des SGB, fordern den Bundesrat zudem in einem Brief auf, "die Genehmigung des Modells der Winterthur rückgängig zu machen". Bis jetzt verweigerten die zuständigen Bundesräte Kaspar Villiger, zu dessen Finanzdepartement das BPV seit 1. Juli 2003 gehört, und Pascal Couchepin, Chef des Departement des Inneren und damit des BSV, jede Stellungnahme.


Wichtige Forderungen der Gewerkschaften decken sich nicht nur mit jenen der Schutzgemeinschaft. Sie erhalten auch vom Arbeitgeberverband Rückendeckung.

Hier herrscht übereinstimmung

- übergangsfristen: Die Reduktion von heute 7,2 Prozent auf 5,84 Prozent für Männer und auf 5,45 Prozent für Frauen im überobligatorischen Teil bewirkt bei diesem Rententeil Kürzungen um 19 bzw. 24 Prozent und das innert sechs Monaten. "Eine Senkung des Umwandlungssatzes ist wegen der höheren Lebenserwartung unumgänglich", sagt Peter Hasler, Direktor des Arbeitgeberverbandes, "doch der Satz sollte nicht schockartig, sondern stufenweise reduziert werden." Und SGB-Expertin Nova: "übergangsfristen sind das Mindeste, was es braucht."


- Transparenz. "Die Winterthur hat mit ihrem Modell die Transparenzbestimmungen der BVG-Revision unterlaufen", kritisiert Nova und fordert: "Der Bundesrat muss die Bestimmungen vorzeitig in Kraft setzen." Und Arbeitgebervertreter Halser meint diplomatisch: "Die Versicherungen müssen ihren Kunden glaubhaft zeigen, dass das neue Versicherungsmodell nötig ist."


- Keine Sanierung auf dem Buckel der Versicherten. Hasler: "Den Versicherten muss die Gewissheit gegeben werden, dass sie nicht für die missglückten Geschäfte aus der Vergangenheit mitbezahlen müssen." Gewerkschafts-Lobbyistin Nova sagt deutlich: "Die Senkung des Umwandlungssatzes ist ein Sanierungsbeitrag an die Versicherungen. Das geht nicht."


- Zusammenlegung der Aufsicht. Heute schieben sich BSV und BPV die Verantwortung gern gegenseitig zu für Fehler bei der Aufsicht über das Versicherungsgebahren im Vorsorgegeschäft. "Wir sind nicht glücklich über die Aufteilung der Aufsicht auf zwei ämter", sagt Hasler. "Mit der Beschwerde geht die Frage an den Bundesrat: Hat eure Aufsicht richtig funktioniert?" Und für die Gewerkschaften spricht Nova: "Die heutige Aufsicht vertritt einseitig die Interessen der Versicherer. Wer vertritt die Interessen der Versicherten?"
Fragwürdiger Beschwerdeweg

Ein Dorn im Auge bei der Organisation der Aufsicht ist Arbeitgeberdirektor Hasler auch der Beschwerdeweg: "Heute müssen die gleichen Beamten die Beschwerde an den Bundesrat schreiben, die den Entscheid getroffen haben, gegen den Beschwerde geführt wird." Diese Beschwerde erhält aber nicht nur dadurch Nachdruck, dass laut Ineichen nach dem Textilverband auch andere gewichtige Verbände und Unternehmen diskutieren, eine Beschwerde einzureichen.


Die "Schutzgemeinschaft KMU" wird mit ihrem Anliegen auch von einem Bundesgerichtsurteil gestützt, das 1988 im Falle einer Fusion zwischen zwei autonomen Pensionskassen den Versicherten eine übergangsfrist von fünf Jahren einräumte, bis für alle die schlechteren Bedingungen zum Tragen kämen. Der Bundesrichter berief sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben: Nach Auffassung von Martin Hubatka, Mitinitiator der Schutzgemeinschaft, stellt sich auch beim neuen Rentenumwandlungssatz der "Winterthur"-Versicherung die Frage nach Rechtssicherheit: "Die Renten müssen berechenbar bleiben."

 

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Swissinfo
Publikationsdatum 29.07.2003
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