Frauengeschichte

Unterm Rock das Brecheisen oder: Weibliche Kriminalität am Bodensee

Die mangelnde Fürsorge, die Vater Staat seinen Töchtern hierzulande angedeihen lässt, ist in der Tat schon eine sprichwörtliche. Sichtbar wird dies vor allem in schlechten Zeiten, und Feminisierung der Armut heisst dann und heisst jetzt das Schlagwort. Gar nicht so verkehrt ist dabei die Feststellung amerikanischer Feministinnen, dass Frauen gerade mal einen Ehemann von der Armut enfernt sind.
Glücklich schätzen kann sich, so die US-Amerikanerinnen weiter, die Frau, deren Mann sein Einkommen mit ihr teilt, wodurch sie geschützt und versorgt ist. Andernfalls drohen sozialer Abstieg und als dessen schlimmstes Ende gar der Einstieg in die Kriminalität. Es ist nicht ohne Ironie, daß gerade die Straffälligkeit von Frauen den HistorikerInnen ermöglicht, die Geschichte und Auswirkungen früherer weiblicher Armut anhand von Gerichtsprotokollen und schriftlich festgehaltenen Verhören nachzuzeichnen. Und nicht minder ironisch ist dabei die Tatsache, dass wir heute dazu neigen, von diesen von der Gesellschaft Ausgestossenen mystifizierend von "Räuberinnen“, ja gar "Grossen Räuberinnen“ zu sprechen... Gemeinhin nämlich denkt bisher eher an Lagerfeuerromantik, wilde und rauhe Gesellen, denkt an Freiheit, an den Schinderhannes und den bayrischen "Hias“, wer an Räuber denkt. Ein etwas genauerer Blick allerdings zeigt zumindest zweierlei: weder hatte das "gewöhnliche“ Räuberinnenleben jemals auch nur in geringstem Masse etwas zu tun mit einem aufregenden Abenteuer- und Wanderleben, noch kam nur aus des männlichen Räubers Mund der Spruch: "Und wenn der Kopf rollt, sag ich hoppla“...


In der Nähe von Lustenau in Vorarlberg wurde am Karsamstag des Jahres 1655 der schwarzkrausige Marxl aufgefunden. Umgebracht hatten ihn, der selbst des Mordes an einer Frau bezichtigt wurde, die Schwestern und Räuberinnen Anna und Barbara Haidler. Zusammen war man über Bregenz an den Rhein geflohen. Marxl hatte wiederholt gedroht, die Haidler- Schwestern, deren Mutter und eine Magd, die ebenfalls mit von der Partie waren, umzubringen, wenn Anna ihn nicht endlich heiraten würde. So wie er "unterwegs das Messer bis an das Heft in ein Ross gesteckt“ habe, so wolle er es "auch mit ihr und den anderen Frauen machen“, erklärte Marxl, als er abends betrunken von seiner Diebestour zurückkehrte. Nachdem die Frauen übereingekommen waren, dass es besser wäre, daß "eins als vier“ ums Leben käme, flössten sie dem Betrunkenen so lange Wein ein, bis er einschlief. Dann legten sie ihm einen Strick um den Hals. Barbara Haidler und Burga, die Magd, zogen zunächst allerdings wohl nicht fest genug zu, denn Marxl wachte auf und schlug heftig um sich. Anna stach ihm mit einem Messer mehrmals in den Hals, nachdem Barbara doch noch "fester zugefasst“ hatte.


Knapp hundert Jahre später machte in Lustenau wieder eine Frauen-Bande von sich reden. Mit ihren Anführerinnen, der Madlena Kriegin und der Barbara Waldnerin, war die achtköpfige Gruppe über die Märkte des deutsch-österreichischen Grenzgebietes gezogen. Im November 1748 kam es dann zur Festnahme. Während die schwangere Kriegin damals mit dem Leben davon kam, wurde die Waldnerin, auch als "Bohnen Tenne“ bekannt, durch Erhängen zu Tode gebracht. Beinahe ebenso lang wie die im Laufe ihres Räuberinnenlebens zurückgelegten Strecken war denn auch das Geständnis der "durch die Blattern ziemlich gezeichneten Bohnen Tenne“, das sie unter Androhung der Folter ablegte: in der Reichsherrschaft Ratzenried im Allgäu war sie mit dem "schreymauligen Hanns Geörgen“ in ein Haus eingebrochen und hatte "ein kleines Schmalzkübele mit Schmalz, eine kupferne Pfanne, und vieles mehr geschazt.“


