Politik und Gesellschaft

"Mein Mann ist schwul"

Sie führten eine Bilderbuch-Ehe und haben zwei kleine Kinder. Jetzt sind sie getrennt. Der Grund: Er ist schwul.
Interview mit einem Ehepaar.
Frau K., Sie sind seit Jahren verheiratet und haben zwei kleine Kinder. Wie sind Sie darauf gekommen, dass Ihr Mann schwul ist?


A. K.: Ich entdeckte, dass er sich Bilder von Männern im Internet anschaute. Ich verdrängte das, bis ich nicht mehr konnte. Vor ein paar Monaten sprach ich ihn darauf an. Da erzählte er zum ersten Mal, dass er sich seit der Pubertät von Männern angezogen fühlt. Für mich bestätigte sich ein Verdacht, den ich schon früher hatte. Denn unsere sexuelle Beziehung war seit langem ein Krampf, und ich suchte nach Gründen dafür.


War es für Sie undenkbar, dass er Sie mit einer Frau betrügt?


Sie: Ja, ich war sicher, dass es nicht das ist. Wir hatten eine gute Beziehung, und ich dachte, wir könnten über alles reden. Doch wer kommt schon auf schwul? Ich hatte ihn früher einmal danach gefragt. Damals sagte er, das könne er sich nicht vorstellen.


Herr K., weshalb haben Sie geheiratet, wenn Sie seit der Pubertät spüren, dass Sie schwul sind?


P. K.: Ich wollte es nicht wahrhaben. Mein Traum war ein normales Leben mit einer Frau und Familie. Ich hatte mich ja in meine Frau verliebt. Es hat auch sehr gut funktioniert, in jeder Beziehung, ausser der sexuellen.


Sie: Begonnen haben die sexuellen Probleme beim ersten Kind. Ich schob dies auf die Schwangerschaft. Dann kam bald das zweite Kind, und es ging nichts mehr. Ich fiel in ein Loch, konnte es nicht fassen. Denn am Anfang war es wunderbar zwischen uns, so wie es sein sollte.


Er: Auch für mich. Wir hatten eine leidenschaftliche Beziehung und gemeinsame Interessen und Ziele. Ich war beruhigt. Bei mir schien doch alles in Ordnung zu sein. Bis mit der Eheroutine die alten Gefühle wiederkamen und es quälend wurde, eine Scheinwelt aufrecht zu erhalten.


Ist Schwulsein für Sie nicht normal?


Er: Ja, das war so. Jetzt ist es normaler. Ich muss lernen, es zu akzeptieren.


Hat Ihre Ehe Ihre Homosexualität beeinflusst?


Er: Ja, weil meine Frau verlangt hat, dass ich mich mit der Homosexualität auseinandersetze und mich entscheide. Vorher hatte ich das Thema weit von mir gewiesen.


Heisst das, Sie hatten noch keine homosexuellen Beziehungen?


Er: Bei mir hat sich alles im Kopf abgespielt. Ausgelebt habe ich meine Homosexualität bisher nicht. Das ist ungewöhnlich. Ich bin in einer Selbsthilfegruppe für schwule Väter. Dort haben alle entweder heimliche Kontakte oder leben mit ihrem Freund von der Familie getrennt.


Wie sind Sie zum Entschluss gekommen, sich zu trennen?


Er: Wir waren beide nicht mehr zufrieden mit der Situation in der Ehe. Wir sind Mitte 30 und können noch etwas Neues aufbauen. Würden wir zusammenbleiben, wären wir uns gegenseitig im Weg. Deshalb bin ich ausgezogen. Es wäre nicht fair, wenn ich wartete, bis ich einen Freund habe.


Sie: Ich bin so weit, dass ich akzeptiere, dass er schwul ist. Er soll das ausleben können. Aber ohne mich.


Sind Sie nicht traurig oder wütend?


Sie: Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Wir wären sicher 100 Jahre alt geworden zusammen, wenn die sexuellen Probleme nicht wären. Ich war verletzt. Es ist auch demütigend: All die Jahre war er schwul. Wieso hat er mich geheiratet und Kinder gezeugt?


Hätte ein "normaler Seitensprung" Sie weniger getroffen?


Sie: Bei einer Frau hätte ich um ihn kämpfen können. Gegen einen Mann kann ich das nicht.


Wie haben Ihre Angehörigen und Bekannten reagiert?


