Im westlich-tropischen Tierkreis läuft die Sonne vom 23.8. bis 22.9.2009 durch das Zeichen der Jungfrau; im vedischen Tierkreis vom 17.9. bis 18.10.2009. Am Sternenhimmel ist die Jungfrau eine sehr grosse Konstellation. Und im astrologischen Kreis der zwölf Zeichen das einzige noch explizit weiblich dargestellte Bild des ganzen Tierkreises. Insofern ist Jungfrau ein absolut einzigartiges Zeichen, das unsere Aufmerksamkeit und unsere Fragen verdient.
Patricia Ertl
23:08:2009
Es fällt auf, wie schlecht die Jungfrau bei der Deutung der zwölf Zeichen generell weg kommt. Sie wurde im Kontext der patriarchal-traditionellen Bedeutungen erniedrigt und gedemütigt, reduziert, verzerrt und geschwächt zur selbstlosen Dienerin, stets arbeitsam und fleissig, niemals aufbegehrend, sondern sich passiv und fügsam, still und bescheiden fügend in ihr Schicksal! Ihr praktischer Sinn lässt sie brav im Hintergrund die alltäglichen wiederkehrenden Arbeiten des Haushaltes verrichten und ansonsten hat sie zu schweigen, wie Aschenputtel im Märchen! Kein Wunder, hat dieses Zeichen die jahrtausendelange Abwertung internalisiert und dadurch gelernt, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen.
Doch ursprünglich war die Jungfrau nicht das Bild sittsamer Keuschheit des Patriarchats (unerreichbar im Ideal der kirchlichen Jungfrau Maria), sondern sie war ein Aspekt der Grossen Göttin: die junge Frau, ein Bild von Lebenskraft, Synthese und umfassender Ganzheit! Jungfrau war sie, weil sie unabhängig, frei und selbständig war! Nicht gebunden und unterworfen in einer patriarchalen Ehe. Erinnern wir uns: noch bis 1988 war in der Schweiz der Mann das Oberhaupt der Familie. Von Gesetzes wegen durfte eine Frau ohne seine Erlaubnis nicht ausser Haus arbeiten gehen! Noch im 19. Jahrhundert standen die Schweizer Frauen unter der Vormundschaft ihrer Männer. Von daher kann die ursprüngliche Unabhängigkeit der matriarchalen Jungfrau nicht hoch genug eingeschätzt werden!
Parthenogenese ist die Fähigkeit zur Fortpflanzung ohne männliches Dazutun. Eine weibliche Eizelle kann sich unter bestimmten Bedingungen teilen, auch ohne dass männliche Spermien in sie „eindringen“. In frühen matriarchalen Zeiten, als die männliche Vaterschaft noch keine grosse Bedeutung hatte, kam alles Leben aus der Göttin, ohne dass sie dafür eines Partners bedurft hätte. Die Grossen Göttinnen der unterschiedlichsten Kulturen hatten nahezu alle den Titel der „jungfräulichen Mutter“. Diese Fähigkeit ist nicht zu unterschätzen. Sie hängt vom Selbstbild ab, das wir Frauen von uns haben: Halten wir uns fähig zu selbstschöpferischer Kreativität oder denken wir, dass wir für unsere Entfaltung zwingend auf ein (männliches) Gegenüber angewiesen sind? Halten wir uns selber für ein vollständiges, ganzheitliches und somit ganzes Individuum (= das Unteilbare), oder nur für die (womöglich noch schwächere) „Hälfte“ eines Gegenübers, das uns erst zu Identität und Wert verhilft? Aus dieser Perspektive gesehen ist das Bild der Jungfrau Maria, die vom Heiligen Geist befruchtet wurde, ein zutiefst feministisches. Dies im Sinne einer Aufwertung eigenständiger weiblicher Kreativität durch Inspiration.
