Von der Gleichberechtigung zur Weltgestaltung: 40 Jahre Feministische Theologie

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Mary Daly
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Ina Praetorius

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Für die grosse Vorgängerin Mary Daly, die am 3. Januar 2010 gestorben ist, in Dankbarkeit. Wann hat die Feministische Theologie angefangen? Vor vierzig Jahren? Tatsächlich habe ich einmal öffentlich behauptet, die ersten Feministischen Theologinnen - ich erwähnte stellvertretend: Mary Daly, Catharina Halkes und Elisabeth Moltmann-Wendel - hätten sich Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts öffentlich zu Wort gemeldet.

 

Ina Praetorius

12:01:2010

 

Daraufhin erreichte mich aber ein wütender Protestbrief, damals noch auf realem Papier, in dem ich eines besseren belehrt wurde: Schon im Jahr 1962 habe nämlich die Schweizer Juristin Gertrud Heinzelmann mit einer Eingabe ans Zweite Vatikanische Konzil die Gleichberechtigung der Geschlechter in Kirche und Gesellschaft und die Öffnung des katholischen Priesteramtes für Frauen gefordert.

Ich habe mich daraufhin kundig gemacht und festgestellt, dass die empörte Schreiberin Recht hatte. Gertrud Heinzelmann hat nicht nur dem Konzil eine Streitschrift übersandt, ihre Eingabe wurde sogar auf der ganzen Welt zur Kenntnis genommen, wenn auch zunächst vor allem verständnislos.

Der Beginn: Gleichheitsforderungen oder die Wiederentdeckung einer verschütteten Tradition?
Ich habe dann allerdings auch noch gelesen, Gertrud Heinzelmann sei ganz auf die rechtliche Gleichstellung und das Priesteramt konzentriert, um nicht zu sagen: fixiert gewesen. In späteren Jahren, als jüngere Frauen anfingen, sich „Feministinnen“ zu nennen, habe sie sich irritiert von ihnen abgewandt. Zu radikal scheinen ihr, der bürgerlichen Liberalen aus gutem Hause, solche jungen Frauen gewesen zu sein, die ihre Diskriminierung mit dem Instrumentarium des Marxismus zu verstehen versuchten oder Zusammenhänge erkannten zwischen der Unterdrückung der Frauen und sogenannt „allgemeinpolitischen“ Problemen, etwa der Friedens- oder der ökologischen Frage.

 

Unverständlich scheint ihr auch gewesen zu sein, dass Feministinnen wie Mary Daly das Priesteramt in seiner gegebenen Form gar nicht für erstrebenswert hielten, da es integraler Bestandteil einer misogynen Männergesellschaft sei. - War also die Pionierin Gertrud Heinzelmann gar keine Feministin? Weil sie erstens den Namen für sich ablehnte? Und weil sie zweitens zurückwies, was viele von uns (damals jungen) Kämpferinnen für eine conditio sine qua non des Feminismus hielten – und bis heute halten?
Nämlich: dass die sogenannte Frauenfrage kein isoliertes Problem ist, das sich mit Gleichstellungsparolen lösen liesse? Dass sie vielmehr ihren Ursprung hat in einer äusserst folgenschweren Fehlleistung im Kern unserer symbolischen Ordnung? Dass sie folglich nur im Zusammenhang mit den sogenannt „allgemeinen“ Fragen richtig verstanden und beantwortet werden kann? Dass „Gleichberechtigung“ also gewissermassen nur das Eintrittsbillet ist für das, worum es eigentlich geht: nämlich die Umgestaltung des Ganzen jenseits, oder besser: diesseits der vergehenden patriarchalen Ordnung?


