Vernetzung

"Begegnungen mit wirklich tollen Frauen haben mich stark geprägt."

Cornelia Forrer übernimmt ab 31. Dezember 2003 die Redaktionsleitung von ostschweizerinnen.ch. Sie ersetzt die per Ende 2003 zurücktretende Myrjam Cabernard. Die 44-Jährige Journalistin und Bäuerin Cornelia Forrer ist für OCH-LeserInnen keine Unbekannte: Sie hat im vergangen Jahr unzählige Artikel geschrieben und war bereits Ressortleiterin Arbeit und Bildung.
Mein Leben 

Aufgewachsen bin ich wohlbehütet im Kreise einer siebenköpfigen Familie im schönen Barockstädtchen Solothurn. Meine Kindheit war begleitet von einer ständigen Sehnsucht nach friedlichem Leben auf dem Land mit einer grossen Kinderschar und vielen Tieren. Die Freizeit verbrachte ich mit meinen Schulfreunden grösstenteils im Kuh- und Pferdestall eines Bauernhofes oder auf dem Fussballplatz des Fussballclubs Solothurn. In ruhigeren Minuten verschlang ich massenweise Bücher. Meine besorgten Eltern steckten ihre kaum zu bändigende Tochter nach der Schulzeit in ein strenges Internat nach Frankreich .Durch Brieffreundschaften in der halben Welt hielt ich den Kontakt zum pulsierenden Leben ausserhalb der Klostermauern aufrecht. Während der Internatszeit plante ich eine Reise nach Kanada. Der Klosterschule entlassen, besuchte ich den langjährigen Brieffreund in Vancouver und blieb bei ihm, so lange ich die Visen verlängern konnte. Ich jobbte als Mädchen für alles, lebte von der Hand in den Mund und träumte von einem Leben im Kanadischen Busch als Royal Mounted Police. Meine schwer schockierten Eltern befahlen mir, rechtzeitig zum Lehrbeginn nach Hause zu kehren, damit mein ungestümes Wesen endlich gezähmt und mein Leben in rechte Bahnen gelenkt werden würde. Die Lehre als Innendekorateurin und die nachfolgenden Handelsschuljahre brachte ich mehr oder weniger wilder oder ruhiger hinter mich.


Die frühe Mutterschaft und (für alle selbstverständlich) damit verbundene Heirat machte aus mir eine angepasste, ruhige und liebevolle Mutter und Ehefrau. Ich wollte die neue Aufgabe geradezu perfekt meistern. Neben der Familienarbeit wirkte ich als Sachbearbeiterin, Werklehrerin, Tagesmutter oder persönliche Sekretärin meines Ehemannes. Ich wirkte in der Politik mit, demonstrierte für Frieden, Freiheit oder Arbeit. Die Freizeit verbrachte ich im Chor, im Frauenkränzchen oder im Müttertreff. Meine eigenen Wünsche waren jene der Familie. Ich stellte alles hinten an. Das klappte ganz gut so. Meine beiden Söhne entwickelten sich in jeder Beziehung prächtig und meine Tochter schien das Leben zu leben, das ich mir selber immer gewünscht hatte. Sie war ein wahrer Sonnenschein, war selbstständig und frei, wurde geliebt und geachtet und konnte immer sich selber sein. Ihr Tod rüttelte mein ganzes Leben durcheinander. Der Boden unter meinen Füssen rutschte mir für eine lange Zeit weg. Ich schien meine Lebensaufgabe, meine ganze Bedeutung verloren zu haben. Die Buben waren schon so selbstständig und gross und schienen mich nicht mehr zu benötigen.


Die Beziehung zu einem langjährigen Chorkollegen veränderte alles. Mein Ehemann begriff mich nicht mehr und wurde zum Tyrannen. Ich war nicht mehr die liebe, angepasste Frau, die er lenken und beherrschen konnte. Er schlug mich. Ich trennte mich von ihm. Er nahm mir die Kinder weg. Ich kämpfte während vieler Monate um das Sorgerecht, verlor zuerst alles und gewann dann schliesslich. Ich heiratete wieder, bekam einen Sohn und eine kleine Tochter und habe nun das Leben, das ich mir schon als Kind immer gewünscht hatte mit den vielen Tieren, der grossen Freiheit und der fröhlichen Kinderschar. Nach fünfjährigem, teilweise selbst gewähltem Ghetto beschloss ich ins Leben zurückzukehren. Ich nahm die Parteiarbeit auf, leistete Freiwilligenarbeit und kehrte ins teilzeitliche Berufsleben zurück. Regionale Medien fragten mich für die Mitarbeit an. Immer hatte ich mir gewünscht, schreiben zu können. Jetzt konnte ich es. Der Besuch der Medienschule drängte sich auf, denn ich wollte besser und professioneller schreiben. Die Medienschule wurde für mich zur Lebensschule.


Eine Kollegin steckte mir die Adresse der ostschweizerinnen zu. "Das wäre doch was für dich!", bemerkte sie. Ich hatte gerade erst gelernt, dass auch das Leben als Frau interessant sein kann. Deshalb wollte ich bei diesem Projekt unbedingt dabei sein. Die Mitarbeit als Redaktorin, dann als Ressortleiterin und die zahlreichen, guten Begegnungen mit wirklich tollen Frauen haben mich stark geprägt. Ich will weiter dabei sein. Ich will bei der Vernetzung verschiedenster Frauen mitwirken und dabei eine wichtige Rolle übernehmen. Gerade deshalb stelle ich mich als Redaktionsleiterin von ostschweizerinnen.ch zur Verfügung. Der Gedanke, dass ich eigentlich lieber als Junge geboren worden wäre, hat den grössten Teil meines Lebens geprägt. Wie viel leichter war doch das Leben meiner Schulfreunde und meiner Brüder verlaufen. Sie hatten ganz selbstverständlich jene Freiheit, die ich mir immer nur wünschen konnte. Jetzt habe auch ich alles, was ich immer wollte - eigentlich zum ersten Mal in meinem Leben.


Cornelia Forrer , 28. Dezember 2003

 

Autorin/Autor

 

Cornelia Forrer
Publikationsdatum 29.12.2003
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