Spontanbesuch bei Mutti - oder wie ich von der Freiwilligenarbeit bei der MS Gesellschaft Wil und Umgebung erfahren habe

22:08:2013

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Freiwilligenarbeit - jemandem etwas schenken.
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Alles was du gibst, kommt auf ein Vielfaches zu dir zurück.
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Ferien mit der MS Gesellschaft Wil und Umgebung.

Ich habe das Privileg zu jeder Tag- und Nachtzeit bei meinen Eltern rein zu schauen. So auch heute, es ist längst dunkel. Ein kurzer Anruf voran und etwas später steh ich im 2. OG vom Wohnhaus meiner Eltern.

 

Cornelia Kliesch

 

Wie immer steht die Wohnungstüre bereits einladend offen. Aber heute ist etwas anders. Heute empfängt mich nicht wie gewohnt, gemächliche Ruhe, auch nicht der leise Klang des Radios. Nein, heute kann ich Gelächter hören. Gelächter von meiner Mutter und eindeutig, das andere Lachen gehört zu einem jungen Mann! Es ist nach zehn - ich bin verdattert.

Leicht irritiert trete ich ein. Ein unglaublich herzlicher junger Mann sitzt grinsend am Esstisch meiner Eltern. Meine Mutter stellt uns vor. Das ist Christof, er ist von der MS-Gruppe und wir besprechen gerade die Ferien im Tessin. Ich setze mich zu den Beiden. Ich erfahre dass Christof ein Patient ist und in einem beratenden Beruf tätig ist. Ich schätze ihn so um die Dreissig. Ein gut aussehender sympathischer Typ. Der gemäss dem vertrauten Wortwechsel zwischen ihm und meiner Mutter, wohl gerade eine ganz schwere Zeit durch gemacht hat. Ich weiss nicht so recht wie ich mich benehmen soll. Aber die kecke Art von Christof und die Herzlichkeit zwischen ihm und meiner Mutter, machen es mir leicht, schnell mitzuziehen.

Meine Mutter ist die Präsidentin der MS-Gesellschaft Wil und Umgebung. Sie hat alle Fäden in der Hand. Ich habe meine Mutter in den gut 40 Jahren schon in so manchen Lebenslagen erlebt, aber so geschäftlich, ehrlich, so noch nie. Ich kann die langjährige Erfahrung, die Professionalität und auch die Freude die sie sichtlich an dieser Tätigkeit empfindet, in jeder ihrer Züge erkennen. Ich freue mich für sie und habe auch ein grosses Fragezeichen. Was macht meine Mutter da eigentlich genau? All die Jahre? Ok ich habe immer gewusst, dass sie eben für diese Gesellschaft ehrenamtlich tätig ist. Aber was macht sie denn da nun genau?

Viele Tage später zu Hause, ich recherchiere im Internet nach dieser Gesellschaft. Ich erfahre wie die MS-Gesellschaft Schweiz organisiert ist. Finde die Ansprechstellen der MS-Gesellschaft Wil: Frau Johanna Zäske, Präsidentin. Es gibt diverse Anlässe, wie Lotto, Grillplausch, Zoobesuch, Theatervorstellungen und eben auch Ferien. Vor mir die trockenen Fakten. Mit meiner Frage bin ich immer noch nicht weiter gekommen. Was macht meine Mutti da eigentlich genau? Ich schreibe ihr eine SMS: "Mami, kann ich vorbei kommen und dich interviewen?"

Wieder viele Tage später. Ich sitze am gleichen Esstisch aber diesmal mit Schreibblock und Stift gewappnet und mit nachfolgenden Fragen. Meine Mutter scheint etwas angespannt. Ob sie mir es nicht zutraut, dass ich ihr Engagement erfassen kann,  so wie sie es sieht? Ich gebe mein Bestes und fang gleich an sie zu fragen:

"Mutti wie und wann bist du eigentlich zu der Arbeit bei der MS-Gesellschaft Wil und Umgebung gekommen?"

"Nun, eine Nachbarin hat mich gebeten sie zur Kirche zu fahren. Sie ist im Rollstuhl."


"Sie hat also MS?"

"Ja. Sie war diejenige die mir erzählte, dass immer Leute mit einem Auto gesucht werden für die MS-Gruppe. Das war 1990. Ich habe mich dann erkundigt und konnte gleich anfangen. Da die Stelle der Präsidentin frei war, hatte ich mich auf ein Probejahr geeinigt und danach und nach einem Kurs dieses Amt übernommen."


"Hattest du keine Berührungsängste?"

"Ja ich hatte anfänglich schon Unsicherheiten, aber ich habe gelernt, dass der Satz: 'Wie kann ich ihnen behilflich sein?' reicht. Es ist der gesunde Menschenverstand der zählt. Es braucht keine besonderen Vorkenntnisse, aber man sollte eben nach ihren Bedürfnissen fragen. Hinter jedem MS Betroffenen steckt ein eigenes Krankheitsbild. Nicht umsonst sagt man, dass MS eine Krankheit ist mit tausend Gesichtern."


"Was war denn die schönste Rückmeldung die du bekommen hast?"

(überlegt etwas)
"Nun, dass halt überhaupt Dankbarkeit zurückkommt. Das ist im Gegensatz zum Familienleben nicht immer der Fall."

(Ich nicke ihr zu)


"Wie viel Zeit investierst du in diese Arbeit?"

"Pro Woche? Ich würde sagen das sind etwa 2 bis 3 Stunden. Wir sind rund 10 Helfer für 10 Patienten in Wil und der Umgebung. Wir machen einen Jahresausflug, Spielnachmittage, einen Fastnachtsanlass, eine Weihnachtsfeier und Spaziergänge. Ich bin da für Besuche, bekomme Anrufe und Post. Ich organisiere den IV-Bus und die Privatwageneinsätze."

(Meine Fragen sind zu Ende. Wir unterhalten uns weiter.)


Profimässig wie meine Mutter nach so vielen Jahren als Präsidentin tätig ist, schickt sie mir gleich nach meiner Anfrage für das Interview folgenden Text:


"Ich mache ehrenamtliche Arbeiten, weil ich eine sinnvolle Beschäftigung und eine Abwechslung aus dem manchmal tristen Alltag gesucht habe. Ich bin froh, dass ich sie gefunden habe und jetzt wo ich pensioniert bin, kommt mir das noch mehr zu Gute. Ich bin gern mit Menschen zusammen. Es bestärkt das Gefühl das man gebraucht wird. Es ist immer sehr gesellig und es entstehen manchmal sogar Freundschaften. Man bekommt soviel zurück. Ich sehe in den Behinderten gleichberechtigte Menschen, die eben nur ein Hindernis haben und deswegen eingeschränkt leben müssen. Einander helfen ist gut, aber auch Hilfe annehmen können, das ist manchmal gar nicht so einfach. Das kennt man ja auch von sich selber. Wie schwer ist es dann also für die MS Patienten, weil sie oft hilflos ausgeliefert sind, sich helfen zu lassen, da es ja nicht mehr anders geht."


Ich danke meiner Mutter von Herzen, dass sie mir diesen Einblick in ihr Leben gestattet hat.


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