In Nesselwang hatte sie zusammen mit einer Komplizin "ein Paar neue Weiber Schuhe und etwas Flachs“ gestohlen. Ihre elfjährige Tochter hatte auf mütterlichen Befehl nicht nur auf dem Markt in Lindau Waren entwendet. Trotz der Unterschiede zwischen der Haidler-Bande, einer der vielen reinen Frauenbanden, und der gemischtgeschlechtlichen Bande der Waldnerin gibt es auch eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten: bedingt durch die fortwährenden Kriege, allen voran der Dreissigjährige Krieg sowie die Kriege unter Napoleon, aber auch durch Misswirtschaft und einen ständigen Bevölkerungszuwachs herrschten bitterste Armut und großer Hunger. Dies war die weniger glanzvolle Seite der Barockzeit mit ihren opulenten Prunkbauten. Bettler und arme Leute bevölkerten zuhauf Dörfer und Städte und belagerten die Strassen. Nicht wenige der von der Obrigkeit ersonnenen Massnahmen zur Bekämpfung von Hunger und Not muten heute erbarmungslos und menschenverachtend an. So berichtet der Autor Adalbert Nagel von einem "Patent“ der Gräflichen Wolfegg-Waldburgischen Oberamtskanzlei vom 17.12. 1757, das die Unterstützung fremder Bettler bei Strafe untersagte: "Der fremde Bettel ist bei Zuchthausstrafe verboten“ war auf speziellen Tafeln an den Landstrassen zu lesen. Aber auch den einheimischen Bettlern war das Betteln offiziell nur an bestimmten Tagen und Orten gestattet.


Der Historiker Werner Scheffknecht hat für die Region Vorarlberg herausgefunden, dass die ergriffenen Massnahmen oftmals das genaue Gegenteil dessen bewirkten, was eigentlich hätte erreicht werden sollen. Häufig waren offenbar vor allem Frauen die Leidtragenden dieser Aktionen. Nicht umsonst heisst es etwa im Verzeichnis der Betteltuchstiftung im vorarlbergischen Feldkirch im Jahre 1594, daß abermals "anderen und den weyber gegeben“ wurde, da unter den "mannnspersonen khaine gewesen“. Verantwortlich für diese recht früh zu verzeichnende Feminisierung der Armut ist eine ganze Reihe von miteinander verflochtenen kulturellen und ökonomisch bedingten Gründen. ältere Witwen zum Beispiel fanden nur schwer einen zweiten Ehemann, waren aber wegen der für Frauen bestehenden Ausbildungsverbote kaum in der Lage, durch die Ausübung eines Berufes selbstständig für das eigene Auskommen zu sorgen. Der Fall der 23jährigen Eva Lanzerin aus Frastanz wiederum zeigt die fatalen Auswirkungen des Heiratsverbotes auf junge Frauen. Um sich die Versorgung von Kindern aus armen Verbindungen zu sparen, verlangten die Gemeinden von den Heiratswilligen als Voraussetzung für die Genehmigung der Eheschliessung in der Regel den Nachweis über ein Mindestvermögen. Heiraten musste man sich sozusagen leisten können. Auch Eva hatte sich auf einen Mann eingelassen, der ihr die Ehe versprochen hatte. Als es dann wegen des verlangten Vermögensnachweises Schwierigkeiten gab, stand die zukünftige Mutter plötzlich allein da: der Kindsvater hatte sich aus dem Staub gemacht, die Bäuerin hatte der Magd wegen "der Schand'“ gekündigt. Weil sie offenbar keinen Ausweg sah, tötete die junge Frau am Nachmittag des 25. Dezember 1637 ihr Neugeborenes. Nur durch die erfolgreiche Intervention ihres Vaters konnte die Lanzerin dem Tode entgehen und wurde stattdessen "auf ewig“ aus der Stadt vertrieben, also lebenslänglich verbannt.