Wie kommt es nun, dass die einstige umfassende Göttin der Erde, Fruchtbarkeit und Ernte, die Mutter allen Lebens, die Spenderin der Lebenskraft für alle Erscheinungen auf unserer Erde, erniedrigt wurde zur fleissigen Sekretärin des Patriarchats, zur abhängigen Hilfskraft schöpferischer Männlichkeit, zur kleinkarierten Perfektionistin, die sich nörglerisch in ihren unwichtigen Details verliert? Dies ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund der historischen und sozialen Fakten der letzten fünftausend Jahre Patriarchatsgeschichte mit all den dazugehörigen Geschlechterdefinitionen und entsprechenden Rollenzwängen. Wobei es interessant ist zu schauen, was für ein Wortkreis um die lateinische Jungfrau zu finden ist:
virgo = Jungfrau, Mädchen, junge Frau, unvermählt, Klosterfrau, Nonne
virago = Heldenjungfrau, Heldin
vis (f.), Pl. vires = Kraft, Stärke, Macht, Energie
viridis = grün, jung, frisch (frz. vert)
vireo (Verb) = grünen, erblühen
virgula = Zweig, Rute
virga = Zweig, Rute
virilis = männlich, standhaft, mutig
vir = Mann, Krieger, Streiter, Held
Da liesse sich fragen: leitet sich die männliche Kraft ursprünglich etwa von der weiblichen ab? Oder wollen wir weiterhin den patriarchalen Mythen glauben, die uns das Gegenteil eingetrichtert haben?
Die einstige Göttin in ihrem jungfräulichen Aspekt hatte ein sehr umfassendes Bedeutungsspektrum: das junge Mädchen, die liebliche Frühlingsgöttin im Blumenkranz, die wilde Jägerin in den Wäldern mit ihren Tieren („Herrin der Tiere“, sozusagen die Königin des Tierkreises), die mutige Kriegerin (Amazone), die unabhängig Schöpferische, die Hebamme, die Todbringende. Als solche ist sie klar als „pars pro toto“ zu betrachten, als Teil des Ganzen (eines der zwölf Zeichen), ursprünglich das Ganze selber verkörpernd = die Ganzheitliche, All-Umfassende des gesamten Kreises. Insbesondere in Verbindung mit ihrem vis-à-vis-Zeichen Fische erscheint sie als Jungfrau Maria im Sternenmantel, die kosmische ALL-Mutter.
Maria trägt die Krone mit den zwölf Sternen, die sie als Königin des umfassenden Kreises der Ganzheit ausweist. Sie stand einst in der Mitte des Kreises. Sie war einst die „Herrin im Kreis ihrer Tiere“. Sie hielt die Waage der Gerechtigkeit in ihrer Hand, den Kelch mit Lebenswasser, Pfeil und Bogen; sie führte den feurigen Löwen, sie ritt auf Stier und Bock, hielt die Schlangen in Händen, den Widder und die Fische in ihrem Schoss. Erst das Patriarchat hat sie reduziert zu der Kleinheit und Unscheinbarkeit, die wir heute von ihr wahrnehmen. Der Kreis der Ganzheit wurde aufgesplittert in einzelne Teile, isoliert und der Zusammenhänge beraubt. Es ist geradezu bemerkenswert, dass es, zumindest in der Bildersprache, nie gelang, die Jungfrau und mit ihr das heilige Weibliche in seiner Voll-Macht ganz zum Verschwinden zu bringen!
