"Es gibt Dinge, die brauchen Zeit"

Zum 100. Geburtstag von Elisabeth Pletscher

Bild
"Es gibt Dinge, die brauchen Zeit", der Leitspruch der "Grand old Lady" Ausserrhodens.
Bild
Der Landsgemeindeplatz in Trogen. Mit ihm verband Elisabeth Pletscher Leben, Arbeit und Engagement Zeit ihres Lebens.

Erinnerungen und Kultur

Am Freitagabend, 17. Oktober, ab 19 Uhr, organisieren die RAB-Bar Trogen, wo die "Grand old Lady" ihren letzten öffentlichen Auftritt hatte, und die Kronengesellschaft Trogen einen Erinnerungsanlass zum 100. Geburtstag von Elisabeth Pletscher. Dabei werden in der RAB-Bar Bild- und Tondokumente aus dem Nachlass präsentiert und Gäste, die Elisabeth Pletscher kannten, erzählen Anekdoten und persönliche Erlebnisse.

Kurzlesungen aus der Biographie runden den Anlass ab. Im Kulturraum des 5-Eck-Palastes zeigt die junge argentinische Künstlerin, Julia Mensch, eine Bildcollage. Der Anlass wird musikalisch umrahmt von Christian Fitze am Hackbrett. Moderation: Hanspeter Strebel, Redaktor und Pletscher-Biograf. Der Eintritt ist frei.

Am 12. Oktober wäre sie hundert Jahre alt geworden. Die "Grand old Lady" Ausserrhodens ist zwar vor fünf Jahren aus dem Leben gerissen worden. Vergessen ist sie aber noch lange nicht.

 

Cornelia Forrer

12:10:2008

 

Im Matriarchat ist sie aufgewachsen. Ihr Vater, ein Kantonsschullehrer, erlag in frühester Kindheit Elisabeths schon einer Blutkrankheit. So erzog die Mutter die beiden Töchter alleine -  und in einfachsten Verhältnissen, denn zu jener Zeit gab es noch keine Sozialversicherungen. Zu den Vorfahren von Susanne Pletscher-Kern gehörten legendäre Politiker, wie Landamann Jacob Zellweger Zuberbühler, der zu Napoleons Zeiten eine nationale Bedeutung erlangte. Er war auch Erbauer des für protzig gehaltenen Rathauses am Landsgemeindeplatz in Trogen.

Unter den Zellwegern gab es auch reiche Kaufleute und Globetrotter, so dass im Mutterhaus der jungen Elisabeth stets französisch gesprochen wurde. Die Familie mütterlicherseits hatte bis 1881 in Paris gelebt und war stolz darauf. Die starke Mutterfigur, der reine Frauenhaushalt und der selbstverständliche Umgang mit den Fremdsprachen prägten Elisabeth sehr. Sie blieb unverheiratet und war es gewohnt, sich durchzusetzen. Dazu sprach sie fünf Sprachen nahezu perfekt.

 


Die Pionierin

Elisabeth Pletscher war eines der ersten Mädchen, das die Kantonsschule in Trogen besuchen durfte und die Matura erlangte. Ein Studium aber konnte sich die Familie aus finanziellen Gründen nicht leisten. Und Stipendien gab es damals nur für junge Männer. Statt den Berufstraum, Ärztin zu werden, zu verwirklichen, wurde die junge Frau deshalb medizinische Laborantin, ein damals ganz neuer Beruf. 43 Jahre war sie Cheflaborantin am Universitätsspital Zürich, wirkte als Gründerin des nationalen und internationalen Berufsverbandes, pflegte diesbezügliche Kontakte rund um die Welt und präsidierte den Verband während zahlreicher Jahre.

Nach der Pensionierung kehrte Elisabeth Pletscher nach Trogen zurück, wo sie auch während der Berufstätigkeit stets die Wochenenden verbrachte. Nun begann eine intensive Zeit des Engagements im kulturellen, sozialen und politischen Bereich. Elisabeth Pletscher betreute die Musikwochen für junge Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, setzte sich an vorderster Front für ein Mädcheninternat an der Kantonsschule Trogen ein, wirkte als Übersetzerin für die Gemeinde und verhalf der Dadaistin Sophie Täuber-Arp, die in Trogen ihre Jugend verbracht hatte, zu einer Renaissance.

 

Die Engagierte

Wahrgenommen wurde Elisabeth Pletscher auch ihres unermüdlichen Kampfes für das Frauenstimmrecht wegen. Bereits 1959 setzte sie sich in hoffnungsloser Position dafür ein und verblüffte die Männer, die solche "Einmischung in politische Angelegenheiten" nicht gewohnt waren und deshalb gar nicht schätzten. Mehrmals wurden die Frauenstimmrechtsvorlagen kantonal abgeschmettert, doch Pletschers Engagement und das ihrer Mitstreiterinnen war unermüdlich.

Über eine Petition trugen die Frauen ihr Anliegen schliesslich in die eidgenössischen Räte, wo sie Gehör fanden und sich schliesslich durchsetzen konnten. Doch fast 82 Jahre musste Elisabeth Pletscher werden, bis sie erstmals im Ring zu Trogen an der Landsgemeinde stand und mitstimmen durfte. "Es gibt Dinge, die brauchen Zeit", so der Leitspruch der beharrlichen "Grand old Lady" Ausserrhodens, die schliesslich die Ehrendoktorwürde der Universität St. Gallen und weitere Auszeichnungen erhielt und dann zur gefragten Person, zur Top-Referentin und beinahe zum Star wurde, wo immer es sich um Frauenrechte drehte.

 

Die Unvergessliche

Am 29. Juli 2003 wurde Elisabeth Pletscher in der Nähe ihres Wohnortes von einer unter Drogeneinfluss stehenden Frau angefahren und erlag den Verletzungen zwei Wochen später im Spital. Eine Biografie auf der Basis von Gesprächen und Nachlass-Dokumenten würdigt das Leben dieser einzigartigen Zeitgenossin, die nicht nur in der Ostschweiz und Zürich wichtige Spuren hinterlassen hat. Sie hat es verdient, ihr zu gedenken und sich ihres Lebenswerkes bewusst zu sein. An Aktualität haben ihre Arbeit und ihr Engagement bis heute nichts verloren. Es scheint vieles einfacher für uns Frauen, doch ohne Kämpferinnen wie Elisabeth Pletscher würden wir heute noch vielerorts auf der Stelle treten.

Das Buch von Hanspeter Strebel und Kathrin Barbara Zatti "Es gibt Dinge, die brauchen Zeit", ist 2005 im Appenzeller Verlag, Herisau, unter der ISBN-Nummer 3-85882-410-0 erschienen. Die Biografie versteht es, sowohl den Geist als auch das Lebenswerk Pletschers in würdiger Form aufzuzeigen und ist äusserst lesenswert.


zurück            Diesen Artikel versenden            Mein Kommentar zu diesem Artikel
Verein ostschweizerinnen.ch · c/o Nelly Grubenmann · Tellen | Postfach 30· 9030 Abtwil · kontakt@ostschweizerinnen.ch