Frauengeschichte

Gordana Savin für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen

Die Sekretärin des Roten Kreuzes in Sombor ist eine von 1000 Frauen, die gestern weltweit für den Friedensnobelpreis nominiert wurden. Sie hat sich von 1991 bis 2001 für das Wohl von Balkanflüchtlingen eingesetzt.
Ob die 50-jährige Serbin am 10. Dezember tatsächlich als eine von drei Symbolträgerinnen die Auszeichnung in den Händen halten wird - stellvertretend für die vielen Frauen, die sich überall auf der Welt um überlebende kümmern oder Wiederaufbau leisten, das steht noch in den Sternen. Wichtiger ist Gordana Savin die öffentliche Anerkennung, die mit der Nomination verbunden ist. "Ich habe grosse Angst", sagt sie am Tag vor der weltweiten Bekanntgabe der 1000 Namen. Angst wovor? "Schon die Nomination ist ein besonderes Ereignis. Für so etwas Grosses gibt es einfach keine Worte mehr."
Einer von 1000 Namen

Ein internationales Projektteam sichtete im vergangenen Jahr 2000 Nominierungen aus 150 Ländern, um 1000 Frauen auszuwählen, die sich gewaltfrei in Konfliktsituationen engagieren, deren Arbeit langfristig angelegt ist, sich durch Nachhaltigkeit auszeichnet und die für die Sache arbeiten und nicht aus Eigennutz oder politischem Kalkül handeln. Gestern wurde die Liste der 1000 Namen veröffentlicht. Die offizielle Nominierung wurde bereits im Januar, unterschrieben von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, beim Nobelkomitee in Oslo eingereicht. "Ich fasse es kaum, dass auch mein Name darauf steht", sagt Gordana. Die Projektpartnerin vom Gemeinden-Gemeinsam-Regionalkomitee Bodensee-Rhein hat sich zehn Jahre lang für die Flüchtlinge in der serbischen Stadt Sombor in der Vojvodina eingesetzt. In zwölf Jahren Partnerschaft hat die Sekretärin des Roten Kreuzes stets aufs Neue bewiesen, dass sie trotz äusserst schwierigem politischem Umfeld stets verantwortungsbewusst handelt und alle betroffenen Gruppen mit einbezieht, ungeachtet ihrer Religion oder ethnischen Zugehörigkeit.
Rotkreuz-Gebäude vermieten

Ein warmherziger Empfang: Nach 1000 Kilometern Anreise wartet Gordana stets hinter dem Schlagbaum an der ungarisch-serbischen Grenze auf die Partner aus der Schweiz. "Wenn ich den Besuchern aus der Schweiz schon materiell nichts schenken kann, bekunde ich ihnen so wenigstens meinen Respekt", sagt sie. Der Zöllner kennt sie, die Formalitäten sind vielleicht deshalb kürzer als gewöhnlich. Das war während des 1993 verhängten, vierjährigen UNO-Embargos nicht so, als das Gemeinden-Gemeinsam-Regionalkomitee Bodensee-Rhein im Monatsturnus um Transportbewilligungen bei den einzelnen Embargopartnern ersuchte. "Das ist schon zwölf Jahre her", sagt Gordana nur, als wir anderntags im Rotkreuz-Gebäude in Sombor sitzen, 30 Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt. Ende Oktober muss Gordana hier ausziehen. Sie hat das Rotkreuz-Gebäude für fünf Jahre an eine private Universität aus Novi Sad vermietet. "Ich hätte die monatlichen Betriebskosten nicht mehr tragen können." Gordana muss für sich und die sechs festangestellten Mitarbeiter eine neue Bleibe suchen. Ein Stück Alltag in Sombor. Eine weitere Episode im überlebenskampf, der in den letzten Jahren schon so vieles abverlangt hat.
Die erste Flüchtlingswelle

Seit 1993 gibt es diese Partnerschaft zwischen Bodensee-Rhein und der "grünen Stadt" Sombor in der serbischen Vojvodina schon. Längst sind daraus freundschaftliche Bande geworden. In den zwölf Jahren hat das Gemeinden-Gemeinsam-Regionalkomitee 1200 Tonnen Hilfsgüter mit einem Warenwert von 9 Mio. Franken vom Bodensee in die Backa, das Gebiet zwischen Ungarn, Donau und Theiss, gefahren. Zwei Jahre zuvor, im August 1991, haben die ersten Flüchtlinge in Sombor Zuflucht gesucht, darunter auch Menschen aus der zerstörten koratischen Stadt Vukovar. Gordana erinnert sich an das Versprechen, das sie der Mutter als Zehnjährige gegeben hat - damals, als die Donau das Bauernhaus ihrer Grosseltern in der Nähe der dalmatinischen Küste überschwemmt und alles zerstört hatte, was der Familie lieb und teuer war. "Wir verloren all unser kärgliches Hab und Gut. Hätte uns damals das Rote Kreuz in Sombor nicht geholfen, wer weiss, was dann aus uns geworden wäre." In den folgenden zehn Jahren wird die Stadt Sombor zum Auffanghafen für Flüchtlinge - das sind zehn Jahre Zeit für Gordana, jenen, die alles verloren haben, das zurückzugeben, was sie und ihre Familie 1965 vom Roten Kreuz erhalten hat. über 2000 Menschen sind es, die von der Baranja, von Ostslawonien und Westsrem nach Sombor strömen. Erst wenige Tage im Amt, versorgen Gordana und ihre Angestellten die Flüchtlinge mit dem Nötigsten. In weniger als zwölf Stunden sind alle registriert und versorgt. Einen Monat später werden mit ihrer Hilfe 1764 Familien wieder zusammengeführt.
Noch mehr Flüchtlinge

