Wohlbefinden

Wer trägt heute wieder Korsett?

Eine kleine Philosophie über Mode zwischen Freiheit und Zwang, über das Verhältnis zwischen Büstenhalter und Feminismus. Nicht zuletzt auch noch eine wichtige Erkenntnis über die richtungsweisenden Reaktionen von Mutter Natur zum unbesetzten Land zwischen Hosenbund und Blusensaum.
Der heutige Morgen, ein nebliger doch eher kühler Herbsttag. Ein alltägliches Bild: Vor mir eine füllige junge Frau in hautengen Jeans und einer grossen Lücke zwischen Hose und Pulli. Man nennt das "bauchfrei" und es hat primär nichts mit Philosophie zu tun. Weiter gegen oben zu ist es dann sowieso aus mit der großen Freiheit: Der Busen wird gepusht, eingeklemmt und unterlegt, damit er sich wie zwei adrett aneinander geschmiegte Fleischklösschen aller Welt präsentiert.


Manchmal frage ich mich, warum alles so ins Gegenteil gekippt ist. Vielleicht handelt es sich um eine ganz normale Rückwärtsbewegung? Wir fühlten uns zu früheren Zeiten in Schlabberpullis wohl und eben gerade frei von Modedruck und dem Zwang zum Büstenhalter. Waren wir weniger sexy? Flowerpower und Frauenbewegung lassen grüssen.


Heute ist das Tragen von Marken und Labels ein Muss. Ich hätte mich zu meiner Schulzeit echt tot gelacht über Jungs in, sagen wir mal: Nike Turnhosen, assortiert mit entsprechender Mütze und passenden Schuhen.


Allerdings hat ein gewisser Modezwang sogar wohl in die feministische Umgebung bereits Einzug gehalten. Musste ich mir doch in einem Frauenkurs in einer Pause folgende Bemerkung der Kursleiterin anhören "Warum trägst Du eigentlich keine Push ups, Du würdest dann gleich viel weiblicher aussehen!" Dieser Satz hat in mir die Frage ausgelöst, ob ich in Frauenkursen womöglich generell fehl am Platz sei. Ich bekunde ernsthaft Mühe damit zu haben, gerade von einer Frau wegen meiner Figur als unweiblich bezeichnet zu werden. Schwesternzwist ahoi.


Abgesehen davon könnte man doch "seine" Bilder durchaus mal hinterfragen. Denn a) muss/will ich mich a priori "weiblich" präsentieren, b) hat Weiblichkeit überhaupt etwas mit dem Aussehen zu tun? und c) warum streifen wir Frauen uns mit Definitionen der Weiblichkeit gleich selber das Korsett der Gesellschaft über?


Klar, wenn ich mal etwas "dick" auftragen will, ziehe ich ihn auch an, den Push up (die brutalen Metallspangen unterhalb des Körbchens werden natürlich unverzüglich nach dem Kauf entfernt, ich will mich ja nicht umbringen). Trotzdem bin ich jedes Mal glücklich, wenn ich das unbequeme Ding wieder in die Ecke knallen kann. Von Strings wollen wir hier gar nicht erst sprechen.


Ich finde die heutigen Modetrends deshalb bedenklich, weil sie nicht nur gesundheitsschädigend sind, sondern weil sie eine Sinnlichkeit und ein Selbstbewusstsein vortäuschen, welche de facto nicht vorhanden sind. Das habe ich während meiner Tätigkeit in einer Praxis für Frauen erfahren. Die Lektüre entsprechender Literatur hat meine Beobachtungen übrigens bestätigt. Viele junge Frauen sind sehr unsicher und haben Mühe den eigenen Körperwahrnehmungen zu vertrauen.


Zu alledem kommt noch, dass ich es quälend finde, überall zu jeder Jahreszeit diese entblössten, der Lächerlichkeit preisgegebenen empfindlichen Körperpartien betrachten zu müssen. Wir sind hier nicht in Brasilien und nackte Haut kann kaum darüber hinweg täuschen, dass wir auch bauchfrei die "lustgehemmten" Schweizerinnen bleiben, die wir halt sind.


Ich finde es schön, sich ausgewählt und sinnlich zu kleiden. Aber was da momentan getragen wird, ist für mich eher eine Prostitution (lat.: Sich preisgeben, Herabwürdigung) als ein selbstbewusster Ausdruck von Individualität. Ach, apropos "bauchfrei": Haben Sie gewusst, daß die Becken-Taillen-Region, übermässig der Kälte und dem Wind ausgesetzt, einen Trick der besonderen Art hat? Sie setzt dann nämlich Fett an.

 

Autorin/Autor

 

Christa Gerber
Publikationsdatum 27.09.2007
Verein ostschweizerinnen.ch · c/o Nelly Grubenmann · Tellen | Postfach 30· 9030 Abtwil · kontakt@ostschweizerinnen.ch