Um Weihnachten, Silvester und Dreikönigstag ranken sich in den Alpenländern eine Menge Brauchtum, Orakel und Aberglaube. Christentum und heidnische Gestalten reichen sich die Hand. Die Rauhnächte zwischen Weihnachten und Dreikönig galten als Zeit der Geister und Seelen | |
Die Zeit der Sonnwende hat die Menschen schon immer beschäftigt. In vorchristlicher Zeit wurde die Wintersonnenwende als Geburt der Sonne gefeiert. In diesen Tagen kämpfte das Licht mit der Finsternis, das Gute mit dem Bösen. Während der Rauhnächte, ursprünglich vom 21., später vom 24. Dezember bis zum 6. Januar, tobte gemäss Legende das wilde Heer mit Jagdrufen und Hundegebell durch die Nacht, Frau Holle ging um, Orakel erlaubten den Blick in die Zukunft, und zauberisches Wirken war in diesen Tagen besonders machtvoll. Die Seelen der Verstorbenen, Schweine, Hasen und andere Tiere sollen das wilde Heer begleitet haben. Frau HolleFrau Holle, auch Percht, Berchta oder Mittwinterfrau genannt, hatte ihren festen Platz im mitteleuropäischen Volksglauben: als Muttergöttin, Berg-Göttin, als Hebamme in Leben und Tod. Sie hütete das Spinnen und Weben, das Garn und das Korn. Sie wachte über die toten Seelen und holte die Seelen der Sterbenden zu sich. Vorwitzige und brutale Menschen bestrafte sie, hilflosen Menschen, insbesondere Kindern und Frauen, gewährte sie Schutz. Um die Percht auf ihrem Zug milde zu stimmen, stellte man ihr in den Rauhnächten weisse Speisen aufs Hausdach. Am Tag der Frau Holle, dem heutigen Dreikönigstag, endeten die Rauhnächte. Fleissige Spinnerinnen, so die überlieferung, wurden mit goldenen Flachsknoten belohnt, tüchtige Mägde fanden Münzen in den Eimern; Gierige und Eigennützige dagegen wurden bestraft. Im Wallis und in Graubünden berichten Sagen von Seelenprozessionen, vom Nachtvolk, der Nachtschar, dem Volkgang oder Gratzug, die einiges mit dem wilden Heer gemeinsam haben. Man hörte die Toten murmeln, flennen, beten und trommeln, vernahm aber auch wunderbare Musik. "Räuchlen“Die christliche Tradition ging mit Beweihräucherung gegen die Geister und damit auch gegen die alten Bräuche vor. Das Räuchern war früher im ganzen Alpenraum üblich, ist heute aber nur noch in Rückzugsgebieten bekannt. Vreni Fässler aus Appenzell erinnert sich, wie sie als Kind vor der Weihnachtsbescherung hinter ihrem betenden Vater und der rauchenden Kupferpfanne durch den Stall, um den Brunnen und durch das Haus gezogen war. Spannend für das Mädchen war weniger das "Räuchlen“ an sich, als vielmehr die Hoffnung, in den verschlossenen Estrichkammern einen Blick auf versteckte Weihnachtsgeschenke werfen zu können. Die Räucherungen an Silvester erschienen ihr bedeutend weniger spektakulär. Inzwischen wird das "Räuchlen“ in Appenzell wieder stärker gepflegt. Der Weihrauch, der nach dem Gottesdienst am 4. Adventssonntag samt Kohlen und Gebeten zum Verkauf steht, findet regen Absatz. Wer nicht selbst räuchert, bestellt die Ministranten mit ihren Weihrauchkesseln ins Haus. Der Brauch soll Unheil von Haus und Hof abwenden. Geräuchert wird vor allem am 24. und 31. Dezember sowie am 6. Januar. Schöne und HässlicheEbenfalls auf Frau Holle und das wilde Heer zurückzuführen sind die Perchtenläufe, die vor allem in den Ostalpen so genannt werden und in anderen Regionen unterschiedliche Namen tragen. Die Percht tritt stets in zweifacher Gestalt auf, als schöne, glücksbringende und als hässliche, strafende Erscheinung. Dies ist bei den Ausserrhoder Silversterkläusen so, bei St. Nikolaus und Knecht Ruprecht sowie bei vielen anderen alpenländischen Masken- und Klausbräuchen, die inzwischen zu folkloristischen Schaubräuchen mutiert sind. Auch einige Fastnachtsbräuche, an denen Männer mit zumeist weiblichen Masken und Kleidern teilnehmen, gehören dazu. Da es die heidnischen Bräuche nicht unterbinden konnte, setzte das Christentum den lärmenden Perchtenläufen die Dreikönigsaufzüge entgegen. Für den Berner Ethnologen Kurt Derungs ist der Zusammenhang klar: Die ganzen Rauhnächte, Mittwinterfestlichkeiten und Neujahrsbräuche seien in Bezug zur ursprünglichen Schicksalsfrau zu sehen, die entweder als Einzelne erscheine, wie die Percht oder als Dreigestaltige wie die drei heiligen Frauen. "Das Christentum hat sie alle vermännlicht“, ist Derungs überzeugt. Die drei heiligen Frauen seien durch die heiligen drei Könige ersetzt worden und die Percht durch den historisch nicht belegten St. Nikolaus. So feiert man denn am 2. Januar auch den Berchtoldstag. Der sprachliche Bezug zur Berchta ist offensichtlich. LiteraturSigrid Früh: Rauhnächte. Märchen, Brauchtum, Aberglaube, Verlag Stendel, Waiblingen, 1998 Karl Meuli: Masken - Gesichter einer Landschaft, in Kurt Derungs (Hg) : Mythologische Landschaft Schweiz, edition amalia 1997 Kurt Derungs: Kultplatz Zuoz-Engadin, Die Seele einer alpinen Landschaft, edition amalia |
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Autorin/Autor |
Jolanda Spirig |
Publikationsdatum | 31.12.2003 |