Hunnen und Römern auf der Spur

24:06:2013

Kulturtipp

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Mary Elisabeth Williams als Odabella mit ihren Kriegerinnen (Bilder:Toni Suter).
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Alexander Vinogradov als Attila.
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Alle Hauptdarsteller v.L.n.R. Williams, Ribeiro, Vinogradov und Grassi.

Weitere Vorstellungen noch bis zum 5. Juli 2013

Tickets und weitere Informationen zu den Festspielen

Am Freitag feierte das Theater St.Gallen mit der Premiere von Verdis Attila den Auftakt der Festspiele. Die fantastische Musik wurde durch den Dirigenten Antonino Fogliani sowie den Weltklasse-Sängern Mary-Elisabeth Williams und Alexander Vinogradov zu einem unvergesslichen Erlebnis, mit Blick auf eine morbide, düstere Kulisse.

 

Pressedienst/ Marvin J.M.

 

Die Aufführung von Verdis Oper Attila besticht besonders durch die wundervoll komponierte Musik und die in erster und zweiter Besetzung gleichermassen fantastischen Solisten, die das Theater St. Gallen dieses Jahr wieder zu Gast für die Festspiele engagiert hat. Musikleiter Antonino Fogliani zum vierten Mal am Dirigentenpult führt mithilfe des Sinfonieorchesters und vier Chören souverän durch die akustisch schwierigen Bedingungen des Klosterhofs. Damit erschafft er auch dieses Jahr wieder eine einzigartige Atmosphäre, die dem Publikum mehrmals tosenden Applaus entlockt.


Beginn der Handlung

Die Hunnen feiern ihren Feldherrn Attila, der die Stadt Aquileia eingenommen und niedergebrannt hat. Er staunt über das Auftauchen der römischen Kriegerinnen mit Anführerin Odabella (Mary Elizabeth Williams), die Attila (Alexander Vinogradov) erklärt, dass die Frauen aus grenzenloser Liebe zum Vaterland gekämpft haben.

Attila, von ihrer Tapferkeit und Kühnheit hingerissen, schenkt Odabella sein Schwert, während diese Rache für die Ermordeten schwört.

Der römische General Ezio (Luca Grassi) wird von Attila empfangen und schlägt diesem vor, das Römische Reich in Ost und West zu teilen. So könne Attila über alles herrschen.

Im Gegenzug verlangt Ezio die Herrschaft über Italien. Attila ist angewidert über diesen eigennützigen Verrat, während Foresto (Bruno Ribeiro) mit einer Gruppe von Flüchtlingen im Schlepptau in Aquileia eintrifft und eine neue Stadt gründen will. Er war in grosser Sorge um seine Geliebte Odabella, die sich in der Hand Attilas befindet und wirft ihr nun Heuchelei vor, weil sie sich auf dem Fest der Hunnen vergnügt. Odabella glaubte Foresto tot, schwört aber nun gemeinsam mit ihm Rache an den Hunnen zu verüben.


Weltklasse in erster und zweiter Besetzung

Gleichzeitig gebietet Papst Leo I (Matt Boehler), von einer Vision getrieben, Attila den Rückzug. Für diese Szene wurde zum ersten Mal der Balkon der Kathedrale zum Schauplatz der Bühne. Matt Boehler, verkörpert durch seine Statur und wahrhaft imposantem Bass, die Rolle des Papst Leo I in beeindruckender Weise.

Mary Elisabeth Williams kraftvolle und gleichsam facettenreiche Stimme, würde den Klosterhof auch ohne technische Hilfe mit ihrem einzigartigen Timbre ausfüllen. Eine Diva mit Format, die in Spiel und Gesang niemand unberührt lässt. In den Duetten mit Odabella in perfekter Harmonie verschmolzen ihr Geliebter Foresto, verkörpert durch den Tenor Bruno Ribeiro, der mit gekonnter Technik und emotionaler Kraft die schwierige Aufgabe an der Seite Williams meistert. 