Er: Die meisten wissen von der Trennung, kennen aber die Gründe nicht. Viele verstehen die Welt nicht mehr. Wir galten als Bilderbuch-Ehepaar.


Sie: Es ist ein doppelter Tabubruch. Ich kann doch niemandem sagen: Mein Mann ist schwul.


Er: "Geoutet" habe ich mich nur im engsten Kreis. Ich muss mich selber erst zurechtfinden in dieser Schwulenwelt.


Wie stellen Sie das an?


Er: Ich war inzwischen ein paar Mal in einer Schwulenbar. Dort habe ich übrigens mehrere Männer getroffen, die ebenfalls verheiratet sind.


Wie erklären Sie es den Kindern, dass ihr Vater schwul ist?


Sie: Jetzt sind Sie noch zu klein, um das zu verstehen. Zum Glück. So wird es für sie normal sein, mit einem schwulen Vater aufzuwachsen. Er wird immer der Vater der Kinder sein.


Ist die Trennung für sie unwiderruflich, oder hoffen Sie noch auf eine gemeinsame Zukunft?


Sie: Ich glaube nicht, dass wir wieder als Paar zusammenkommen.


Er: Manchmal denke ich, ich bin verrückt, meine Existenz aufzugeben wegen ein bisschen Sexualität. Doch selbst wenn wir vorübergehend eine "normale" Beziehung hätten, würde ich mich im Tiefsten nach einem Freund sehnen. Ich hoffe, Annina und ich schaffen es, in einer neuen Form eine gute Beziehung zu haben.


Haben Sie nie in Betracht gezogen, zusammenzubleiben und Ihre unterschiedlichen sexuellen Bedürfnisse anders auszuleben?


Sie: Nein. Ich will den Respekt bewahren, den wir immer füreinander hatten. Ich hätte nicht - wie es andere tun - tolerieren können, dass er zu einem Mann geht und dann wieder neben mir im Ehebett liegt.


Er: Ich empfinde das genau so.


Haben Sie das Gefühl, versagt zu haben?


Er: Mir macht es zu schaffen, dass ich meine Familie ins Unglück stürze. Aber Annina hat mir geholfen, indem sie hinter mir steht. Natürlich ist Schuld da. Ich setze alles daran, dass es meiner Familie gut geht.


Sie: Ich hatte nie das Gefühl, versagt zu haben. Mir ist wichtig, dass er sein Glück findet. Alles andere wäre nicht ehrlich. Deshalb müssen wir uns voneinander lösen. Ich komme dabei schon etwas zu kurz. Es wird wichtig sein, Kontakte zu knüpfen. Er hat es leichter. Als Frau kann ich mich nicht einfach in eine Bar setzen.


Wo haben Sie in dieser schwierigen Zeit Hilfe gefunden?


Sie: Am Anfang war es schlimm. Wem hätte ich davon erzählen können? Ich brachte kaum das Wort schwul über die Lippen - Peter auch nicht. Dann stiess er im Internet auf die Seite "Hetera", die Selbsthilfeorganisation für Partnerinnen schwuler Männer. Zum ersten Mal über alles zu sprechen und zu erfahren, dass ich nicht allein bin, war eine riesige Erleichterung. Obwohl es schmerzt, fand ich die Kraft zu sagen, es ist gut so, wie es ist.


Er: Das Unterstützungsangebot ist dürftig, vor allem in der Ostschweiz. Vielfach haben sich nicht einmal Fachleute je mit dem Thema auseinandergesetzt. Die Gespräche in der Selbsthilfegruppe für schwule Väter bringen mir viel. Dazu muss ich aber nach Zürich fahren.


Wie wird es weitergehen?


Er: Wir gehen gemeinsam weiter, so gut als möglich. Wir sind füreinander da. Ich gehe fast jeden Tag hier ein- und aus und beteilige mich an der Familienarbeit. Nur ist es so schwierig, Abstand zu gewinnen.


Sie: Emotional ist es für mich schwer nachvollziehbar. Das wird noch lange dauern. Im Moment versuche ich, nur ans Heute zu denken, weil die Erinnerung an die wunderschöne gemeinsame Zeit weh tut. In Liebe loslassen, das ist das Schwierigste.

 

Autorin/Autor

 

Monika Slamanig, freie Journalistin, St. Gallen
Publikationsdatum 31.03.2003
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