Als astrologisches Herbstzeichen sehen wir die Jungfrau vor allem in ihrem erdbezogenen Aspekt der fruchttragenden Ernte. Sie ist die Schnitterin mit der abnehmenden Mondsichel (später vermännlicht zum skelettösen „Sensenmann“). Gemäss den Forschungen von Bruno Huber hiess sie im alten Sumer AB.SIN bzw. si’ru (Ackerfurche), dargestellt als Jungfraugöttin mit Ähre, sie war astrologisch ein Haus der Venus (wobei SIN der akkadische Name für den Mond war). Spica, der hellste Stern ihrer Konstellation, steht fast genau auf der Ekliptik, und bedeutet auf Lateinisch Kornähre, Weizenähre. Interessanterweise wird der Tierkreis der vedischen Astrologie an diesem Fixstern ausgerichtet. Die Getreideähre bedeutete gegenwärtige Nahrung und zukünftigen Samen, Leben für heute und für morgen. Die Ähre war auch Symbol des sterbenden und wiedergeborenen Vegetationsgottes in der Hand der Muttergöttin, mit dem Versprechen des neuen Lebens (vgl. das Bild vom Weizenkorn in Joh. 12,24, das in die Erde hinein sterben muss, um von dort wiedergeboren zu werden).
Oft trägt die himmlische Jungfrau einen Palmzweig in ihrer Hand. Gemäss den Forschungen von Gerda Weiler wurde die Grosse Göttin einst als Heilige Palme oder als Feigenbaum dargestellt, fruchtspendend für die Menschen. Sie war der Baum des Lebens, der Stammbaum der matriarchalen Familie, der zentrale Baum im Garten des Paradieses. Auch in unserem Kulturkreis wurde die Gottesmutter und Jungfrau Maria oft als „Baumgöttin“ verehrt (so wurde z.B. das Kloster Maria Rickenbach am Ort erbaut, wo Maria in einem hohlen Ahornbaum erschien bzw. wo ein Hirtenbub ihr Bild hinbrachte). Oft wird sie auch mit Lindenbäumen in Verbindung gebracht, die auf der Spitze eines Hügels stehen (so wie in der Landschaft auf dem Hirzel). Zur Darstellung der Göttin als Lebensbaum liesse sich noch Vieles sagen (vom Christbaum bis zu den sieben Karyatiden), was den Rahmen hier jedoch sprengen würde.
Barbara Walker bringt die Jungfrau in Zusammenhang mit der Ackerfurche, einem
auf der ganzen Welt verbreiteten Symbol für das weibliche Geschlechtsorgan. In den Mysterienkulten der Erdmutter Demeter, im Heiligtum zu Eleusis, wurde ihre Trinität als dreieckige yonische Pforte symbolisiert. Kore, ihr jungfräulicher Aspekt, ist noch in den Wörtern Korn und Kern verborgen. Barbara Walker verbindet mit ihr auch das lateinische cor und das griechische kardia = Herz. Sogar den ursprünglichen Koran bringt sie mit ihr in Verbindung. Eine spätere Abwandlung ihres Namens war Ceres, die römische Getreidegöttin (vgl. „Cerealien“). Demeter vereinigte sich mit ihrem Heros Triptolemos, dem „dreimal Pflügenden“. Er senkte sich in ihre Furche, so wie das Weizenkorn in die Erde sinkt, um darin zu sterben und wieder aufzuerstehen. Der Weg des Kornes ist der Weg des Lebens und der Natur!
An dieser Stelle sei eine Geschichte unserer Zeit eingefügt. Sie erzählt von einem Mann, der seinem Korn helfen wollte zu wachsen: Es war einmal ein Bauer, der lebte auf seinem Hof, der ringsum mit wunderschönen Getreidefeldern umgeben war. Eines Tages geschah es, dass ein fremder Gelehrter bei ihm vorbei kam, und da es bereits gegen Abend ging, bat er um ein Nachtlager. Der Bauer freute sich über den hohen Besuch, und als sie so des Abends miteinander sassen und sich unterhielten, da sagte der Fremde auf einmal:
Was ist mit deinem Korn, dass es noch so klein ist? Ich bin durch Länder gewandert, wo das Korn um diese Zeit schon längst gross und reif ist! Du musst unbedingt etwas tun, um deinem Korn zum wachsen zu helfen!!
Der arme Bauer liess sich vom vielgereisten Fremden und seinen Reden sehr beeindrucken. Und nachdem dieser am nächsten Morgen abgereist war, überlegte er den ganzen Tag, was er unternehmen könnte, um seinem Korn zum Wachsen zu helfen. Und plötzlich kam ihm ein genialer Einfall und er wusste, was er zu tun hatte!
