Politik und Gesellschaft

Gedanken zum Nationalfeiertag

Wir leben in einem der schönsten, reichsten und sichersten Länder der Welt. Seien wir also selbstbewusst und zeigen wir unseren Stolz. Doch auch Andersartigen und Ausländern ist das Land ein Stück Heimat.
Schweizerin und Schweizer sein ist wieder "in". Das zeigen schon die roten T-Shirts mit weissem Kreuz, die uns im täglichen Leben an verschiedensten Orten begegnen. Auch meine Söhne im Teenager-Alter besitzen solche Shirts und führen diese mit Stolz aus. "Weisst du eigentlich, was das Kreuz bedeutet", werden sie immer wieder mal gefragt und sind immer wieder erstaunt darüber. Ihre Botschaft heisst einzig und alleine "Ich bin Schweizer und freue mich darüber". Da ist keine Spur von übertriebenen nationalistischen Gefühlen. Da sind auch keinerlei fremdenfeindliche Gedanken und ebenso wenig verstehen die beiden Teenager ihr Schweizer-T-Shirt-Tragen als Ausdruck dubioser politischer Gedanken. Es ist eigentlich bemerkenswert, wie schwer wir Schweizerinnen und Schweizer uns damit tun, uns offen über unser Land zu freuen und dankbar dafür zu sein, dass wir eine Heimat haben, die uns Freiheit lässt und Sicherheit gibt. Dabei haben wir doch alle diese Momente, in denen wir eine Hühnerhaut bekommen oder sogar verschämt eine Träne der Rührung wegwischen - gerade am und um den Nationalfeiertag. Auch wenn bei einer Siegerehrung wieder einmal die Schweizer Fahne aufgezogen und unsere Nationalhymne gespielt wird oder wenn wir von einem Aussichtspunkt aus unsere aller engste Heimat anschauen, kann dies passieren. Wenn wir am 1. August dem grossen Feuerwerk zuschauen oder ins lodernde 1.August-Feuer schauen, dann gehen beinahe jeder und jedem ungewollte Gedanken des Dankes durch den Kopf.
Heimatliebe nicht absprechen

So wie es für alle von uns unterschiedliche Momente sind, die uns bewegen, sind es wohl auch für jede und jeden von uns unterschiedliche Dinge, die für uns Heimat bedeuten und die wir feiern wollen. Für mich ist Heimat der Ort, wo ich mich angenommen und zu Hause fühle, dort, wo ich mich entfalten, wo ich mitwirken und mitgestalten kann. Heimat ist für mich dort, wo ich Menschen und Plätze kenne, die mir lieb sind, die mir Geborgenheit geben und vielleicht Erinnerungen wecken. Darum empfinde ich die Schweiz und ganz besonders die Ostschweiz als einzig wahre Heimat, die beste übrigens, die ich mir überhaupt vorstellen kann. Aus diesem Heimatgefühl heraus macht es mir Freude, an deren Zukunft mitzuarbeiten, mich hinauszulehnen und meinen Beitrag zu leisten und Dankbarkeit zu zeigen, dass ich und viele andere dieses Heimatgefühl haben dürfen. Das ist auch der Grund, weshalb es mir Mühe macht, wenn einige Politiker jeder und jedem die Liebe zur Heimat absprechen, wenn diese nicht gleicher Ansicht sind. Es ist ein unwürdiger und unschweizerischer Zug der aktuellen Politik, wenn von einzelnen Personen immer mehr die Abgrenzung, der Kampf und die Auseinandersetzung gesucht wird.
Raum und Chancen für alle

Ein Blick auf die Geschichte unseres Landes zeigt, dass dessen Erfolgsgeschichte nicht wirklich mit dem Rütlischwur vor 712 Jahren begonnen hat. Begonnen hat der Aufschwung der Schweiz erst vor rund 150 Jahren. Zu jener Zeit war sie noch ein armer bäuerlicher Staat, die in manchen Jahren sogar mit dem Hunger zu kämpfen hatte. Und immer, wenn es besser gegangen wäre, haben Kriege für Elend gesorgt: Noch in den 30er und 40er Jahren des vorletzten Jahrhunderts standen sich Konservative und Liberale, Katholiken und Reformierte bewaffnet gegenüber. Mit den Verfassungen von 1848 und 1874 ist die Schweiz zum Bundesstaat geworden, der die Freiheitsrechte akzeptiert, den Minderheiten Sorge trägt und den einzelnen Raum zur Entfaltung lässt. Damals hat unser Land den Weg zu politischen Lösungen gefunden, die jedem geben und von jedem etwas verlangen, zu Lösungen, die sowohl von der Mehrheit als auch von der Minderheit Toleranz und Entgegenkommen verlangen. Mit diesem "Geheimrezept" ist die Schweiz bis heute nicht nur das reichste Land der Welt geworden, sondern auch ein Land, in dem dieser Reichtum bei aller Ungleichheit immerhin so verteilt ist, dass es auch für die ärmsten noch etwas hat. Die Schweiz ist ein Land, in dem die Rechte und die Freiheit eine sehr grosse Bedeutung haben und das - dank unseres Schulsystems - den meisten die Chance gibt, sich gemäss Neigungen und Fähigkeiten zu entwickeln. Die Schweiz ist ein Land, das in den letzten Jahrzehnten gelernt hat, seine Natur und seine Umwelt zu schützen und ein Land, in dem auch für jene gesorgt wird, die nicht aus eigener Kraft erfolgreich sind. Und nicht zu vergessen ist die Schweiz ein Land, in dem wir sicher und ohne Angst vor Banden oder Privatarmeen leben dürfen. Ich bin davon überzeugt, dass es zu einem sehr grossen Teil das Miteinander aller wichtigen Kräfte ist, das uns in den vergangenen rund hundert Jahren zu dieser einmaligen Ansammlung von Vorteilen verholfen hat.
System ist kein "Wischiwaschi"