Bereits im April 1992 kommt die nächste, noch grössere Welle. über 4000 Menschen flüchten in zwei Wochen aus Bosnien-Herzegowina nach Sombor. "Sie waren noch unvorbereiteter und verbitterter als die ersten", sagt Gordana. Weitere kommen dazu, vor allem aus der kroatischen Stadt Osijek. Im Dezember 1994 sind 8900 Flüchtlinge in Sombor registriert, die Hälfte davon aus Bosnien und Herzegowina. Der Höhepunkt ist aber erst erreicht, als im August 1995 noch einmal 14 000 Flüchtlinge eintreffen. "Es waren konfuse, verbitterte, verletzte, durstige und hungrige Menschen, junge und alte - viele krank, gedemütigt und misshandelt." Es sind Menschen ohne Flüchtlingsausweis, ohne Niederlassungsbewilligung, die versuchen, in einer Art "Touristenstatus" bei Verwandten unterzukommen. Das bleibt nicht ohne Folgen: Die Vojvodina, die einstige Kornkammer Jugoslawiens, beginnt wirtschaftlich auszutrocknen. 22 000 Menschen stranden im Bezirk Sombor mit 100 000 Einwohnern. Drei Jahre später - 1998 - sind noch immer 14 000 Flüchtlinge da, 8000 sind von den Lebensmittelprogrammen des Roten Kreuzes abhängig. Auch wenn die Volkszählung 2002 statistisch viele dieser Fremden zu Somborern machen wird: Die Gesichter auf den Strassen erzählen eine andere Geschichte. Serben, Kroaten, Ungarn und Donauschwaben haben in der bis 1990 autonomen Provinz Vojvodina jahrhundertelang friedlich zusammengelebt. Jetzt kommt plötzlich Spannung auf und mit ihr die Angst: Ist es in Kosovo vorbei, geht es bei uns los. Zwischen Flüchtlingen und Einheimischen kommt es zu Konflikten. Im März 1999 beginnt das Nato-Bombardement. 78 Tage lang wird die Partnerstadt des Gemeinden-Gemeinsam-Regionalkomitees angegriffen, jeden Tag: zehn bis zwölf Stunden lang. Gordana muss sich entscheiden - soll sie ihre Arbeit tun? Oder die Ihren schützen? Sie entscheidet sich für die Arbeit: 8000 Bedürftige sind mit Lebensmitteln zu versorgen, freiwillige Blutspender werden gesucht.
Rückzug der Hilfswerke

Gordana Savin hatte viel auszuhalten in jenen Tagen, weil sie zwischen den Parteien steht: Sie setzt sich für die Rechte der Armen ein, will es aber mit den Mächtigen nicht verscherzen. Die Erfahrung mit zehn Jahren Flüchtlingsleid zeigt schliesslich Wirkung: Gordana kämpft mit der Gesundheit, beginnt nach dem Sinn zu fragen: "Wofür die vielen 16-Stunden-Tage?", fragt sie, als das nationale Rote Kreuz wegen veruntreuter Spendenlieferungen massiv unter Beschuss gerät. In Sombor wagt es zwar niemand, die Arbeit der Rotkreuz-Sekretärin in Frage zu stellen. Doch das in den Kriegsjahren aufgebaute humanitäre Netzwerk droht dennoch zusammenzufallen, weil mit dem Rückzug der Hilfswerke die finanziellen Mittel auf breiter Basis entzogen werden. Die Suppenküche für die einheimische Bevölkerung und die Humanitäre Apotheke - beide dank Gemeinden Gemeinsam acht Jahre in Betrieb - und einzigartig in der Vojvodina, muss sie 2002 aufgeben. Gordana ist gezwungen, ihren Mitarbeiterstab zu reduzieren. Um die Arbeit mit Jugendlichen fortsetzen zu können, greift sie zur Selbsthilfe und gründet das erste Fitnesszentrum in Sombor, eine neue Finanzquelle. Und sie versucht das Camp an der Donau an ausländische Gruppen zu vermieten. Jetzt heisst es Warten: Am 14. Oktober legt das Nobelkomitee fest, ob es die Idee der "1000 Frauen" aufnimmt: Bei einem Ja erhalten am 10. Dezember drei Frauen stellvertretend den Nobelpreis. Für Gordana Savin ist schon die Nomination eine Wertschätzung ihres Einsatzes, die ihre Arbeit sichert und sie vor übergriffen schützt.

 

Autorin/Autor

 

1000 Frauen für den Frieden
Publikationsdatum 30.06.2005
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