Die Nacht war bereits angebrochen, aber der Bauer war so beflügelt von seiner Erkenntnis, wie er seinem Korn zu wachsen helfen konnte, dass er die ganze Nacht durcharbeitete: Er ging von Halm zu Halm und zog kräftig daran, um ihm so schneller in die Höhe zu verhelfen! Und nachdem er so sein ganzes Feld durchgearbeitet hatte, legte er sich gegen Morgen schliesslich todmüde ins Bett.
Am nächsten Tag aber, als er erwachte und erwartungsvoll auf sein Feld schaute, voller Vorfreude, schon die ersten Ähren reif zu sehen, da erschrak er zutiefst: Sein ganzes Kornfeld lag verdorrt vor ihm und kein einziger Halm stand mehr aufrecht!!
Und so ergeht es auch uns, wenn wir von patriarchalem Wachstumswahn besessen alle natürlichen Zyklen beschleunigen wollen, durch immer grössere Düngermengen unsere Felder vergiften, durch Hormone die Tiere unförmig fett mästen und die Natur zwingen wollen, unseren Zielen zu dienen! (vgl. dazu Markus 4,28: Die Erde bringt von selbst ihre Frucht)
Analog zur obigen Geschichte könnten wir uns fragen, ganz gemäss dem astrologischen Motto: „Wie innen, so aussen – Wie oben, so unten“:
Wenn das Wachstum des Lebens nach gleichen Gesetzmässigkeiten verläuft, was würde geschehen, wenn schwangere Mütter ihre ungeborenen Kinder so behandeln würden wie der Bauer oben sein Korn? Wenn sie wachstumsfördernde „Düngemittel“ zu sich nähmen, um die Schwangerschaft zu beschleunigen und das Kind grösser zu machen? Für die Arbeitgeber wäre das gewiss finanziell interessant. Doch wie wird uns zumute, wenn wir uns das vorstellen?... Göttinseidank ist es trotz aller Wissenschaftlichkeit noch nicht gelungen, die Dauer einer Schwangerschaft zu verkürzen.
Wenn Babys zu früh zur Welt kommen, ist das mit Gesundheitsrisiken verbunden. Warum also tun wir Mutter Erde etwas an, das wir menschlichen Müttern nicht antun würden? Warum erwarten wir gesunde Resultate aus einer Handlung, die auf anderen Ebenen nur Misserfolge und Krankheit bringt? Warum lernen wir nicht von der Natur? Ihre Gesetzmässigkeiten dienen dem Leben, sie bringen reiche Frucht und Schönheit hervor! Gesundheit bedingt Anpassung an die Ordnungsprinzipien der Natur. Das gilt für jedes Wachstum, auch auf der seelischen Ebene. Wer es pushen will, riskiert ungesunde Ergebnisse. Die Rechnung kommt vielleicht erst zu unseren Kindern, doch was wir säen, wird immer als „Frucht“ auf uns zurückkommen.
Wir tun gut daran, uns auf die alten Weisheiten zu besinnen, von unserem Macher-Grössenwahn wieder auf den Boden der Realitäten zu finden und die natürlichen Grenzen anzuerkennen. Mit gesunder Demut könnten wir dann wieder vor dem Wunder des Lebens staunen und seine grenzenlose Magie neu entdecken. Manch magische Bräuche wurden noch bis vor kurzem überliefert. Fragt mal eure Grosseltern! So lebte der klassische Brauch, als Schutzzauber eine Furche um eine Stadt herum zu pflügen, in ganz Europa noch lange im Glauben der Landbevölkerung fort. Noch im 20. Jahrhundert wurden russische Dörfer jährlich mit dieser Zeremonie „gereinigt“, die ausschliesslich in den Händen von Frauen lag: Neun Jungfrauen und drei alte Frauen (Verkörperung der Schicksalsschwestern) pflügten um Mitternacht eine Furche um das Dorf und riefen dabei die Mondgöttin an.
