22. September 2009: Tag- und Nachtgleiche, die Sonne tritt ins Zeichen Waage. Zwei Seiten schwingen sich ins Gleichgewicht: Wärme und Kühle, Licht und Schatten, Klarheit und Nebel. Aussenwendung und Innenkehr im Gleichmass auf der Waage der Zeiten. Wie aussen, so innen.
Patricia Ertl
19:09:2009
Es war auf einer Bergwanderung im Alpstein. Ich war schon früh unterwegs an diesem Morgen. Die Nachtnebel hatten sich langsam in der Sonne aufgelöst und einer dieser klaren schönen Herbsttage brach an. Weiss strahlten die Berge am Horizont, zum Greifen nah. Unterwegs zwischen der Mesmerhütte und dem Blauschnee wurde ich mitten am Tag plötzlich vom Nebel erfasst. Eben noch war die Welt hell und glänzend, dann auf einmal grau, feucht, trüb. Der Nebel wurde so dicht, dass ich den Pfad nicht mehr erkennen konnte. Unwillkürlich musste ich mein Tempo bremsen und innehalten. So schnell kann die Welt sich wandeln, manchmal unerwartet! Habt ihr das auch schon erlebt? Derselbe Ort, aber die Welt kehrt sich um. – Der Nebel bewirkte, dass ich jede Orientierung im Aussen verlor. Keine Anhaltspunkte mehr draussen. Die weisse Dichte warf mich völlig auf mich selber zurück. Meine Wahrnehmung wurde sehr wach und horchte nach innen: Was rät mir jetzt die innere Stimme? Weitergehen? Stille stehen? Warten?
Nebel ist ein Zauberelement. Nebel ist magisch. In Märchen und Sagen ist er das Tor zur anderen Seite, das Verbindungsmedium zu den anderen Welten. Nebel ist Wasser in der Luft. Die Herbstzeichen Waage (=Luft) und Skorpion (=Wasser) fliessen ineinander über. Das Luftzeichen Waage ist ein Zeichen der Zwischenräume, in welchen jetzt so viel geschieht! Waage ist das himmlische Vulva-Tor, das zum grossen Wasser führt, so wie im westlichen Abendhimmel die Sonne sich in den Schoss des Meeres senkt. Früher gehörten die Waagesterne noch zum Zeichen Skorpion. Erst in der Kultur des Alten Sumer um 2300 v. Chr. wurde das Zeichen aufgeteilt in zwei. Immer noch verbindet die beiden eine tiefe Verwandtschaft.
In der gängigen patriarchalen Astrologie wird das Element Luft immer noch als „männlich“ definiert: Geist und Verstand, das rationale Denken, der mentale Vernunftraum. Erstaunlich, was da alles mit einander vermengt wurde! Seit wann sind Gedanken automatisch vernünftig? Und was hat der Geist mit dem Verstand zu tun? Die Luft wurde einseitig kopflastig. Vergessen ging die geflügelte Göttin der Alten Zeiten in ihrer Vielgestaltigkeit: Maat, Isis, Lilith und Athene mit ihren Eulen, Aphrodite und Maria mit der Taube. Sie, deren Zeichen die Feder war, Herrin der Gerechtigkeit und Wahrheit, sie war die Königin des Elementes Luft. Federn waren zu allen Zeiten Zeichen der Verbundenheit mit Ihr, der Geflügelten der Nächte. Federn trugen die Schamaninnen und Medizinmänner aller Völker. Sie zeugten stets von ihrer Beziehung zu den Geistigen Welten.
Es ist übrigens immer wieder interessant, die Verbundenheit eines astrologischen Zeichens mit seinem gegenüberliegenden Zeichen zu entdecken. Der Waage gegenüber liegt der feurige Widder. Sein Symbol ist schon seit Urzeiten überliefert und lässt sich als „Augenvogel“ sehen, insbesondere als Eulengesicht. Die Eulen als Nachtvögel sehen in der Dunkelheit. Ihre runden Augen werden oft sonnenartig dargestellt, Feuersonnen. Eulen sind Symboltiere für hellsehende Fähigkeiten. Es ist das innere Licht, das die Nacht-Welten erleuchtet. Denn die Nacht ist nur dunkel für die äusseren solaren Augen, und wer innerlich sieht, hat Augen für das Licht im Dunkel.
Wir Heutigen Rationalen haben den Bezug zur Nacht und ihren spirituellen Dimensionen verloren. Wir leben in künstlichen Lichtwelten, wo der Zauber der Sterne keinen Platz mehr hat. In der kunstlichtverschmutzten Schweiz müssen wir froh sein, überhaupt noch ein Plätzchen zu finden, wo wir genügend Nachtdunkel finden, um noch etwas sehen zu können vom Sternenhimmel. So sind wir auch tief verunsichert, wenn uns in Herbstzeiten mal der Nebel packt oder die früh einbrechende Dunkelheit. Wenn aussen einfach nichts mehr zu sehen ist! Leicht verliere ich dabei mein Gleichgewicht (=Waage). Und wie steht es mit der Welt meiner Gedanken (=Luft)? Was tun meine Gedanken, wenn ich so plötzlich die Aussenorientierung verliere? Ist der Nebel innen oder aussen? Und wohin komme ich, wenn ich durch den Nebel gehe? Wohin führt mich der Übergang?
