Frauengeschichte

"Künstlerinnen und Künstler werden im Alter besser"

Nicht in der Stadt, nicht auf dem Land: so wohnt die Schriftstellerin und Journalistin Hedi Wyss. Andrea Gerster besuchte Hedi Wyss, Autorin von "Bubikopf und Putzturban", in ihrer Wohnung an der alten Landstrasse in Zürich: Bericht einer Begegnung mit einer besonderen Frau.
Zürich Seestrasse, hektisch der Verkehr, links die Rote Fabrik, dann Kilchberg, jetzt hinauf in die alte Landstrasse. Nicht in der Stadt, nicht auf dem Land: so wohnt die Schriftstellerin und Journalistin Hedi Wyss. Die Fensterfront in ihrem Haus gibt einen beneidenswerten Blick auf den Zürichsee frei. Im Garten kräht ein prächtiger Hahn - zur Unzeit, es ist früher Nachmittag. "Er verteidigt sein Revier", lacht Hedi Wyss. Sie kennt sich da aus. Setzt sich ein für Natur und Umwelt. "ökologie interessiert mich", sagt sie. Wie vieles andere auch. "Es sind vor allem die Zusammenhänge, die mich reizen", fügt sie an. Kunst, Frauenfragen, Erziehung, Hirnforschung, Medizin sind Themen, die sie als Projekte im Leben anpackt, als Journalistin recherchiert oder als Schriftstellerin umsetzt. Schreibend war sie ab 1965 für verschiedene Medien tätig, ihr erstes Buch publizierte sie 1972.


Das neue Buch "Bubikopf und Putzturban" ist soeben erschienen. Ein Leben im zwanzigsten Jahrhundert, so der Untertitel, ist nicht Biografie, nicht Erzählung. Es beschreibt das Leben der Mutter von Hedi Wyss. Der eFeF-Verlag hat das rund 200 Seiten umfassende Buch herausgebracht. Bewusst hat sich Hedi Wyss nach einem kleinen Verlag umgesehen. Sie hatte keine Lust, bei den Grossen zu hausieren. 13 Jahre ist es her seit dem letzten Buch "Tinas Fahrt durch die Luft", einem Kinderbuch, das bei Nagel & Kimche erschienen ist.
Stets beschäftigt

Warum hat sie seither nicht mehr geschrieben? "Geschrieben habe ich immer, ich habe Schubladen voller Manuskripte", sagt sie. Aber die seien nicht für die öffentlichkeit bestimmt. Sie sei keine vergiftete Schreiberin, ihr Mitteilungsdrang halte sich in Grenzen. Andere Projekte hätten sie beschäftigt. Dazu komme, dass ihr Lebenspartner an einer Hirnerkrankung litt und sie ihm bis zuletzt zur Seite stand, ihn in seiner Arztpraxis unterstützte. Daher rührt auch ihr Interesse an der Hirnforschung. Die Zusammenhänge zwischen Gehirn und Erinnerung führten sie schliesslich auch zum Schreiben über ihre Mutter und deren Umfeld.
Generationenwechsel

Hedi Wyss ist 1940 geboren. Wie erlebt sie das älterwerden als Schriftstellerin? "Es gibt Künstler, die im Alter besser werden", sagt sie. Sie beherrschen das Handwerk und zehren von einer Fülle von Lebenserfahrungen. Für sich selber spürt sie, dass die Motivation zum Schreiben eine andere ist. "Wenn man jung ist, möchte man vor allem gefallen, möchte geliebt werden", sagt sie. Oft ernte man, falls man denn Erfolg habe, eher Neid denn Zuneigung. Sie staunt ob dem Mitteilungsdrang anderer, die laufend publizieren. Und weiss dennoch, dass man dies tun muss, will man nicht weg vom Fenster sein. "Der Buchmarkt heute deprimiert mich", sagt sie. So kommerziell sei alles, und nur die Werbebudgets zählten. Das Buch verkomme dabei zur Wegwerfware, ist sie überzeugt. Schwierig seien zudem die Generationenwechsel in Verlagen und auf Redaktionen. "Man kennt einander nicht mehr", sagt sie. Nicht mehr wahrgenommen zu werden, obschon die Qualität stimme, sei die schmerzliche Folge. Wenn dann ein junger, unerfahrener Mensch an Texten herumkrittelt, wird es schwierig. "Solche Sachen ertrage ich nicht mehr."
Zu wenig zum Leben

"Von Büchern kann man nicht leben", sagt Hedi Wyss auf die finanzielle Seite des literarischen Schreibens angesprochen. Zudem könnten Freischaffende kaum auf Pensionskassengelder zurückgreifen. "Menschen, die ein Leben lang gearbeitet, ihren Beitrag an die Gesellschaft geleistet haben, werden zu Sozialfällen - das ist schmerzhaft und traurig", sagt sie. Sie kennt konkrete Fälle, greift befreundeten Kunstschaffenden auch mal unter die Arme. Ein renommierter Schriftsteller, den sie persönlich kennt, habe nur gerade 7000 Franken Einkommen im Jahr. Es gäbe da verschiedene Fonds, bei der Pro Litteris und dem Schriftstellerverband, fällt ihr jetzt ein. Sogleich wechselt sie von der Schriftstellerin zur Journalistin: "Aber klären Sie das noch ab, das gehört auch in Ihren Bericht." Sie selber bezeichnet sich als privilegiert, sie sei finanziell unabhängig. Aber nicht ihrer Bücher wegen, fügt sie an, sie habe einfach Glück gehabt. Sie sei heute in der Lage, nur das zu tun, was sie gerne tue. "Kreatives Schaffen hat für mich mit Lebensqualität zu tun", sagt sie. Es sei etwas Schönes, ein Buch zu gestalten. Dranbleiben zu dürfen, bis es einem selber gefalle. Vom Titel bis zum Umschlag. "Das kann man nur in einem kleinen Verlag", sagt sie. Aber fügt sie an, mit Schreiben könne man die Welt nicht verändern, diese Gewissheit sei auch erst mit steigendem Alter gekommen.


Hedi Wyss: Bubikopf und Putzturban. Ein Leben im 20. Jahrhundert. eFeF-Verlag, Wettingen 2003, Fr. 35.-

 

Autorin/Autor

 

Andrea Gerster
Publikationsdatum 31.10.2003
Verein ostschweizerinnen.ch · c/o Nelly Grubenmann · Tellen | Postfach 30· 9030 Abtwil · kontakt@ostschweizerinnen.ch