Eine Hauptstadt der Frauen

18:07:2014

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Im Wappen von Frauenfeld zeigt das Fräuli dem Leuli, wo's lang geht.
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Die Bananenfrauen schrieben weltweit Geschichte - und tun dies heute noch.
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Die Frauenführungen werden immer gut besucht.

Ob nur Frauenfeld oder ob der ganze Thurgau ein «Feld der Frauen» ist? Stöbern Sie in den Ferien in der Stadt herum. Besuchen Sie einen «Frauenwelt Frauenfeld»-Rundgang und lernen Sie dort Frauen kennen, die im Bericht nicht namentlich erwähnt wurden. Erforschen Sie die «Femmes Tour Amriswil» per Velo. Erfahren Sie mehr über die «Bananenfrauen von Frauenfeld» oder wandern Sie auf den Pfaden der Frauenfelderinnen, die das Feld über den ganzen Kanton hinaus bestellten.

Ich wünsche Ihnen frohe und informative Stunden im Thurgau.

Ihre Cornelia

Ob Frauenfeld wirklich das Feld der Frauen ist? Dies nämlich bedeutet der Name. Die Stadt entstand einst auf dem «Feld der lieben Frau», einem Frauenkloster. So ist es die Gottesmutter Maria, die in der Thurgauer Kantonshauptstadt den Frauen den Boden bestellte. Im Wappen aber zeigt noch heute das «Fräuli» dem «Leuli», wo es lang geht – und es soll sich dabei nicht um Mutter Maria handeln.

 

Cornelia Forrer

 

Im Gemeindewappen von Frauenfeld findet sich tatsächlich eine Frauenfigur, eine sehr starke Frau. Sie zähmt einen Löwen und führt ihn an der Kette. Das jetzige Wappen ähnelt dem alten Stadtbanner aus dem 15. Jahrhundert. Während sich im ersten Wappen das «Fräuli» dem «Leuli» noch abgewandt hatte und ihn auch nicht an der Kette führte, zeigt sie ihm im heutigen Wappen ganz klar «die Herrin».  Die Deutung des Stadtwappens ist noch immer umstritten. Der Löwe soll für die Habsburger stehen, die zur Zeit des einstmaligen Auftauchens des Stadtwappens im Siegel als Nachfolger der Kyburger die reichenauische Vogtei über die Stadt ausübten. Kopfzerbrechen bereitet den Wissenschaftlern nur die weibliche Figur, eine anmutige Bürgersfrau in rotem Kleid. Wäre es die Gottesmutter, wäre sie weniger bürgerlich gekleidet und trüge sicher einen Heiligenschein, finden die Experten. Wer also ist die Dame, die für Frauenfeld steht? Man nimmt denn mal einfach an, dass das «Fräuli» im Wappen ebenfalls an die Herkunft des Stadtnamens anlehnt: «das Feld der Frauen». Ganz unter uns gesagt, munkelt man aber, dass die Frauen in Frauenfeld den Herrschaften schon früh zeigten, wo’s lang geht. Und Frauen sagen in Frauenfeld den Herren der Schöpfung noch heute, wie die Häsin zu laufen hat. 


Stolze Kämpferinnen

Starke und selbstbewusste Frauen gab es im Thurgau schon früher, zum Beispiel jene Frauen, die nicht daran dachten, alle  Moralvorstellungen der Herrschaften zu akzeptieren. Ledige Frauen mit Kind wurden nämlich aus der Stadt verbannt. Für Affären wurde nur die Frau bestraft. Auswärtige Ehepartner wurden nicht akzeptiert, so sie denn nicht wenigstens finanziell auftrumpfen konnten. Per Gerichtsbeschluss erreichten die Frauen, dass in der Gesellschaft doch immerhin zur Kenntnis genommen werden musste, dass eine Frau «an ihrer unehelichen Geburt keine Schuld trage». So wurde auf Druck der Frauen ein Frauenhaus gebaut, das aber allerdings leider eigentlich ein Bordell war und von Männern kontrolliert wurde. Erreicht wurde aber, dass Amtsträger, die Ehebruch begingen und dabei erwischt wurden, von ihrem Amt zurückzutreten hatten. Von den 242 Scheidungsbegehren, die zwischen 1651 und 1800 gestellt wurden, stammten 144 von Frauen – und dies zu einer Zeit, in der Scheidungen nicht  geduldet wurden und als Schande (besonders für die Frau) angesehen wurden. Wie stolz müssen Frauen gewesen sein, damit sie all dies auf sich nahmen, nur um einen ungeliebten oder schlechten Ehemann loszuwerden? Auch im Thurgau wurden im Mittelalter  leider noch Dutzende von Frauen als Hexen hingerichtet, besonders Hebammen, die oft der Unzucht mit dem Teufel bezichtigt wurden oder erfolgreiche Heilerinnen und Kräuterfrauen, denen man ebenfalls einen Pakt mit dem Teufel nachsagte.

