Wanderung im Alpstein mit Übernachtung auf der Fählenalp

03:10:2013

Tipp

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Fählensee.
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Fählenalp.

Leider wird die Alpe so nicht mehr anzutreffen sein, weil der Bauer Hans mit seinem Vieh nicht mehr hinauf geht. Zu hören war, dass es eine Modernisierung brauche, hoffentlich verhindert der Heimat und Denkmalschutz das Schlimmste. 

Wer den Zwingli- oder Rotsteinpass anstrebt, über die Bollenwees, der geht dem Fählensee entlang, an dessen Ende die Alpe liegt. Sie ist eine von denen die noch zeigt, was man baute vor Jahrzehnten. Und wer bereit ist in einem Massenlager über dem Kuhstall zu schlafen, der kann Einblick gewinnen in dieses Leben.

 

Eveline Jäger

 

Mich hat eine Freundin hinauf gelockt und mitgenommen. Wie gut, täglich habe ich diesen Alpstein vor Augen und so wenig kannte ich ihn. Mit der Bahn fuhren wir nach Weissbad  und mit dem Postauto nach  Brühlisau. Vom Dorfkern, man ist da bereits auf 900m, läuft man zwanzig Minuten auf ebener Strasse bis zum  Aufstieg. Dann geht es, bis weit hinauf, dem sprudelnden, rauschenden Brühlbach entlang, zum Teil sehr steil.

 

Das letzte und steilste Stück kann man umgehen auf einem Pfad über Stock und Stein. Wir haben in 90 Minuten das erste Etappenziel, den Sämtisersee erreicht. Im Gasthaus Plattenbödeli hätten wir uns stärken können für die nächsten 300 Höhenmeter bis zur Bollenwees.

Wir brauchten das nicht, wir packten den Rucksack aus. Es führt eine kurvenreiche, serpentinenartige gut ausgebaute Naturstrasse hinauf . Wer eine Bewilligung hat und ein bergtaugliches Auto der kann sie fahren.
Kurz bevor wir die Höhe erreichten, von der man hinab sieht auf den Fählensee, sagte Rita, mach jetzt die Augen zu. Sie erwartete wohl, dass ich staune wie ein Kind vor dem Christbaum.

 

Doch ich sah nicht mehr als einen ganz gewöhnlichen See, in einem länglichen Becken, an der linken Seite durch einen hohen Felsen kaum zugänglich und rechts den Weg  den wir beschreiten werden. Sehr schnell aber als wir ihm  näher kamen, erschloss sich mir seine Schönheit und mit jedem Schritt den wir machten stieg meine Begeisterung. Andächtig blieb auch ich immer wieder stehen, um ihn zu betrachten.  So klar und so rein liegt er da, als wäre er gerade erst geboren.

Kein Bach und kein Rinnsal speist ihn, allein von seinen Quellen und von dem was vom Himmel kommt lebt er. Auch fliesst sein Wasser nicht in einem Bach zu Tale, er reguliert sich anders. Durch den Schatten der üppig bewachsenen Felswand des Roslenfirst, die sich in seiner spiegelglatten Oberfläche verdoppelt, ist er bis in den Nachmittag hinein tief grün und in den schönsten Smaragd verwandelt. Wenn um die Mittagszeit die Sonnenstrahlen senkrecht herabfallen und der Wind ihn kräuselt, dann ist er  zudem mit funkelnden Diamanten übersät.


Der See scheint sehr tief zu sein. Er lädt nicht zum Bade, obwohl es nicht verboten wäre, hingegen ist es gänzlich untersagt auf ihm herum zu gondeln. Verschiedene Forellen, durch Menschhand zugeführt, tummeln sich darin und erfreuen ein paar Angler. Wir trafen ihn mit tiefem Wasserstand an. Der höchste, den ein Mensch je an ihm sah, dürfte jener im Frühjahr1999 gewesen sein, da waren von der Alpe nur noch die Dachgiebel zu sehen.

Doch höher als die Bollenwees liegt,  könnte er nicht steigen, er würde über den Berg fliessen, dann wäre von der Alpe und vom einzigen Weg dahin gar nichts mehr zu sehen.

 

Auf der Alp

Hans Koller, Bauer in Appenzell Innerrhoden, treibt sein Vieh, seit mehr als zwanzig Jahren auf diese Alp, so wie es sein Vater schon getan hat. Er könnte vom Aussehen her ein Alpöhi sein, aber er wirkt trotz üppigem Bart nicht so alt, was er auch nicht ist. Ihm gehören fünfzig, grosse, weisse  Geissen, mit langem Haar und Zötteli am Hals, zwanzig Kühe und ein paar Schweine, von den Rindern nicht alle. Es sind dieses Jahr über siebzig, sie grasen auf den Höhen weit weg von der Alp.