Dies erinnert daran, dass in den matriarchalen Kulturen die Frauen zuständig waren für Ackerbau, Ernährung und Vorräte: sie kultivierten das Land. In der Mythologie wird das Land oft mit dem Weiblichen oder der Landesherrin selber gleichgesetzt. In den landwirtschaftlichen Kulturen ermöglichten die Frauen die Autarkie des Überlebens. Sie waren die Ernährerinnen des Volkes so wie die Mütter ihre Kinder mit ihren Brüsten nähren. Der Furche ihres Landes entsprang das Leben. Ist es „Zufall“, dass die heilige weibliche Öffnung in den englischen Wörtern hole (Loch, Höhle, Grube) fast gleich klingt wie holy (heilig) und whole (ganz)?
Die Frauen brachten die Ernte ein, sie mahlten das Getreide zu Mehl, buken Brot daraus und stellten Vorräte her für den Winter. Dafür mussten sie vorausdenken, vorausschauend planen: sie fanden das für die Landwirtschaft massgebliche Kalender-Wissen von Mond und Sonne. Als Priesterinnen waren sie auch Astronominnen und Astrologinnen. Vermutlich waren sie auch die Gründerinnen des tropischen Tierkreises, welcher das unabdingbare Orientierungsinstrument für die landwirtschaftlichen Handlungen war (er war der Ursprung unserer mit Terminen gefüllten Agenda). Die Frauen erfanden das Kochen der Lebens-Mittel, die Heilkräuterkunde, das Medizinwissen und die ganze Heilkunst. Sie ernährten die Kinder und pflegten sie, damit das LEBEN wachsen und sich entfalten kann! Ihr Wissen vom Leben war umfassend von der Wiege bis zur Bahre!
Nicht von ungefähr ist Merkur, der Planet des Wissens und der Kommunikation, im Zeichen der Jungfrau erhöht! In den patriarchalen „Naturwissenschaften“ wurde er zum rational-analysierenden Kopfplaneten abgespalten. Doch ursprünglich war er das Heilwissen, das dem Leben dient und Himmel mit Erde verbindet. Bei heutigen Universitäten ist noch heute die Metapher „Alma Mater“ zu finden, eine Erinnerung daran, dass Wissen und Bildung einst weiblichen Ursprungs waren und auch die Seele nähren wollten…
Die heilige alltägliche Arbeit der Frauen sorgte (und tut das immer noch) für das Leben der Menschen und des ganzen Volkes. Frauen waren die erste Anlaufstelle für die Versorgung von Wunden aller Art, körperliche und seelische. Als Medizinfrauen (vor der Erfindung der Pharmaindustrie) brachten sie Linderung und Heilung bei allen Verletzungen. Sie wussten, dass für jede Krankheit in der Apotheke der Natur ein Kraut gewachsen ist. Die Göttin Hygieia („Gesundheit“, daher unser Wort Hygiene) und ihre Schwester Panakeia („die Allheilende“) waren einst die beiden Brüste der Grossen Mutter Rhea Koronis. Später wurden sie zu „Töchtern“ des antik-göttlichen Arztes Asklepios herabgestuft.
Im Patriarchat galten heilkundige Frauen als gefährlich, sie wurden als Hexen verbrannt. Schon 300 v.Chr. sollte die mutige Agnodike, die als Mann verkleidet Medizin studierte und als Ärztin arbeitete, als Strafe dafür getötet werden! Erst im Jahr 1868 wurde Marie Heim-Vögtlin als erste Frau zum Medizinstudium an der Uni Zürich zugelassen (es brauchte dafür die Unterschrift ihres Vaters). Als erste Schweizer Ärztin war sie dann erfolgreich als Gynäkologin mit eigener Praxis tätig. Sie pflegte zu sagen: «Man kann intelligent sein, unabhängig und trotzdem den Garten selber machen.» (www.uniaktuell.unibe.ch). Als Astrologin könnte ich das zum Leitspruch der Jungfrau erheben!
