Exotinnen und Alibi-Frauen – oder warum die einzige Frau noch keinen Frühling macht

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Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer . . .
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Silvia Hofmann.

"Die Mechanismen sind subtil. Sie bewirken, dass im Lauf der Zeit nicht mehr die Person, das Individuum wahrgenommen wird."
Silvia Hofmann.

"Und jetzt müssen wir noch eine Frau vorschlagen". Dieser Satz steht meist am Ende einer Diskussion über die personelle Besetzung eines Gremiums. Sei es der Vorschlag für eine Kommission, einen Verwaltungsrat, einen Parteivorstand, einen Gemeindevorstand, eine Wahlliste oder einen Stiftungsrat.

 

Silvia Hofmann, Leiterin der Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann, GR.

05:11:2009

 

Das passiert unabhängig davon, wie viele Namen von Männern bereits vorhanden sind. Und meist heisst es dann in einem Nachsatz: "Aber sie muss dann schon auch die nötigen Qualifikationen mitbringen." Wenn dann keine Frau gewählt wird, heisst es: "Wir haben gesucht und gesucht – und leider keine gefunden." Deshalb gibt es eine neue Strategie, die sehr beliebt ist: Der Appell an andere Frauen oder Frauengruppen. "Schlagt ihr uns doch Frauen vor!" Das ist eine Chance, denn den Frauen fallen immer gleich dutzendweise andere Frauen ein, die in Frage kämen. Und am Ende wird dann aus diesen umfangreichen Frauennamenslisten eine Frau gewählt. Damit ist die Pflicht erfüllt, und man kann zur Tagesordnung übergehen.


Wirklich? Leider nein. Denn mit dem Einsitz einer einzigen Frau in einem Gremium ist es wie mit dem ersten Kindergärtner. Oder der ersten männlichen Hebamme. Die Person fällt auf. Ob sie will oder nicht. Sie kann sich noch so sehr anpassen, sich an die herrschenden (!) Regeln halten, sich die Umgangsformen aneignen – sie ist eine Exotin. Denn ihre Anwesenheit weckt bei den anderen Mitgliedern des Gremiums auf einer zunächst unbewussten Ebene ein Muster, das da heisst: "Aufgepasst! Wenn eine Frau dabei ist, ist alles ein bisschen anders." Auf der bewussten Ebene verwahren sich die Männer dagegen. Sie begrüssen im Gegenteil, dass eine Frau Einsitz nimmt und freuen sich darüber. Doch mit der Zeit verliert das Bewusstsein allmählich die Kontrolle, und das unbewusste Muster setzt sich durch.


Die Auswirkungen können sehr unterschiedlich sein. Doch einige davon sind typisch. Da wäre einmal das – charmant gemeinte – Kompliment an die Kollegin für die neue Frisur oder das frische Aussehen. Da wären dann die irritiert hochgezogenen Augenbrauen, wenn die Kollegin auf einem schwierigen Punkt beharrt und den Konsens in Frage stellt. Da wäre die geniale Idee, von der Kollegin vorgetragen, vom übrigen Gremium überhört und dann aufgenommen, wenn der Kollege sie noch einmal – oft mit den gleichen Worten - vorträgt. Und da wäre schliesslich das gemeinsame Bier nach der Sitzung, bei dem die Kollegin nicht dabei sein kann, weil der Babysitter sonst Überstunden machen müsste.


Die Mechanismen sind subtil. Sie bewirken, dass im Lauf der Zeit nicht mehr die Person, das Individuum wahrgenommen wird. Sondern: Die Person wird mit den Rollenstereotypien ihres Geschlechts identifiziert. Sie "als Frau" ist zuständig für alles, was "die Frauen" betrifft. Das passiert im übrigen dem einzigen Mann in einem Frauengremium genauso wie der einzigen Frau in einem Männergremium. Sie mutiert zum "Alibi". Entgehen können wir diesem Muster nur, wenn mindestens 40 Prozent eines Geschlechts in einem Gremium vertreten sind. Dann stellt sich von allein der "Normalfall" ein. Und dann, aber erst dann, können wir zur Tagesordnung übergehen.


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