Ein Pferd ist auch mit dabei, es steht alt und müde bei den Kühen auf der Weide, die Zeit scheint vorbei zu sein, wo es Lasten nach vorne, bis zur Bollenwees, zu tragen hat.


Ab und zu geniesst man auch auf dieser Alp die technischen Errungenschaften, ganz ohne käme man heutzutage wohl nicht mehr aus. Damit Hans schnell vom Fleck kommt, wenn es sein muss, steht ihm ein spezielles Motorrad zur Verfügung. Auch ist ein kleiner, bestens restaurierter, alter Traktor zu sehen, er musste eingeflogen werden. Es gibt viel zu tun, neben dem Melken und Käsen.

Es muss der Mist, besonders, den der Kühe, zusammen genommen werden, auch den auf der Weide. Würde man das nicht tun wäre so eine Alp bald ein scheusslicher Anblick, der Wander wüsste nicht mehr wo laufen und die Kühe hätten dreckige Euter.

Die Fladen, die mit der Gabel zu einem Haufen geschichtet sind, können so aber nicht einfach den Würmern und Käfern überlassen werden, der Haufen muss  bevor die Alp verlassen wird verzettelt sein.


Auf dem Dach liefert eine Sonnenspeicheranlage ein wenig Strom. Er reicht für warmes Wasser in der Käserei, für eine Neonröhre in der Stube, aber nicht zum Kochen, dafür steht Gas zur Verfügung, denn auch das Holz muss her transportiert werden. Der Strom aber reicht auch für den Melkapparat  und für ein schwaches Licht im Stall. Ende August ist ein solches schon dringend nötig, es ist noch ganz dunkel wenn die Kühe geholt werden.


Spätestens dann wird man auch oben auf dem Dachboden im Lager wach, denn die Tiere sind um vieles grösser als jene waren, für die der Stall gebaut wurde. Hans hat seinen Stolz und seine Kühe haben Hörner. Mit diesen stosst ab und zu eine an die Decke, so dass immer wieder ein Zittern durch die Bretter läuft. So lange nicht alle Kühe im Stall sind kann man das Lager nicht verlassen. Die Treppe wird an die Decke verriegelt, so auch wenn die Kühe fertig gemolken sind und den Stall wieder verlassen.


Wer keine Taschenlampe hat, der tappt auf diesem Dachboden im Dunkeln. Rita nimmt immer zwei mit, es gibt so kleine praktische Dinger, die den Rucksack nicht eine Spur schwerer machen. Es kann jemand aber auch das Glück haben eine Stirnlampe unter dem Kopfkissen zu finden, weil er eben sich genau den richtigen Platz aussucht. Das durfte eine Frau erfahren die keine dabei hatte.


Rita wollte sich rasch nach unserer Ankunft für die Nacht einrichten und sie wusste warum. Selbst bei Sonnenschein ist der grosse Raum, man könnte siebzig bis achtzig Leute unter- bringen, spärlich beleuchtet. Auf beiden Seiten unter den Dachgiebeln hat es je ein Doppelfenster und im Dach vier Lücken von der Grösse eines Kopfkissens und der Durchsichtigkeit einer Schweinsblase.


Wir hatten noch die ganze Wahl und konnten uns auf den besten Plätzen einrichten. Rita schlief rechts vom Fenster und ich links. In der Mitte davor befand sich der einzige Tisch im Raum und wir konnten ihn allein für uns haben.

Bis spät in der Nacht kamen noch Leute, die ich nicht kommen hörte, das sah ich erst am Morgen. Eine von diesen Personen ist Olga, die Frau aus Columbien,  die mit ihrem Mann, einem Schweizer, wie Rita die Alp auch mehr als einmal im Jahr besucht.

Vielleicht , weil sie da besonders gut beten kann, jedenfalls  sass Olga, das lange, schwarze Haar offen auf den Schultern liegend, in meditativer Haltung vor einer Schrift, die eine Maria, ein Kreuz und eine Monstranz zeigte. Ich lief an ihr vorbei in die Morgensonne, für die ich ein wenig den Berghang empor steigen musste. Ja, ich kam auch in Stimmung, die schönsten Lieder fielen mir ein.