Als Ezio singt Luca Grassi mit routiniertem Bariton, in der Rolle des Attila besticht Alexander Vinogradov mit vollem, sonoren Bass. Anfangs etwas aufgeregt, führt er durch Höhen und Tiefen der kriegerischen, aber auch lyrischen Passagen, in denen er schliesslich den Raum zu verzaubern vermag.

Genau so hörenswert sind in jedem Fall auch die zweite Besetzung, die am Samstag ihre Premiere feierte, mit der Sopranistin Katia Pellegrino, die die schwierigen Arien in der Rolle der Odabella mit unfassbarer Leichtigkeit und Wärme singt, bei dem der Gänsehautfaktor nicht ausbleibt. Aber auch Askar Abdrazakov verschafft Attila mit klaren Akzenten kraftvollen Ausdruck, sowie der Südkoreaner Leo An. Er zeichnet die Rolle des Ezio mit seinem klangvollen, mitreissenden Bariton. Es lohnt deshalb auch ein zweiter Besuch.


Bühne, Kostüme und Licht in einem Guss

Das Bühnenbild in seinem genialen Aufbau zeigt die Trümmer der eingestürzten Kathedrale, übersät von Requisiten-Leichen, die abgehängte Christusse darstellen. Gekrönt von einem überdimensionalen Pferdekopf. Leider konnte der Regisseur Stefano Poda, gleichermassen für Bühne, Kostüm, Maske und Lichttechnik verantwortlich, weder an seinen zahlreichen Interviews, noch an der Matinee glaubhaft vermitteln, was genau seine morbid anmutende „Installation“ mit Pferdekopf, Leichen und Leichenteilen, sowie den Kostümen und die gänzlich mit Schlamm eingeschmierten Darsteller aussagen wollen. Er arbeite aus Visionen heraus, biete den Zuschauern die Möglichkeit, sich eigene Gedanken und Gefühle zu machen, und die eigene Seele zu erforschen. Er verkaufe ja im Gegensatz zu anderen Regisseuren sein Publikum nicht für dumm. Theater habe in erster Linie die Funktion einer Therapie zu erfüllen. Die Vermutung liegt bei all dem nahe, dass Poda, durch hochkompetente Mitarbeiter gestützt, die fähig sind Inszenierung und Bühne auf die Beine zu stellen und die Funktion der Bildung auszufüllen, aus mangelnder Fantasie und Kompetenz einigen stammtischähnlichen, wenig definierbaren Unsinn daherredet.


Keine Inzenierung, sondern gefühlte Energie

Fest steht jedenfalls, dass die Kostüme der Choristen durch deren Überlänge eine Vorwärtsbewegung nahezu unmöglich machen. Da bleiben auch Stolperunfälle hier und da nicht aus. Als Höhepunkt kleidet Poda Odabella und deren Kriegsgefolgschaft in einen mit rotem Gummi bespritzten Mantel. Die Reibung des Gummis mit der, aus Styropor bestehenden Bühne, verursacht ein unerträglich kratzendes Geräusch, das dem Genuss der Arien unverzeihlich im Weg steht.  Auch die Inszenierung der Choristen, im Zeitlupentempo kreuz und quer eigenen Labyrinthgängen nachgehend, nehmen einigen Schlüsselszenen den Fokus. Die Beleuchtung allerdings birgt einige gekonnt eingesetzte, interessante Aspekte. Im Gesamten wirkt die Inszenierung jedoch statisch, langweilig und für ein Sommerfestspiel wenig erbaulich.

Poda hat zweifellos sein Ziel erreicht. Weg von der Inszenierung, hin zu einer gelebten und gefühlten Energie zu gelangen, was besonders die Chöre spürbar vermitteln können. Die Frage ist nur, wohin das in der durchwegs morbiden Form führen soll.

Also bleibt den Zuschauern die Wahl, bei offenen Augen Tod und Verderben ins Auge zu blicken, oder mit geschlossenen Augen den Wundern der Musik zu lauschen, eigenen Bildern nachzugehen und zum Trost das ausgesuchte Konzert- und Tanzprogramm zu nutzen.


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