Es braucht Mut (Widder!), durch Nebel zu gehen. Wer dabei keinen verlässlichen Pfad unter den Füssen hat und nicht von innen zuverlässig geleitet wird, läuft in den Bergen Gefahr. Solche Herbstwanderungen können uns Spiegel sein für unsere Lebenswanderung. Nebelzonen können in der Tat gefährlich sein. Können Leichtsinnige in die Irre führen, auf Abwege, in tödliche Tiefen. Wer im wässrigen Element des Nebels verunsichert und desorientiert wird, braucht das dem Skorpion gegenüberliegende Zeichen Stier als Hilfe. Stier ist Erde, Festigkeit, stabiler Boden unter den Füssen, innere Substanz, die mich trägt. Wenn ich so ein Vertrauen mein eigen nenne und mich auf ein tragfähiges Selbstwertgefühl verlassen kann, dann werden mich die Nebel nicht verwirren, sondern zu Zauberwelten führen. Auf neue Ebenen.
Getrost kann ich dann durch die Verunsicherung hindurchgehen, die Angst überwinden, die Prüfungen des Skorpions bestehen. Wer in den Bergen durch die Nebelzone schreitet, kann die Sonne auf dem Gipfel als strahlende Erleuchtung erleben, Belohnung für alle Mühen des Aufstiegs. So sind die Natur und unsere Erlebnisse in ihr immer wieder Gleichnisse.
Im Alpstein, als ich so im Nebel stand, suchte ich mir einen Felsen, setzte mich drauf, wartete und lauschte. Meine Geduld wurde belohnt. Auf einmal lichteten sich die grauen Schleier zu wogender Bewegung und überraschten mich mit phantastischen Stimmungen zwischen grauer Verhüllung und blendender Helle. Der Weg wurde wieder sichtbar, und zum Säntis war es nicht mehr weit. Die Felsen gaben Halt und schon bald konnte ich bei einem Glas heissen Tee von weit oben her auf das eindrückliche Nebelmeer hinunterschauen. Staunen über die Übergänge zwischen den Welten.
Herbstzeit beschert uns Klarheit und Nebel. Beides ist da, und beides kann sehr schnell ineinander übergehen. Bedenken wir doch, wie schnell wir die Seiten wechseln können… Schamaninnen und Hexen tun dies bewusst. Sie waren und sind Grenzgängerinnen, sitzen auf dem Zaun zwischen den Welten und haben Zugang zu beiden Seiten. So ein Dasein setzt inneres Gleichgewicht (=Waage) voraus, die Fähigkeit zur Balance und Zentrierung. Stehe ich in Verbindung mit meiner Seele? Oder veräussere ich meine Kräfte in die Aussenwelt? Aber auch das Umgekehrte gibt es, den Verlust des Bezuges zur realen Erde. Weltenflucht gibt es auf so vielen Ebenen, Flucht in schöne Träume, in weltfremde Phantasien, in Fernsehen, in Arbeit, in scheinheilige Beziehungen, in virtuelle Computerwelten. Auch all die Süchtigen, die sich verlieren in den verführerischen astralen Innenwelten, auf welcher Ebene auch immer.
Waage und Skorpion ist wie eine Gratwanderung in den Bergen: wenn ich nicht im Gleichgewicht bin, kann ich auf beide Seiten in den Abgrund stürzen, wie auch immer der heissen mag. Selbsterkenntnis und Respekt vor Grenzen, das sind Anforderungen auf diesem Pfad. Wenn ich genügend vorbereitet bin, gut ausgerüstet und in Balance, dann kann ich mich auf die schmalen Pfade wagen, durch den Schatten der tiefen Schluchten gehen und auf der anderen Seite hinauf zu neuen Höhen, in die Lande des Feuerzeichens Schütze.
Wer in Wahrhaftigkeit durch das Tor der Waage geht und die Wandlungsprozesse des Skorpions glücklich durchläuft, findet zum Licht des Schütze-Zeichens. Damit ist ein inneres Licht gemeint, denn im Aussen neigt sich das Jahr zur dunkelsten Zeit seines Zyklus. Die Schützeenergie ist nicht äusserlich zu verstehen, auch wenn uns die Überfülle an glitzernden Adventslichtern in unseren Einkaufslandschaften das suggerieren mag.
Hier geht es um was Anderes. Früher, als die Nacht noch dunkel war und die Sterne noch leuchteten, da wollte uns die Energie dieser Zeit die inneren Horizonte öffnen. Der späte Herbst wollte unser Bewusstsein zu neuen Ufern führen, über die Grenzen des irdischen Tages hinaus. Die sterbende Sonne gab keine Wärme mehr. Wer sie suchte war auf Innenwelten angewiesen, auf das Feuer in den Häusern, die Kerzen, die Sterne und die Herzen. Wenn es dort hell ist, kommt Wärme von innen.
Das Licht dieser Zeit kommt von Innenwelten. Heute haben wir das vielfach vergessen. Wir hetzen durch die vorweihnächtlichen Strassen auf der Suche nach Geschenken und wer weiss was. Ein seltsames Stressgefühl erfasst so viele von uns in diesen Wochen. In der Natur aber überlebt nur, wer jetzt auf langsam schaltet und auf das innere Feuer achtet. Wer jemals draussen ein Feuer gehütet hat, weiss wie viel Aufmerksamkeit und Pflege es braucht. In unserer Seele ist es nicht anders.
Die patriarchale Astrologie hat zwar das Feuer zu einem „männlichen“ Element gemacht, aber seit Urzeiten waren Frauen die Hüterinnen des Feuers. Vergessen wir das nicht, wenn wir den Herbst durchwandern auf den Winter zu. Er-inn-ern wir uns, welche Pflege unser Seelenfeuer braucht, damit es Wärme spendet und uns erfüllt mit seinem Licht. Die Zeit des Schütze-Zeichens will uns auf diese Dinge hinweisen, wir können seiner Botschaft freudig folgen wie einst die Menschen dem Stern der Geweihten Nacht, der eine neue Geburt verkündete.