Es kommt nicht von ungefähr, dass noch in der heutigen Astrologie die Jungfrau und das ihr zugehörige sechste Haus mit allen Themen von Gesundheit, Krankheit, Medizin, Pflege, Ernährung u.s.w. zusammenhängt. Alle Arbeiten und sozialen Dienstleistungen, die der Aufrechterhaltung des Lebens dienen, gehören in diesen Bereich. Es sind die sogenannten Basisarbeiten, ohne deren Verrichtung keine Gesellschaft und kein Mann überleben könnte. Und es ist weiss Göttin kein Zufall, dass gerade diese Tätigkeiten noch weitgehend als Frauenberufe gelten, die entsprechend tief entlöhnt werden, bis vor kurzem noch Sklavinarbeit für „Gottes Lohn“! Hausfrauenarbeit gilt noch heute nicht als Arbeit, die einer Bezahlung bedarf. Während Männer Zivildienst „leisten“, beziehen Frauen Mutterschafts-"Urlaub“! Die alltägliche Arbeit von Müttern wird kaum gewürdigt. Sie gilt als selbstverständlich, so wie die Pflege von Kranken und Alten im Haushalt.
Der spirituelle „Gegenpol“ (besser: Mitpol) des Erdzeichens Jungfrau, die kosmischen Fische, war vor der patriarchalen Abspaltung noch heilig verbunden mit den Vorgängen auf der irdischen Bühne. Alltag war sakral eingebunden. Die Tätigkeiten im Jahresverlauf von den Vorgängen am Himmel gelenkt. Wie oben, so unten. Auch die Sexualität barg noch Numinoses und Göttliches. Gemäss Barbara Walker war „Heilige Jungfrau“ ein Titel der Tempelpriesterinnen der Ishtar, Aschera, Astarte oder Aphrodite. Sie hatten die Aufgabe, durch sexuellen Gottesdienst den Segen der Mutter zu erteilen, zu heilen, wahrsagen, heilige Tänze aufzuführen, sowie Totenklage zu halten. In Rom wurden sie Virgines oder Venerii genannt. (siehe Venus: < lat. veneror: verehren, anbeten, huldigen). Heilige Sexualität war ein Akt der Verbindung von Himmel und Erde (Fische und Jungfrau), der Heiligung und Heilwerdung.
Ich liebe Barbara Walker für ihr Lexikon über das „Geheime Wissen der Frauen“. Daraus ist zu entnehmen, dass die Heiligen Jungfrauen oder Tempelhuren auch Alma Mater hiessen: die nährende, Segen spendende Mutter, Seelenlehrerin oder Seelenmutter. Huren waren einst heilig, auch wenn wir uns das heute nicht mehr vorstellen können. Hebräische Evangelien bezeichnen Maria als almah. Das heisst „Jungfrau“ und wurde abgeleitet von der persischen Al-Mah, der unverheirateten Mondgöttin, ein Titel der Tempelfrauen. Die von solchen Frauen im Tempel geborenen Kinder, insbesondere zahlreiche halbgöttliche Helden, wurden „jungfrau-geboren“ genannt. Gemäss dem Protevangelium des Jakobus (welches nicht unter die Schriften des Neuen Testamentes aufgenommen wurde) war Maria eine solche Tempeljungfrau. Die Szene bei Lukas 1,28 kann auch als Schwängerung gelesen werden: Maria sass im Tempel, als der Engel Gabriel „bei ihr eintrat“; Gabriel bedeute wörtlich „göttlicher Gemahl“.