Aktive Feldbestellerinnen

Die Gründung eines lokalen Frauenvereins wurde im Jahr 1889 schon besprochen und 1901 unter dem Namen «Thurgauischer Frauenverein zur Hebung der Sittlichkeit» realisiert. Es folgte bald darauf die Schaffung von Logierzimmern durch die Organisation «Freundinnen junger Mädchen». Zu Beginn des ersten Weltkriegs wurde ein erstes Kinderheim geschaffen, und 1919 folgte die Gründung des Thurgauischen Frauensekretariats, die erste professionelle Fürsorgestelle im Kanton. Anna Walder übernahm 1922 die Leitung der Berufsberatung für Frauen, zu einer Zeit also, als Frauen meist nicht daran denken durften, einen Beruf erlernen zu können. Frauenfeld bestellte  auch diesbezüglich in einer Vorreiterrolle schweizweit das Feld der Frauen. Seit gut achtzig Jahren nimmt sich die Frauenzentrale Thurgau den Anliegen und Rechten der Frauen an. Sie war, zusammen mit den weiteren Frauenvereinen und Frauenorganisationen, Mitkämpferin für die formale Gleichstellung der Frau. «Frauen müssen nicht mehr mit Paukenschlag auf der Strasse ihre Rechte einfordern», freuten sich die Verantwortlichen. Sie waren aber schon damals überzeugt, dass es noch viel zu tun gebe und die Feinarbeit angegangen werden musste. Es geht noch heute um Themen wie die Lohngleichheit und um die Rahmenbedingungen, damit Frauen und Männer Beruf und Familie vereinbaren können und das hohe Ausbildungspotenzial der Frauen privat und volkswirtschaftlich genutzt werden kann.


Weitsichtige Erntehelferinnen

Als Anna Walder im Jahr 1926 die Schaffung der Frauenzentrale Thurgau realisierte, waren noch ganz andere Themen aktuell. Damals kannte man noch keinen Mutterschutz, keine Stimmberechtigung und keine ebenbürtige Ausbildung der Mädchen und Frauen, was sich auch Jahrzehnte lang noch nicht verändern sollte. Zu Anna Walders Zeiten ging es um Opfer- und Schulungsfragen, um Kinderbetreuung, Fürsorge und Armenhilfe. Die Opferhilfe, initiiert durch die Evangelische Frauenhilfe, wurde im Auftrag des Bundes zwischen 1993 und 1995 aufgebaut und sollte besonders den Frauen Hilfe und Unterstützung bringen. 1995 schlossen sich die grossen Frauenverbände des Kantons Thurgau zur BENEFO (BEratungsNEtz der FrauenOrgansationen) zusammen und übernahmen die Opferhilfe.  Das von der Evangelischen Frauenhilfe aufgebaute Chinderhuus in Romanshorn wurde vom neuen Trägerverein 1999 übernommen. Die Fäden aber wurden wie meistens in Frauenfeld gezogen. Wenn sich heute die Beratungsstelle in Weinfelden befindet, ist das ein Zeichen, dass die Arbeit der Frauenfelderinnen sich mehr und mehr über den ganzen Kanton auswirkte, und das ist gut so. Doch weiterhin halten starke Frauenfelderinnen oft die Fäden in der Hand. Sie waren aktiv bei der Gründung der Pflegekinderkommission, beim Bau des Töchterheimes in Frauenfeld, bei der Schaffung des «Wohnens auf Zeit» oder beim Umbau des Sonnenhofes in Romanshorn. Gute Felder müssen Früchte tragen, nicht nur im Zentrum, dem eigentlichen Feld der Frauen, sondern im ganzen Kanton, in der ganzen Schweiz und auf der ganzen Welt. Die Frauenfelderinnen haben dafür schon immer den Boden bestellt.


Unermüdliche Vorreiterinnen

Und beim Stichwort Frucht erinnern wir uns hier auch an die Bananenfrauen von Frauenfeld. Die «Rebellinnen für den gerechten Handel» kämpfen seit vier Jahrzehnten für mehr Gerechtigkeit in Politik und Wirtschaft. Bananenfrau Ursula Brunner lebt den Traum des gerechten Handels auf der Welt und wünscht sich ein Bildungsangebot zum Thema «Fairer Handel». Ihre Mitstreiterin der ersten Stunde, Aenni Rotzler, kann die Entwicklung leider nicht mehr mitverfolgen, denn sie hat kürzlich ihr Kampffeld für immer verlassen. Als die Bananenfrauen aktiv wurden, belächelte man sie vielerorts. Sie liessen dennoch nicht locker, aufzuzeigen, was an der Banane krumm ist und dass diese nicht nur ihre süssen Seiten hat. Ein grosser Teil der Bevölkerung ist heute bereit, für fairen Handel mehr zu bezahlen. Dies ist ein Verdienst der Bananenfrauen von Frauenfeld, die unermüdlich sensibilisierten, aufklärten und informierten. Vor vierzig Jahren schon wurde geschnüffelt und abgehört. In der damaligen Zeit des «Kalten Krieges» wurde in Amerika das World Trade Center eröffnet. Der Konsumboom regierte und «man dachte, man könnte und hätte alles», so die Bananenfrauen. Ursula Brunner, Doris Kolb, Aenni Rotzler und weitere engagierte Frauenfelderinnen bereiteten den Boden für die Schaffung der Weltläden und für den weltweiten Fairtrade-Handel. Dabei mussten sie oft bittere Pillen schlucken, denn Max Havelaar wollte zahlreiche Jahre nicht mit den Bananenfrauen von Frauenfeld zusammenarbeiten, so aktiv diese auch waren. Dabei spielte es keine Rolle, dass diese der Organisation jahrelang Spendengelder zukommen liessen und den Handel und dessen Spielregeln von Grund auf kannten und über ein immenses Netzwerk verfügten. Erst 2007 wurden die Bananenfrauen von den Herrschaften der Max  Havelaar-Stiftung endlich anerkannt. Ob dies auch damit zu tun hat, dass die unermüdliche Arbeit von Frauen zwar gern genutzt wird, die Fäden des Handels und der Entscheidungen aber möglichst in männlicher Hand bleiben sollen?  


Links:

www.regiofrauenfeld.ch/xml_1/internet/de/application/d83/d373/f157.cfm   Frauenfeld_Stadtfuehrungen_2013.pdf
provelothurgau.ch/veloroute_femmes_tour.pdf
www.bananenfrauen.ch




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