Faszination des Strickens neu entdeckt

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Stricken in Appenzell.
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Sieht gut aus und hält warm: Das Selbergestrickte.

„Achtung, frisch gestrickt“. Die Ausstellung im Textilmuseum St. Gallen dauert bis zum 30. Januar 2011. „Subversive Sorgfalt“ im Museum in Lagerhaus St. Gallen geht bis 14. November 2010. Und „Lismede“ – Gestricktes aus Innerrhoden im Museum Appenzell ist bis zum 27. März 2011 zu sehen. Ferner: Samstag 22. Januar 2011 von 14 bis 17 Uhr „Mit viel Liebe und Geduld“. Innerrhoderinnen präsentieren ihre selbst gestrickten Lieblingsstücke.

Sie ist die kleinste unter ihnen, aber keineswegs die Geringste, die Sonderausstellung „Lismede“ im Museum Appenzell. Sie reiht sich ein in eine Art Triologie der Ausstellungsreihe „Achtung, frisch gestrickt“ im Textilmuseum St. Gallen und „Subversive Sorgfalt“ mit Stickereien von Jeanne Natalie Wintsch im Museum im Lagerhaus St. Gallen.

 

Elke Baliarda

09:10:2010

 

Stricken wird neu entdeckt, so das Textilmuseum St. Gallen. Es präsentiert das Stricken als Trend und weißt darauf hin, dass gestrickte Kreationen auf den internationalen Laufstegen Einzug halten.

Was vor nicht all zu langer Zeit als leicht angestaubte Domäne unserer Grossmütter galt, hat sich emanzipiert. Stricken als gestalterisches Mittel, ob als Fläche, als Ergänzung einer Arbeit oder als ganzes Objekt. Das Textilmuseum öffnet sich auf manchmal revolutionären, manchmal ironischen Einsatz der Stricktechniken. Schon aussen am Museumsbau wird klar, was drinnen geboten wird. Aus einem einzelnen Faden bzw. Seil präsentiert Katrin Mosimann ihre gewaltigen Maschen an der Fassade des Hauses. Das Museum nimmt das Stricken in seinen alten und neuen Formen auf und beleuchtet das Thema von allen Seiten.

 

Subversive Sorgfalt

Unter diesem Titel sind im Museum im Lagerhaus Stickereien von Jeanne Natalie Wintsch zu sehen. Weil sie gewalttätig werden könne, wird sie 1922 ins Burghölzli eingewiesen, später aber in die Kantonale Pflegeanstalt Rheinau abgeschoben. In diese Anstalt wird die Patientin zur Stickkünstlerin.

Mit Vorliebe widmet sie ihre kostbaren Stickereien den Oberärzten, von denen ihr Schicksal abhängt. Verschiedenen Psychiater umgarnt sie auf diese Weise und erreicht 1925 ihre Entlassung.

Es sind gestickte Kalligrafien, symbolisch überhöht mit magisch-okkultischen Zeichen. Sie zeigen Konzentration und Präzision. Mit dieser sorgfältigen Arbeit entspricht Jeanne Natalie Wintsch der zeitgemässen Norm weiblicher Sittsamkeit, nutzt sie jedoch zum Aufbegehren. Die Ausstellung führt erstmals Werke aus der Sammlung Prinzhorn (Heidelberg), der Sammlung Rheinau und der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich zusammen.

 

Lismede

In Appenzell Innerrhoden gilt die Handstickerei als zentrales textiles Kulturerbe. Für einmal rückt jedoch das Museum Appenzell das weniger spektakuläre Stricken in den Mittelpunkt. Damit liess sich zwar kein Geld verdienen, dafür aber welches sparen. Während sie Stickerinnen für den weltweiten Markt arbeiteten und damit zum Lebensunterhalt der Familie beitrugen, war das lismen für den Eigenbedarf gedacht. Im Vordergrund standen dabei aber nicht nur Zweckmässigkeit und Sparsamkeit, die selbst gestrickten Teile sollten zu dem modern und schick sein.

Die kleine Sonderschau thematisiert das Stricken im und für den Alltag. Sie zeigt eine kleine Auswahl von Originalteilen – denn Gestricktes war entweder nicht museumswürdig oder wurde immer wieder neu verlismed. Das Museum Appenzell verfügt aber über eine umfangreiche Sammlung an Fotos aus Innerrhoden, die ein breites Spektrum mit Kindern, Frauen und wenigen Männern in gestrickten Jacken, warmen Mützen modischen Gamaschen, zweckmässigen Strumpfhosen oder Sennensocken zeigt.

 

Ausschnitte aus Schaffhause Strickmusterheften geben Einblicke in die damaligen neuesten Moden und zeugen davon wie komplizierte Modelle selbstverständlich zum Repertoire strickenden Frauen gehörten. Stricken können galt lange als Voraussetzunge, um dem Idealbild der fürsorglichen, geduldigen und fleissigen Hausfrau und Mutter zu entsprechen. Mit der Einführung den Mädchenarbeitsschulen im 19. Jahrhundert sollten die Mädchen deshalb früh in den notwendigsten Handarbeiten- Stricken, Nähen und Flicken- unterwisen werden.

„Zu unserer Ausstellung neu dazu bekommen haben wir den Nachlass einer Handarbeitslehrerin mit allem was sie damals mit ihren Schülerinnen gearbeitet hat. Es sind zum Beispiel Strickübungsstreifen auf denen verschiedene Muster geübt wurden, ferner Flickübungsstreifen (Flicken an Gestricktem) und Flicksocken“, ergänzt Birgit Langenegger, Kuratorin dieser Sondersausstellung. Seitdem die Ausstellung laufe, habe das Museum einige Exponate geschenkt bekommen wie Seelenwärmer, Skistrümpfe, eine Strickjacke aus den 70er Jahren. „Ich warte immer noch auf gestrickte Strümpfe. Zudem interessiere ich mich für geflickte Stickereien und Badehosen.“

Einen Beitrag gibt es auch im Sennischen Bereich. Zu den gelben Kniebundhosen tragen die Sennen kunstvoll gestrickte Kniesocken. Die Ausstellung zeigt Ansichten aus der Zeit Ende 19. Jahrhundert. Auf den Fotokarten sieht man Kniestrümpfe, die den Ideenreichtum ihrer Strickerinnen erahnen lassen. Früher wurden diese Strümpfe aus Leinen oder Seide gefertigt, später dann aus Baumwolle.

„Die Ausstellung findet grossen Anklang, mit dem wir nicht gerechnet haben“, resümiert Birgit Langenegger. Sie sei überzeugt, dass das Interesse am Stricken von neuem geweckt wird.


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