Körperliche Jungfräulichkeit wurde erst im Patriarchat wichtig zur Sicherung der Vaterschaft der Kinder und der väterlichen Erblinie. Der Titel Jungfrau hatte ursprünglich nichts mit Keuschheit zu tun, sondern stand einfach für „unverheiratet“. Erst im Patriarchat wurde die Bezwingung der fleischlichen Gelüste und ihre männliche Kontrolle zu einer „Tugend“, ohne welche der Himmel nicht erreicht werden kann: Askese, Kasteiung und Keuschheit (Zölibat) als Weg der Heiligung gegenüber der teuflischen Fleischeslust! Das Weibliche wurde auf das Körperliche reduziert, seine Spiritualität verneint, seine Natur sexualisiert und verteufelt.
Unglaublicherweise wird die biblische Eva noch heute vollkommen unreflektiert als Bringerin alles Bösen zitiert; als Verführerin, die den Adam und mit ihm alle Männer ins Verderben ziehe. Interessant ist, dass sogar die jungfräulichen Nonnen in den Klöstern noch als „Bräute Christi“ verdeckt-sublimiert mit (himmlischer) Sexualität verbunden wurden. Wobei im Sprachgebrauch der „Unbefleckten“ immerhin eingestanden wird, dass der Fleck nicht von der Frau kommt. Das ändert aber nichts daran, dass die gesamte materielle (< mater!) Welt aufs Tiefste abgewertet und entsprechend ausgebeutet wurde! Was keinen Wert hat, darf vergewaltigt werden.
Nach Vergil entsprach das Sternbild Jungfrau der Erigone, der Göttin der Gerechtigkeit, die auch als die göttliche Sternenjungfrau Astraea, die „Strahlende“, die „Sternenklare“, bekannt war. Sie wurde manchmal auch mit Libera/Libra (Sternbild Waage) gleichgesetzt, der Herrin der Waagschalen, himmlischen Richterin und Lenkerin des gerechten Schicksals. Die römische Astraea wurde auch mit der griechischen Dike („Gerechtigkeit“) gleichgesetzt, eine der drei Horen (> Huren). Die Horen waren „Stundenfrauen“, Regentinnen über die Jahreszeiten und Stunden des Tages, Herrinnen der Zeit (daher auch das Horoskop!); im Christentum besteht eine ferne Erinnerung an sie noch in den klösterlichen Stundengebeten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Dike war der Jungfrau/Mädchen-Aspekt der Göttin Themis, der Göttin der Gerechtigkeit und der Naturgesetze! Dike verfolgte alle Ungerechtigkeiten der Menschen, namentlich auch Rechtsverletzungen von Seiten der Richter.
Dike war die letzte der Unsterblichen, welche die blutgetränkte Erde verliessen, nachdem auf das ursprüngliche Goldene Zeitalter das Silberne und Bronzene und schliesslich die Dunkelheit der modernen Zeit mit dem Eisernen Zeitalter gefolgt war. Aus Enttäuschung über die herr-schende Ungerechtigkeit flog Dike zum Himmel, wo sie seither den Menschen als Sternbild der Jungfrau nur noch in der Nacht erscheint. Die Verheissung ihrer Wiederkehr und die zu erwartende Geburt ihres Kindes, welches das Goldene Zeitalter wiederherstellen würde, machte es den Christen leicht, Virgo mit der Jungfrau Maria in Verbindung zu bringen.
Darum, liebe Frauen, lasst uns hoffen, dass Dike bald wiederkehrt! Sucht sie in der Nacht, bestaunt ihre Sterne! Wir brauchen die Jungfrau und ihren Sinn für Gerechtigkeit. Wir brauchen ihren klugen Rat zur Gesundung der Erde und zur Heilung unserer eigenen Verletzungen an Körper und Seele. Wir brauchen sie im Alltag bei all unseren Aufgaben, um mit ihnen wieder dem Leben zu dienen, statt uns weiter zu vergiften. Ruft sie herbei, bei ihren Namen in allen Sprachen, damit sie zurückkehrt und uns hilft! Damit wir den Weg zur Ganzheit wieder finden und den Zauber ihrer Magie wieder erfahren.