Politik und Gesellschaft

Wenn Goldhamster implodieren

Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich mich voller Begeisterung in jenen Metasphären herumgetrieben habe, die solch segensreiche wissenschaftliche Denkprodukte wie der Dekonstruktivismus oder die Postmoderne bereit gestellt haben.
"Derrida", "Barthes", "Foucault" waren die Namen meiner ganz privaten Götter und das längst überfällige Auflösen alter Denk - und damit auch Lebensgewohnheiten war mein Glaubensbekenntnis. All das hat sich nachhaltig geändert, als diese so wunderbar verschnörkelten Theorien unversehens mein ganz privates Leben implodierten.
Rollentausch

Wenn ich es mir recht überlege, begann alles damit, daß ich von meinen Kindern Lisa und Jan ebenso sanft wie nachdrücklich auf die Suche nach meinem ganz privaten gameboy geschickt wurde: "Mama, du mußt nicht mehr jeden Freitagabend wegen uns zu Hause sitzen. ähm, wir sind da ja eh immer weg. Wir finden, du bräuchtest nen Kerl." Es ist leicht vorstellbar, welche Irritationen dieser im Grunde ja nur gutgemeinte Tipp in meiner allzeit treuen Mutterseele ausgelöst hat. Dass ich diesem Wunsch indes gerne nachkam, hat, seien Sie versichert, ausschließlich mit dem Muttertier in mir zu tun.


Meine Suche habe ich konsequent, intensiv und gründlich betrieben. So bin ich nun mal. Bald führte diese denn auch zum Erfolg und das Ergebnis, Benno, konnte an einem sonnigen Sonntagnachmittag der Jury präsentiert werden. Diese war gerade dabei, in der ehemals gesamtelterlichen gediegenen Wohnlandschaft bei einem Glas Apfelsaft und einer Shisha derselben Geschmacksrichtung ihre neuesten Bauchnabel-Brustwarzen-Blinddarm Piercings und mit dem Blut des gemeinen ozeanischen Goldhamsters gestochenen Tattoos zu begutachten sowie die neuesten Haarfarben - magenta oder lieber doch spazy blue - zu diskutieren.
Mama unter "Beschuss"

Ich vermute heute, es hatte mit meinem Zustand damaligen hormonellen Irreseins und der damit zwingend einhergehenden Eintrübung meiner mental-geistigen Fähigkeiten zu tun, nicht wirklich wahrzunehmen, daß die Jury mit meinem Resultat bei weitem nicht so zufrieden war wie ich. Vielmehr gehe ich heute sogar soweit zu behaupten, daß auch deren Lebenswelten implodierten: Mama, strebsame Studentin der Geistes- und Sozialwissenschaften, frauenpolitisch engagiert, zuverlässige Gassigeherin, Journalistin, Haus - und lange Zeit treusorgende Ehefrau, taucht mit einem Mann an ihrer Seite auf. Einem leibhaftigen Mann aus Fleisch und Blut, keinem geklonten oder wie auch immer generierten Bübchen aus dem virtuellen Raum etwa. Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, noch dazu mit einem, der eine ganze Ecke jünger ist als sie, krakeelendes, bekennendes Landei und ebensolcher Motorradrocker: Schwere Maschine, schwarze Lederjacke und den Helm - logisch - ohne Visier: "Hey babe, let's take a walk on the wild side." Ehe ich mich versah, war nämlich insbesondere mein Sohn rasch darum bemüht, die künftigen Familien - und Machtverhältnisse her- und klarzustellen. Interessanterweise hat er sich dabei althergebrachter, nichts desto weniger sehr bewährter Methoden bedient. Beim Toben und spielerischen Necken und Haschen auf dem Perserteppich kam er meinem kichernd und prustend ausgestoßenen Hilfeschrei nach, mich aus dem liebevollen Würgegriff von Benno zu befreien. Mit der ihm eigenen Konsequenz und Weitsichtigkeit packte Jan meinen Lover kurzerhand am Kragen; den Finger entschlossen am Abzug, drückte er meinem Peiniger seine zitronengelbe Stöpselpistole aus Plastik hart ins Genick. überflüßig zu sagen, daß das Ding geladen und daß es nach dieser einschneidenden Episode Benno war, der Jan stets höflich und zuvorkommend jeden Wunsch von den Lippen ablas.


Nach einer kurzen Phase weitgehend normaler, stabiler Verhältnisse tauchte indes mit Kalle das nächste Problem auf. Dies mußte aber, so sage ich mir, bei einer rein analytischen Betrachtung der Sachlage allein schon deshalb der Fall sein, weil wir ja schließlich in einer Phase des raschen Wandels leben. Um es kurz zu machen: Auch Kalle brachte nichts als Schwierigkeiten mit sich. Deren Größte bestand in der Frage, ob nun Benno ihm oder Kalle Mutters Lover das Frühstück zu bereiten hätte. Schließlich war der Freund von Lisa wiederum eine ganze Ecke älter als mein Benno. Es gereicht ihnen möglicherweise zur Beruhigung, liebe Leserinnen, wenn ich Ihnen mitteilen kann, daß diese beiden Störenfriede längst wieder aus dem Haus sind. Das warme, wohlige Nest haben mittlerweile auch Lisa und Jan verlassen und übrig gelassen haben mir die Stürme von Dekonstruktivismus und Postmoderne Minka, meine stets nörgelnde Katze.

 

Autorin/Autor

 

Eva Grundl
Publikationsdatum 29.11.2005
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