Gertrud Heinzelmann war sicher eine Vorbotin der modernen Feministischen Theologie. Gleichzeitig aber vertrat sie eine enge Auffassung von Emanzipation und Gleichstellung, die vor und nach ihr umstritten war. Heute verstehen die meisten unter „Feminismus“ und „Feministischer Theologie“ etwas viel Umfassenderes als sie. Und wir wissen dank der historischen Geschlechterforschung, dass Gedanken, die inzwischen „feministisch“ heissen, in der jüdisch-christlichen Geschichte schon immer einen Ort hatten, wenn auch oft ganz am Rande und nicht selten verfemt:
Schon in der Bibel ist ja die Männlichkeit Gottes nicht unbestritten. Helen Schüngel-Straumann hat in ihrem Buch „Denn Gott bin ich, und kein Mann“  alttestamentliche Aussagen und Motive zusammengetragen, die zeigen, dass das Göttliche hier keineswegs eindeutig mit dem männlichen Geschlecht identifiziert wird, wie viele moderne Bibelübersetzungen vermuten lassen: z.B. Hos 11 oder Gen 1, 26-28. (1) 

Silvia Schroer hat gezeigt, dass im alten Israel, trotz (späterem) Bilderverbot, viele Abbildungen des Göttlichen existierten, etwa die zahllosen Statuetten der Göttin Ashera, die sich zeitweise in fast jedem israelitischen Haushalt fanden. (2)  Klara Butting und Irmtraud Fischer haben erwiesen, dass die alttestamentlichen Prophetinnen keineswegs so randständig sind, wie es auf den ersten Blick scheint. (3)   Elisabeth Schüssler-Fiorenza hat die ersten christlichen Gemeinden als „Nachfolgegemeinschaft von Gleichgestellten“ rekonstruiert, in der Frauen selbstverständlich Leitungsfunktionen übernahmen. (4)

Und das christliche Mittelalter war, wenn ich zum Beispiel den Fokus auf die sogenannte Frauenmystik richte, längst nicht so finster, wie mancher moderne Theologe uns weismachen will. Elisabeth Gössmann, die wesentliche Beiträge zur Erforschung dieser Tradition geleistet hat,  schlägt vor, Frauen wie Hildegard von Bingen, Teresa von Avila oder Katharina von Siena nicht, wie üblich, „Mystikerinnen“, sondern „Theologinnen“ zu nennen. (5)


Einige von ihnen könnten wir auch mit guten Gründen „Feministische Theologinnen“ nennen. Elisabeth Moltmann-Wendel und andere haben Stimmen von Frauen aus den Jahrhunderten seit der Reformation gesammelt, in denen eine Form von Religionskritik zum Ausdruck kommt, die wir heute „feministisch“ nennen würden. (6) - So wird, mit viel Forschungsarbeit und dennoch zwanglos, eine Traditionslinie sichtbar, die sich von den altorientalischen Anfängen des Monotheismus über Prophetie, Weisheit, Urchristentum, mittelalterliche und neuzeitliche Theologie zu dem hin erstreckt, was wir als „Feministische Theologie“ im zeitgenössischen Sinne kennen.


Verglichen mit der Zeit, in der Mary Daly ihre aufsehenerregenden Patriarchatsanalysen veröffentlichte und ich zu studieren anfing, leben wir heute schon mit einem grundlegend revidierten Bild unserer christlich-kirchlichen Vergangenheit. Das ist eindeutig den vielen engagierten Denkerinnen und Forscherinnen zu verdanken, die, trotz widriger Umstände und oft am Rande des akademischen Betriebs, an der Arbeit sind und bleiben. Manchmal wundere ich mich, wie selbstverständlich heute gewisse Theologen von den Forschungsergebnissen der Feministinnen profitieren, wenn es zum Beispiel darum geht, dem angeblich vollkommen rückständigen Islam die Frauenfreundlichkeit des Christentums zu beweisen.


Gleichzeitig sind viele dieser Herren aber nach wie vor ängstlich darauf bedacht, die kritischen Kolleginnen aus ihren eigenen heiligen Hallen möglichst fernzuhalten. Auch Mary Daly hatte zeitlebens ein gespaltenes Verhältnis zum akademischen Betrieb, den sie als freiheitsbeschränkend und allzu bieder wahrnahm.

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