Gutes Leben im ausgehenden Patriarchat

15:04:2014

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Dr.theol. Ina Praetorius, Wattwil
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Labyrinthplatz Zürich (Zeppelinbild)

Zehn Jahre alt wird am 21. April ein kleiner Text, der seither für viele zu einer wichtigen Argumentations-Grundlage für eine feministische Perspektive auf das Bedingungslose Grundeinkommen geworden ist: “Gutes Leben im ausgehenden Patriarchat - Argumente für ein leistungsunabhängiges Grund- einkommen und weitere Gedanken zum Thema Geld, Arbeit und Sinn” ist die Überschrift, unter der sieben Autorinnen und ein Autor gemeinsam 14 sozial-politische Thesen zur Diskussion stellten. Die Webseite www.gutesleben.org ging am 21. April 2004 online.

 

Erika Bigler

 

Genau zum zehnten Geburtstag, am Ostermontag, 21. April 2014 um 11 Uhr , findet im Labyrinth in Zürich eine kleine Feier statt. Zwei der Autorinnen, Ursula Knecht und Ina Praetorius, laden dazu ein, an diesen Text zu erinnern und darüber nachzudenken, was er in der Welt bewirkt hat und in Zukunft bewirken könnte. Sie werden den Text ganz vorlesen, danach ist bei einem kleinen Imbiss Gelegenheit zum Gedankenaustausch.


Ina Praetorius, für alle, die am Ostermontag nicht dabei sein können, wie ist es zu den 14 sozialpolitischen Thesen gekommen?

Wir sind ja schon seit den Achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit ökonomischen Fragen unterwegs. In den Neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nannte sich meine Bezugsgruppe „Weiberwirtschaft“. Wir, Philosophinnen, Theologinnen, Ökonominnen und Ethikerinnen, haben viel über grundlegende Fragen nachgedacht, schon damals unter Titeln wie „Care“ oder „Reproduktion“ oder „Vorsorgendes Wirtschaften“. Wir haben uns gefragt: Was ist die Besonderheit der so genannt „weiblichen“ Tätigkeiten im Haushalt und in der Pflege? Warum werden sie von der ökonomischen Theoriebildung weitgehend ignoriert, als „Lebenswelt“ oder „Privatsphäre“ oder „Familie“ ausgegrenzt? Was macht sie „weiblich“? Wie verhalten sie sich zur Marktwirtschaft und zu linken politischen Ökonomien?

Wann genau das bedingungslose Grundeinkommen als plausible Möglichkeit der Neuverteilung von notwendiger Arbeit, Geld und Freiheit in den Blick kam, weiss ich nicht mehr genau. In meinem Artikel „Ökonomie“ in der zweiten Auflage des „Wörterbuchs der Feministischen Theologie“ (2002) kommt es jedenfalls schon vor. Und am ersten postpatriarchalen Symposion in Salzburg (2002) war es Thema. Nach diesem Symposion haben sieben Frauen und ein Mann beschlossen, das „leistungsunabhängige Grundeinkommen“, wie wir es damals nannten, genauer unter die Lupe zu nehmen und systematisch mit der Care-Ökonomie zusammen zu denken. So ist der Text entstanden. Er war für uns auch ein Experiment mit dem gemeinsamen Denken und Schreiben im virtuellen Raum. Wir haben den Text nämlich komplett im Internet geschrieben: auf der „Mailingliste Gutesleben“, die Michaela Moser nach dem Salzburger Symposion gegründet hat, um den Gedankenaustauch auch auf Distanz lebendig zu halten. Wir Autorinnen wohnten ja weit voneinander entfernt: in Frankfurt, Freiburg i.Br., Krinau, Scharans, Utrecht, Wien und Zürich. Das hat so gut geklappt, weil wir alle sehr an beidem interessiert waren: am Thema und an der neuartigen Zusammenarbeit im Internet.


Was ist die Kernbotschaft des Thesen-Papiers?