Was es bedeutete, in die Armut hineingeboren zu werden, zeigt der Lebenslauf der "Beutelgreiferin“ Madlena Kriegin, die ja bei der Festnahme ihrer Bande im Jahre 1748 mit dem Leben davon gekommen war. Wegen ihrer Schwangerschaft war die damals Zwanzigjährige "nur“ dazu verurteilt worden, der Hinrichtung der "Bohnen Tenne“ beizuwohnen. Ihre Kindheit hatte Madlena in völlig desolaten und aussichtslosen Verhältnissen durchlebt. Einem Protokollbericht des Jahres 1748 zufolge stammte die in Dornbirn geborene "Jaunerin“ aus einer typischen Vagantenfamilie: der Vater, ein Steinhauer, verstarb bereits im Jahre 1736, während ihre Mutter sich und die Kinder als Bettlerin durchschlug. Schon mit dreizehn Jahren wurde Madlena wegen Taschendiebstählen, einem typischen Frauendelikt, gefangengenommen und mit Ruten "gezüchtigt“. Da oftmals davon abgesehen wurde, über die Räuberinnen allzu drakonische Strafen zu verhängen, "beschränkten“ sich die Behörden darauf, die Frauen zu brandmarken, woher auch der "grosse weiße Fleck auf der rechten Schulter der Marckt-Tag-und Nacht-Diebin, der Bohnen Tenne“ rührt. Eine weitere beliebte Methode der Züchtigung stellte das "Stimblen“, also das Verstümmeln dar, was nichts anderes bedeutete, als die Ohren oder die Nase, manchmal auch beides, abzuschneiden...


Wie es für weibliche Vaganten üblich war, zog auch die Kriegin wegen der Gefahren des Landstrassenlebens vorzugsweise mit Banden umher. Diese setzten sich oftmals aus Familienmitgliedern zusammen. Entgegen aller Erwartungen stellte die Familie den wichtigsten Bezugspunkt im Leben der vagierenden Gruppen dar. Sehr traditionelle Vorstellungen prägten übrigens auch die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Nicht selten wurden Pfarrer zum Zwecke der Durchführung von Trauungen mit Geld bestochen oder kurzerhand gekidnappt. Vom "Konstanzer Hans“ wird berichtet, dass ihn seine Liaison mit der verheirateten "Schleiffer Bärbel“ in arge Konflikte mit seinen Kameraden brachte, wurde es doch unter Gaunern für unanständig gehalten, wenn ein "Lediger eine verheurathete zur Beyschläferin hat.“ Die Kriegin bekam wiederum heftigen Streit mit einer Appenzellerin allein schon deshalb, weil sie deren Mann angesprochen hatte. Obschon die Arbeitsteilung der Banden im grossen und ganzen geschlechtsspezifisch geprägt war und die schweren Verbrechen wie Strassenraub und Viehdiebstahl eher Männersache waren, belegen Protokollberichte die Beteiligung an oder gar die alleinige Ausübung von Mordtaten durch Räuberinnenhand. So nahm Clara Wendel, die ebenso schöne wie unerbittliche und stets schießbereite "Räuberkönigin der Schweiz“ in ihrem Alter nicht nur vierzehn Brandstiftungen und 1588 Diebstähle, sondern auch zwanzig Morde auf sich. Die Kriegin beging zwar eher typisch weibliche Delikte wie Marktdiebstähle und das Hausieren mit gestohlenen Waren, dennoch scheint auch sie vor der Anwendung von Gewalt nicht zurückgeschreckt zu sein. Berichtet wird, daß sie zusammen mit ihrer Schwester Maria Rickin den "schielenden Hansel“, der sie mit Waffengewalt zwingen wollte, "mit ihme als seine s.v. hure herum zu ziehen“, gepackt und gegen eine Wand geworfen habe. Bei ihrer Verhaftung im Jahr 1748 kam Madlena Kriegin mit einer vergleichsweise geringen Strafe davon, indem sie nämlich dazu verurteilt wurde, das Land zu verlassen. Allein, den Sprung in ein normales Leben schaffte auch sie nicht mehr - einige Jahre später wurde ihr wegen weiterer Vergehen abermals der Prozess gemacht.

 

Autorin/Autor

 

Eva Grundl
Publikationsdatum 30.08.2005
Verein ostschweizerinnen.ch · c/o Nelly Grubenmann · Tellen | Postfach 30· 9030 Abtwil · kontakt@ostschweizerinnen.ch