Aus diesem Grund mache ich mir Sorgen, wenn ich sehe, dass es immer weniger populär ist, Andersartigem einen Schritt entgegenzukommen. Gefordert wird eher eine starke Hand, die kompromisslos durchgreift. Dafür wird Beifall gespendet, ohne daran zu denken, dass durchgreifen allein noch nie ein Problem gelöst hat. Wir benötigen mehr denn je ähnliche Lösungen wie in den vergangenen hundert Jahren. Wir benötigen Lösungen, welche die ganz unterschiedlichen Schweizerinnen und Schweizer in allen Landesteilen akzeptieren können. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf keinen Fall von diesem Miteinander abrücken dürfen, auch nicht im Interesse etwas attraktiverer öffentlicher Debatten oder Medienberichte. Diesen Weg haben im letzten Jahrzehnt auch einige erfolgreiche Reformparteien im Ausland entdeckt. Trotz parlamentarischen System mit Mehr- und Minderheit, suchen sie "gemeinsame Zukunftsperspektiven". Sie finden sich zu einem sogenannten "dritten Weg" zwischen den alten Parteifronten. Sie finden sich zu der Politik, die bei uns ganz natürlich aus dem politischen System herausgewachsen ist und heute oft als inkonsequent und "Wischiwaschi" miesgemacht wird. Stehen wir doch dazu: Die Schweizer Politik bietet keine grosse Show. Dies wird gerade im jetztigen Wahlkampf wieder klar. Sie ist aber seit Jahren erfolgreich und ermöglicht Lösungen. Sie hat zudem ermöglicht, dass in unserem Land seit über 150 Jahren innerer Frieden herrscht und Auseinandersetzungen politisch ausgetragen werden. In diesem Bewusstsein können wir getrost und voller Selbstvertrauen neue Aufgaben angehen. Probleme gibt es mehr als genug, gerade auch im Hinblick darauf, Minderheiten möglichst gleichwertige Chancen einzuräumen.Aktuell ist zum jetztigen Zeitpunkt wieder die Anerkennung neuer Lebensformen oder die Integration ausländischer Einwohnerinnen und Einwohner. Auch für diese Menschen bedeutet unser Land ein Stück Heimat. Ich denke an die Aufgabe, die Folgen der Globalisierung zu mildern und den Rückzug vieler Grossunternehmer aus ihrer Verantwortung für die Gesellschaft.
Selbstbewusst und stolz sein

Wir dürfen die Bekenntnis zum Miteinander ruhig selbstbewusst nach aussen tragen. Die Vertreter unseres Landes sollen dort mitwirken, wo sie unsere Erfahrungen im Umgang mit Minderheiten und Andersartigen einbringen können wie etwa bei den Vereinten Nationen, wo unser Wort als kleines, erfolgreiches und neutrales Land gefragt wäre. Solch schweizerische Lösungen für Aufgaben, die nicht nur in unserem Land sondern auch auf dem ganzen Globus anstehen, könnten uns etwas zurückgeben, was unserer Generation von Schweizerinnen und Schweizern abhanden gekommen ist: Das gemeinsame Erfolgsgefühl, das Gefühl etwas erreicht zu haben, auf das wir wirklich stolz sein können. In diesem Sinne rufe ich alle auf, auf unser Land Stolz zu sein und dazu auch zu stehen. Ich wünsche allen, dass sie mit Hühnerhaut ins 1. August-Feuer blicken und dem Feuerwerk zusehen können. Die Schweiz hat es wirklich verdient.

 

Autorin/Autor

 

Publikationsdatum 31.07.2003
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