Es geht darum, die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens in die schon seit den 1980er Jahren bestehende Care-Ökonomie einzubetten. Inzwischen wissen es ja alle: ungefähr 50 Prozent aller gesellschaftlich notwendigen Leistungen – Kochen, Putzen, Waschen, Bügeln, Zuhören, Beziehungen pflegen, Hausaufgaben betreuen, Pflegen, Gärtnern usw. – werden gratis in Privathaushalten erbracht. Und die „haushaltsnahen Dienstleistungen“, also professionelle pflegerische und vorsorgende Tätigkeiten in der Kinder- und Betagtenbetreuung, im Spital, in der Reinigungsbranche etc. werden vergleichsweise sehr schlecht bezahlt. Die „wissenschaftliche“ Ökonomie – und mit ihr die Medien – lassen die Hausarbeit meist ganz aus und behandeln die bezahlte Care-Arbeit als Nebensache, oft als „schwierige“ Nebensache, weil sie zeitraubend und emotional ist und sich der Marktlogik mit ihren einseitigen Effzienzkriterien nicht fügt. Wir waren schon damals überzeugt, dass das bedingungslose Grundeinkommen eine zukunftsweisende Idee ist, wenn es darum geht, die Gesellschaft diesseits der herkömmlichen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung neu zu ordnen. Diesen Gedanken haben wir in den 14 Thesen ausformuliert: Schon damals haben wir mit der Frage begonnen, was eigentlich ein neu geborenes Kind braucht. Wir haben also bewusst nicht den Weg der gängigen Ökonomie gewählt, die ja gewohnheitsmässig den „homo oeconomicus“, also den erwachsenen, selbstständigen, wohlversorgten Mann – bzw. ein von ihm abgeleitetes körperloses Pseudoneutrum - in den Mittelpunkt stellt. Vom neu geborenen Kind aus gesehen ist der Gedanke, dass Menschen zunächst einmal etwas geschenkt bekommen, bevor sie tätig werden können, ja ganz naheliegend. Danach untersuchen wir die Auswirkungen des Grundeinkommens auf die drei zentralen, gesellschaftlich notwendigen Arbeitsbereiche: Hausarbeit, Erwerbsarbeit und Ehrenamt.


Was haben die Argumente bereits bewirkt in der Debatte?

In der Schweiz wird das bedingungslose Grundeinkommen ja seit einigen Jahren stark diskutiert: Schon im Vorfeld der eidgenössischen Volksinitiative, die im April 2012 lanciert und im Oktober 2013 in Bern eingereicht wurde, gab es Kongresse und Publikationen zum Thema. Allerdings wird auch in diesen Debatten – wie in der Wissenschaft und in den Medien ganz allgemein – die Frage der notwendigen Care-Tätigkeiten notorisch als Nebensache behandelt: Man versucht immer noch, das Grundeinkommen einseitig von der Geldökonomie her zu verstehen und verwickelt sich dabei regelmässig in Widersprüche. Der gängige Vorwurf zum Beispiel, das Grundeinkommen sei „utopisch“ und „unbezahlbar“, lässt sich leicht entkräften, wenn man vom „Ganzen der Wirtschaft“ statt nur vom Geld ausgeht. Dieser Gedanke ist zwar ganz naheliegend, lässt sich aber in einer patriarchal geprägten und marktökonomisch indoktrinierten Gesellschaft immer noch erstaunlich schwer vermitteln. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir diesen Text schon vor 10 Jahren publiziert haben. Wir können immer wieder auf ihn zurückgreifen.


Wie geht es weiter?

Ich bin Anfang 2012 ins Initiativkomitee eingetreten und bringe seither die postpatriarchale Perspektive dort ein. Das ist manchmal schwierig, aber ich bleibe dran, weil ich überzeugt bin, dass das bedingungslose Grundeinkommen nur care-ökonomisch plausibel gedacht und umgesetzt werden kann. Auch in der internationalen Grundeinkommensdebatte spielt unser Text von 2004 eine immer wichtigere Rolle, denn nachdenkliche Menschen begreifen allmählich, dass wir die ganze Wirtschaft – und damit auch das Grundeinkommen – von der Fürsorgeabhängigkeit-und-Freiheit aller Menschen her neu denken müssen. 


Danke, Ina Praetorius, für das Interview, das nimmermüde Denken und herzliche Gratulation zum 10. Geburtstag des Thesenpapiers "Gutes Leben im ausgehenden Patriarchat - Argumente für ein leistungsunabhängiges Grundeinkommen und weitere Gedanken zum Thema Geld, Arbeit und Sinn". 





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