Frauengeschichte

Im Fitness-Studio

Damit wir das vorneweg mal klarstellen: ich heiße Luise, bin 58 Jahre alt und wiege 93 Kilo. Vor zwei Jahren meldete ich mich bei einem Fitness-Studio an. Damals wog ich 87 Kilo. Heute, nach zwei Jahren Strampeln und Stemmen, sind es also 93. Die neu hinzugekommenen sechs Kilo sind natürlich alles Muskeln.
"Ist doch klar, alles Muskeln", bestätigt meine unerschütterlich liebevolle Lebensgefährtin, "Muskeln wiegen ja viel mehr als Fett, ist ja allgemein bekannt." Seit zwei Jahren habe ich demnach jedes Jahr drei Kilo Muskeln zugelegt? Aber vor diesen zwei Jahren waren es auch pro Jahr drei Kilo mehr, ohne Training. Eben deshalb beschloß ich ja, "etwas für mich zu tun", wie die Schinderei üblicherweise genannt wird.


Naja. Schon lange wollte ich eine Glosse über mein Fitness-Studio schreiben, aber irgendwie inspirierte es mich nicht so recht. Komisch ist es eigentlich nicht besonders. Wir Frauen gehen dorthin, um zu arbeiten, und was ist an Arbeit schon erheiternd. Tragisch ist diese Arbeit vielmehr - eine echte Sisyphusarbeit. Was wir am Tag mühsam erstemmt haben, einen winzigen Gewichtsverlust vielleicht, futtern wir uns nachts wieder an. Ich jedenfalls tue das regelmäßig, beim Fernsehen in meinem Ikea-Liegesessel. Das Fernsehen beschäftigt meinen Geist nicht genug. Statt dem Kommissar bei seinen langweiligen Ermittlungen zu folgen, male ich mir aus, was im Kühlschrank noch Leckeres hinterlegt ist. Lesen ist absorbierender - beim Lesen fällt mir nur selten das Essen ein.


Mein Fitness-Studio ist ein reines Frauenstudio, sonst wäre ich auch nicht Mitfrau geworden. Besitzer ist allerdings ein Mann, der mit Nachnamen passenderweise Strempel heißt. "Der Olle stört doch nicht (er heißt Ole)", sagt meine feministische Bekannte Lisa dazu, die ich manchmal im Fitness-Studio treffe. Sie ist Amerikanerin und großzügig, wie dies Volk nun mal ist. Allerdings arbeitet sie ja auch nicht im Fitness-Studio, sondern geht nur in die Sauna. Ihr geht es mehr um Well- als um Fitness. Aber um die Vorteile des Clubs nutzen zu können, der erschwinglich und vor allem gleich um die Ecke ist, habe ich mir ihre Ansicht zu eigen gemacht. Nein, der Olle stört eigentlich nicht. In den ersten achtzehn Monaten meiner Mitgliedschaft fühlte ich mich in meinem Fitness-Studio als Außenseiterin. Ich begegnete dort eigentlich nur jungen Frauen zwischen achtzehn und dreißig, schätze ich mal, alle rank und schlank und durchtrainiert. Niemals lächelten sie mitleidig über mich. Sie lächelten einfach überhaupt nicht - was gibt es bei der Arbeit auch schon zu lächeln. Sie redeten weder miteinander noch mit mir. Dabei ist unser Fitness-Studio ein Club; wir werden von den Trainerinnen alle herzlich mit Du angeredet und dazu angehalten, auch die anderen Mitfrauen zu duzen. Weil den meisten das ungewohnt ist, reden wir halt überhaupt nicht miteinander. Jede geht schweigend und konzentriert ihrer Arbeit nach. Das fängt an mit dem Ausdauertraining. Ich besteige mein LifeFitness-Fahrrad und strampele 35 Minuten vor mich hin. Gegenüber arbeiten die jungen Frauen an ihren Stepgeräten, auf und nieder, auf und nieder. Dazu lesen sie in mitgebrachten Taschenbüchern oder ausgelegten Frauen-Zeitschriften Marke Cosmo - die Emma ist nicht darunter, nicht einmal der Spiegel oder der Stern, die ich doch bei meiner Zahnärztin hin und wieder einsehen kann. Am Ende der übung, während welcher ich mindestens einen halben Liter Wasser getrunken habe, steige ich völlig verschwitzt vom Rad und stakse auf die Insel der Dehnübungen zu. Vorher habe ich mit meinem Handtuch sorgfältig den Schweiß von dem Gefährt gewischt.