Andächtig bin ich auch geworden, als ich um Mitternacht hinauf sah zum Sternenhimmel der zwischen den hohen Felsen ein Bild ergab, wie ich es noch nie sah. Auch war ich in Stimmung gekommen, als die Sonne über der Häderen  sich dem Altmann und den Fählentürmen näherte und dann ganz plötzlich nicht mehr zu sehen war, jedoch den Abendschein an den Bergen und im See noch lange zeigte.  

Hier legt sich ein jeder mit den Kleider schlafen die er an hat. Und wer mehr als nur das Gesicht erfrischen will und die Zähne putzen, der muss sehr früh zum Brunnen. Ich habe mir überlegt, was man  tun könnte, wenn man länger bleiben möchte. Mit einem Kübel warmem Wasser im Stall, wenn er  wieder leer und ausgemistet ist, liesse sich ein wenig mehr denn eine Katzenwäsche machen. 


Ich bin erstaunt was für eine schöne Ordnung da herrscht. Niemand läuft davon wie das Kind vom Dreck, ein jeder faltet die Wolldecken, die er in Gebrauch hatte, wieder schön zusammen und legt das Kissen im karierten Überzug darauf. Frisch bezogen wird es nicht, dafür hat man sein eigenes dabei oder man legt ein Leibchen darüber. Eine sehr schöne Zimmermannsarbeit sah ich in diesen alten Balken, die völlig intakt erscheinen und was mich gehörig erstaunt, es ist nicht ein einziges Spinnengewebe zu finden. 


Rita liebt frische Geissenmilch, sie wusste wie und wann man dazu kommt. Das Melken der Tiere beginnt nachmittags, um vier Uhr. Es wird von Hand gemacht und wenn der Kübel voll ist und die Milch in die Kanne umgegossen wird, dann darf man eine Schüssel darunter halten. Ich hatte Geissenmilch, von meiner Kindheit her, in keiner guten Erinnerung, trotzdem probierte ich sie und ich kam auf den Geschmack. Diese Milch war so wunderbar würzig, als wäre sie gepfeffert worden.

Doch mehr als zwei Liter gibt eine Geiss nicht her, darum ist sie auch kostbarer als die von der Kuh. Käsen tut Hans am Morgen, die Milch vom Vortag steht über Nacht gekühlt im Brunnentrog. Das Wasser wird durch einen langen, dünnen Schlauch von einer Quelle hergeleitet.


Zum verarbeiten wird die Milch in einem grossen Kupferkessel erhitzt und von Hand mit einer Kelle in die Formen geschöpft. Dabei hilft Hans niemand, aber er ist froh, wenn ihm seine Mutter, die Marie, das Geschirr wäscht. Es ist erstaunlich wie sie, schon über achtzig, noch arbeiten kann und mag. Das dunkle, graumelierte Haar kurz geschnitten, gekleidet mit  einem Pullover und einer Hose, am Hals pfiffig, ein feines rot gemustertes Tüchlein, sieht sie aus als wäre sie nicht mehr als siebzig.

 

Es scheint als bewältige sie mühelos ihr Pensum, Köchin, Servierfrau und Verkäuferin zu sein, zudem springt sie wenn es Zeit dafür ist, die Kühe und Geissen zu holen. Martha, eine Schwägerin, die ebenso ihre achtzig Jahre zählt, doch längst nicht so fit ist, steht ihr zur Seite. Jeden Morgen dämpft der Küchenboden vom heissen Wasser mit dem er geschruppt wird. Neben der Küche ist die Stube, die mit zwei nicht sehr langen Tischen, Bank und Stühlen, einem grünen Kachelofen und einer schmalen Liegestatt zur Gänze ausgefüllt ist. Über diesen beiden Räumen schlafen sie, die zwei Frauen und drei Männer, die das Alppersonal ausmachen.

 

Das Essen ist entsprechend einfach, aber es geht nichts über die Älplermakronen der Marie und sie macht einen sehr guten Kaffe. Es gibt zum Frühstück Käse von der Kuh, sowie älteren und jüngeren von den Geissen und ich habe eine sehr gute Marmelade gegessen, auch gibt es von allem reichlich.


Ja, und wenn Hans den Gehilfen Martin nicht hätte, dann hätte er schon dieses Jahr nicht mehr auffahren können. Es liess sich auch ein Rinderhirte finden, der aber ist die meiste Zeit oben um nach zu schauen wie es dem Vieh geht, ob der Zaun nicht kaputt ist und der Strom durchläuft. Jürgen ist noch jung, er kommt aus Deutschland, ist von Beruf Förster und ein  Erfahrungssammler.

