Kein Erbe für Frauen

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Neue Flagge, neues Familienrecht?
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Redaktorin Carmela Maggi stellt sich und anderen unbequeme Fragen und hilft wo sie kann.

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Zwar hat die UNMIK (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo) das geltende Familiengesetz bereits 2004 verabschiedet und in Kosovo damit eine Gleichbehandlung der Geschlechter im Erbrecht gesetzlich verankert. Dennoch lässt dieses sich in der Praxis nicht durchsetzen. In den meisten Bevölkerungsgruppen steckt immer noch die tief verwurzelte Diskriminierung der Frauen, die von albanischen Gewohnheitsrechten herrühren und auch heute noch angewendet werden. Lesen Sie dazu meinen Erfahrungsbericht von einer in der Schweiz lebenden Familie.

 

Carmela Maggi

09:05:2013

 

Vor allem sind sie gastfreundlich, die muslimisch-kosovaren Nachbarn, Familie H. mit den 4 Mädchen. Da Vater H. für eine Anstellung den Wohnort wechseln musste, ist die Familie vor 4 Jahren vom Thurgau nach St.Gallen in dasselbe Mietshaus eingezogen, in dem ich wohne. Seit dieser Zeit klopft abends oft das jüngste der Mädchen an meine Wohnungstüre und piepst in gebrochenem Deutsch: „Komme trinke Tee?!“

Vater H. arbeitet in der Restaurantküche noch bis spät in die Nacht.

So sitze ich mit Mutter H. und den 4 Töchtern, 4,7,9 und 11 Jahre, wir alle im Pyjama, vergnügt in deren Wohnzimmer, trinke türkischen Tee mit Zitrone und Zucker und lasse mich von der fremden Kultur berieseln. Nicht ganz ohne Widerstand, versteht sich. Doch der kommt in süssen Portionen, genau wie die mir angebotenen Häppchen.


In der Luft steht eine Frage, die ich nicht wage, offen zu stellen: Warum die Familie, die ihren Lebensunterhalt nur knapp bestreiten kann, 4 Töchter hat? Blöde Frage! Weil sie auf den ersehnten Sohn warten. Mutter H. stammt aus wohlhabender Familie, die in Kosovo lebt. Ihre 3 Brüder erhielten bereits alle einen Teil vom Land des Vaters, der sich bester Gesundheit erfreut, und bekommen erst noch ein Haus darauf gebaut. Mutter H. bekommt als weibliche Nachkommin nichts! Es sei denn, sie weist einen Sohn vor.


Geplagt von zahlreichen Aborten, drei Kaiserschnitten und Geburten bei denen ihr Leben nur noch am seidenen Faden hing, versuche ich in meiner Sorge, Mutter H. den Gedanken auszureden, noch einmal eine Niederkunft zu riskieren und sich an den vier quicklebendigen und gesunden Mädchen zu erfreuen.

Sie habe auch einen wunderbaren Ehemann, der im Haushalt hilft, das Geld nach Hause bringt und sich rührend um die Familie kümmert. Wir leben doch im 21. Jahrhundert und können den Mädchen die gleichen Rechte einräumen. Ja schon, seufzt sie und nimmt täglich „Die Pille“.

 

Vater H. ist das Ganze gleichgültig, er sieht sich glücklich mit seinem Frauenhaushalt. Dank seiner liberalen Einstellung tragen weder Mutter H. noch die Mädchen ein Kopftuch. Doch auch die Mädchen wünschen sich, wie die Mutter, von ganzem Herzen einen kleinen Bruder.

Die älteste Tochter schaut mich mit erstaunten Augen an, als ich ihr mit sanften Worten eröffne, dass sie als Mädchen doch genau so viel Wert ist. Die jüngste Tochter verneint gar ihr Mädchendasein, zieht sich wie ein Bub an und liebt Fussball über alles. So tue ich, das was ich gut kann; helfe beim Diktat für den Deutschunterricht und bei Matheaufgaben, leihe Märchen zum Lesen aus, biete der Zweitältesten mein Klavier zum üben an, suche die Kontaktadresse für den Profi-Fussballclub und beschenke die Mädchen zu jedem Geburtstag.

 

Ein bisschen Frieden ist eingekehrt. Die Mädchen wachsen prächtig, sind wild, gescheit und anhänglich. Auch heute noch ziehen sie mich mit strahlenden Gesichtern und 8 Ärmchen in die Wohnung und sitzen später bei der Couch auf mir, als wäre ich ein Baum. Familie H. hat sich, auch dank meiner Hilfe, in der neuen Stadt eingewöhnt, den Schweizer Pass beantragt, arbeitet bis zum umfallen, putzt die Wohnung hygienisch sauber, kauft ein Auto mit 7 Plätzen (einer ist für mich) und feiert jeden Ramadan, indem sie auch die Nachbarschaft an den laut aufgedrehten Gebetsvideos teilnehmen lassen. Die Mädchen werden so gut es geht gefördert, Familie H. ist dankbar für alles.

 

Diesen Juli hat das zweitjüngste Mädchen ihren 11. Geburtstag, zu dem ich eingeladen werde. Wir trinken alle zusammen Tee, lachen, singen das obligate Gratulationslied, essen Eistorte vom Lidl, bis ich die kleine Bauchrundung und die roten Wangen im glücklichen Gesicht von Mutter H., sie ist inzwischen 38 Jahre, entdecke. Sie ist im 4. Monat und war schon beim Ultraschall. Es ist ein Junge, Allah sei Dank!


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