Im Nebenraum tobt derweil eine Aerobic-Gruppe, ich kann mir das durch ein Fenster ansehen. Die Trainerin macht ihre ausgeklügelten Stepvarianten und Armschwünge vor, die jungen Frauen folgen ihrem Kommando lammfromm. Ich mag nicht lange hinsehen, es kommt mir indiskret vor, den Frauen bei ihren schweißtreibenden Verrichtungen zuzuschauen. Mag ich ja auch nicht die Vorstellung, daß ich beobachtet werde, wie ich nun auf mein Handtuch plumpse, den Po an eine vierkantige Säule rücke und meine Beine, eins nach dem andern, zwecks Streckung der Sehnen hochkant gegen die Säule presse. Nein, wir Frauen sind diskret, jede blickt bei den Verrichtungen konzentriert vor sich hin. In diese körperliche Intimität hineingezwungen, verhalten wir uns alle wie im Flugzeug oder Fahrstuhl bei unerwünschter Tuchfühlung: Starr vor uns hinblickend, bis es vorbei ist. Auch im Umkleideraum herrscht meistens Stille, es sei denn, eine Frau ist mit ihrer Freundin oder Kollegin da. Dann reden die beiden angeregt, aber verhalten über den Chef oder das Studium, während die andern sich still an- oder entkleiden. In den Duschraum, wo sechs Frauen gleichzeitig auf Tuch- oder besser Hautfühlung duschen können, gehen nur wenige - das erledigt frau, egal wie verschwitzt vom Training, doch lieber zu Hause, so auch ich. Besonders, wenn frau wg. Figurproblemen hier ist, und welche wäre das nicht, selbst wenn die Probleme bloß eingebildet sind. Manchmal aber tummelt sich so eine pummelige mittelalterliche oder auch ranke junge Nackte anscheinend natürlich und ganz ohne Hemmungen zwischen uns Verklemmten, und dann blicken wir noch konzentrierter vor uns hin.


Die Frauen besitzen überwiegend hübsche Sporttaschen, von Nike oder Adidas, während ich mit meiner Alditüte ankomme. Wozu soll ich mir extra eine Sporttasche zulegen, die Aldi-Tüte eignet sich prima zum Hineinstopfen der Hallen-Sportschuhe, des Handtuchs, der Plastik-Wasserflasche und der kurzen Sporthose Marke Champion. Seit aber meine lila-grüne Freundin Ellen aus Berlin mich ermahnte, nicht mit meiner Alditüte herumzulaufen, ich wäre doch keine Migrantin, habe ich meine Unschuld verloren und mache ich mir Gedanken, ob die Alditüte für den Fitnessclub das Richtige ist. Aber sie wurde noch von keiner beanstandet. Diese Frauen sind von erlesener Zurückhaltung und Höflichkeit. Wenn ich an die Muskeltrainingsgeräte gehe, muß ich regelmäßig die Gewichte der jungen Vorbenutzerinnen mindestens um das Doppelte aufstocken. Mit den Beinen stemmen sie (wie ich zu Anfang) kaum mehr als 50 Kilo weg, ich dagegen inzwischen 97. Lässig. Am Latzug - einem Gerät, wo frau mit beiden Armen ein Gewicht von hoch über dem Kopf bis in Brusthöhe ziehen soll - sind es 30, zugegeben: mit Mühe, aber die Vorgängerin oder Nachfolgerin schafft in der Regel allerhöchstens 20. Diese Frauen wollen lieber nicht muskulös sein, das könnte den real existierenden oder erhofften Freund als unweiblich abstoßen. Für ihn arbeiten ja die meisten hier an ihrem Erscheinungsbild. Während meine Lebensgefährtin meine zunehmende Körperkraft sehr praktisch findet, seit sie Probleme mit dem Rücken hat. Ich trage alle in unserem Haushalt anfallenden Lasten mit Vergnügen und - ja, doch - Eleganz.


Weshalb ich an meinen Muskeln arbeite? Hier etwas Lebenshilfe für die Frau ab Vierzig: Es heißt, wir verlieren jährlich zwei Prozent unserer Muskeln, wenn wir nichts dagegen tun. Wegen fehlender Balance durch ihre schwache Muskulatur fallen alte Frauen oft so unglücklich, daß sie sich den Oberschenkelhals brechen. Sie kommen ins Krankenhaus, holen sich eine Lungenentzündung und sterben vorzeitig - an fehlenden Muskeln. Das möchte ich doch nach Möglichkeit vermeiden und baue schon mal vor. Die Sportmedizinerin Miriam Nelson von der Tufts-Universität in Boston hat mit Frauen über neunzig gearbeitet. Diese alten Damen hatten nach sechsmonatigem Training ihre Muskeln um 50 Prozent vermehrt.


Seit etwa einem halben Jahr fühle ich mich in meinem Fitnessclub nicht mehr so als Außenseiterin. Mehr und mehr Frauen in meinem Alter scheinen Miriam Nelsons  frohe Botschaft vernommen zu haben und machen sich nun über die Geräte her. Auch wir reden nicht miteinander, aber wir lächeln uns an, wissend. Wir sind nicht ganz so schön wie die anderen Arbeiterinnen, aber wir wissen, worauf es ankommt.


(c) 2002 Luise F. Pusch, www.fembio.org / Publikation mit freundlicher Genehmigung der Autorin

 

Autorin/Autor

 

Luise F. Pusch
Publikationsdatum 28.03.2003
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