Müde kommt er abends heim, dennoch packt er an wenn er sieht, es ist noch nicht alles gemacht. Martin hat seinen Hund mitgebracht ein besonders liebes und gutmütiges Tier, von mittlerer Grösse, zottig und fleckig, ganz wie ein Hirtenhund, aber er hat nichts von einem Appenzeller.

Es muss für diesen Hund das wahrhaftige Glück und die  schönste Sommerfrische sein, dass er mit Jürgen den ganzen Tag unterwegs sein darf, und dass er ausleben kann was in ihm steckt. Ein wunderschönes Bild sind die beiden, wenn sie am Morgen losziehen. Jürgen trägt einen Hut mit weiter Krempe, in  der Hand hat er einen Stock und der Hund läuft freudig neben ihm her.


Oliver, einer der da auch einmal Hirte war und just an dem Tag als ich dort war der Alp einen Besuch abstattete, innert sich, dass er nicht so viel Glück hatte wie Jürgen. Der Sommer sei wahnsinnig verregnet gewesen, sogar geschneit habe es. Er sei immer mit nassen Schuhen herum gelaufen, zehn Wochen lang. Über neunzig Rinder habe er hüten müssen zusammen mit einer jungen Frau, die mit einem Rind abgestürzt sei, weil sie ihm helfen wollte.

Sie habe schwer verletzt überlebt und das Tier sei notgeschlachtet worden. Am liebsten hätte er aufgegeben, aber das wäre der Verlust vom ganzen Lohn gewesen. Bezahlt wurde er dann aber gut, zudem habe ihm die Erfahrung kurzfristig einen Job beschehrt, der ihm so viel einbrachte, dass er sein Studium fertig machen konnte.     


Mit Martin hatte Hans keinen Anfänger auf der Alp, er war Bauer und er ging auch auf die Höhe mit den Tieren. Er ist zwanzig Jahre ist er älter als Hans, was keiner vermuten täte. Der Reformierte hätte früher auf einer katholischen Alp nichts verloren gehabt. Wie gut, dass sich die Zeiten auch ändern können. Doch am Kult, wie er hier zu Lande auf eine katholische Alpe gehört, halten Marie und Hans fest.

In der Küche brennt ein ewiges Licht, dafür ist ein Glas gefüllt mit Öl und Hans nimmt allabendlich den Trichter von der Wand und ruft den Alpsegen in die Berge die ihn aufnehmen und im Widerhall zurück geben. Auf der Weide nahe der Alp liegen ein paar Felsbrocken, in einen von ihnen wurde eine Nische gemeisselt, die zur Gänze ausgefüllt ist mit einer grün glasierten Keramik, Maria und Jesus.


Die Tiere wollen gepflegt werden, eine Geiss mit langem Haar muss drei bis vier Mal im Jahr von Verklebungen befreit werden und weil Hans in ein paar Tagen den Marsch ins Tal antreten wird, war es Zeit dafür. Ich sah, dass er sie an den Zaun bindet und ihr mit einem Gerät aus mehreren scharfen Messern durch die Mähne streicht, auch die Klauen werden zurück geschnitten.


Die Sauen sind schon hinunter gebracht worden, auf sie wartete am Bollenwees ein Transportmittel.  Dem See entlang aber mussten sie laufen und ich lache wenn ich mir vorstelle wie sie ihren massigen Körper, eilig und elegant, wie eine Dame auf Stöckel-schuhen, nach vorne tragen. Wüssten sie wohin es geht, dann brächte man sie nicht von der Stelle.

Kein Leben aus Fleisch und Blut entgeht diesem Ende, sie hatten es gut. Reichlich und täglich bekamen sie ihren liebsten Saft, die Molke, sie konnten sich hin und her bewegen, draussen oder drinnen liegen, an der Sonne oder im Schatten, nur ein Vergnügen war ihnen vorenthalten, sie konnten sich nicht suhlen im Dreck.


Die Geissen, die Kühe und die Rinder werden nicht hinunter gefahren, die treten einen langen Marsch an. Sie gehen den steilen Weg hinunter, den wir herauf gekommen sind, sie gehen auf der Strasse die wir mit dem Bus gefahren sind und sie legen eine Strecke zurück für die wir eine viertel Stunde in der Bahn gesessen sind. Das wird sich Hans wohl nicht antun, dass er zwei schwere Treicheln, an einem Joch über den Schultern, der Alpabfahrt  voran trägt. Ich glaube, auch Martin würde sich dagegen wehren. Man wird die  Gruppe trotzdem von Weitem schon hören, dafür genügen auch ganz gewöhnliche Glocken und Glöcklein.                  
 


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