Mit Purim feiern die Juden die Königin Ester

19:03:2014

Vom Waisenkind zur bis heute verehrten Heldin

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Königin Ester - auf dem Bild mit ihrem Adoptivvater und Vetter Mordechai - war für die alten Meister ein gern gemaltes Sujet.
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Das Ester und Mordechai-Mausoleum in Hamadan, Iran, ist bis heute ein Anziehungspunkt für Juden und Christen auf der ganzen Welt.

Anmutige Königin Ester

Ester war nicht irgendwer. Sie war eine Jüdin in Persien. Sie war eine  Frau, die als Waisenkind aufwuchs, von ihrem Vetter adoptiert und schliesslich Königin wurde. Ob Märchen oder nicht, das spielt gar keine Rolle. Fakt ist, dass Ester von den Juden bis heute für ihren Mut verehrt wird. Die jüdische „Fasnacht“ ist dieser Frau gewidmet und läutet auch gleich die jüdische Fastenzeit ein.

Die Fasnacht war für uns Christen schon vorbei, als die Juden erst damit begannen. Purim, der jüdische „Karneval“, ist aber im Gegensatz zu unserer Fasnacht, einer Frau geweiht. Wir geben uns am Karneval der Völlerei hin, feiern, lassen die Sau raus, bevor die Fastenzeit beginnt, mit der wir uns auf den Leidensweg und die Auferstehung des Sohnes Gottes vorbereiten. Purim aber ist ein Fest der Freude und Befreiung, mit dem Hintergrund der Taten einer grossen Frau: der wundervollen Königin Ester.

 

Sarah Forrer

 

Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, welche Kraft eine Frau wie Ester haben musste, wenn sie denn wirklich gelebt haben sollte. Die alttestamentliche Familienstruktur war patriarchal. Mit der Heirat wurde die Frau entrechtet und wurde zum Eigentum ihres „Herrn“. Ihr Mann konnte mehrere Frauen haben, während sie jungfräulich bleiben musste und im Haus ihres Vaters lebte bis zur Heirat, in der sie nur ihrem Mann zunutze sein durfte. Ehebruch hatte die Todesstrafe zur Folge. Im Buch der Sprichwörter (Spr 31,10-31) sind die Eigenschaften einer Frau klar beschrieben. Es gab einzelne Prophetinnen, doch selbst diese hatten keinen uneingeschränkten Zutritt zum Tempel.  Die Frauen durften nur im Frauenvorhof beten. Sie hatten dem Manne Untertan zu sein, ihre Pflicht zu erfüllen und Kinder zu gebären. Sie konnten zwar ein Erbe erhalten, zum Beispiel Jiobs Töchter oder Moses Frauen, doch nur, wenn es keine männlichen Geschwister gab. Ein Erwerb war in ganz seltenen Fällen möglich und wird so in der Bibel erwähnt. Im Familienstamm sind Frauen zu jener Zeit aber kaum aufgeführt – und wenn überhaupt, hatten sie meist die Mutter- oder Stammesmutterolle inne.

Von jüdischer Herkunft

Ester war eine jüdische Waise und Adoptivtochter ihres Cousins Mordechai in der persischen Diaspora im 5. Jahrhundert vor Christus. Aufgrund ihrer Ungehorsamkeit wurde Königin Waschti, die erste Frau des persischen Königs Ahasveros, vom Hof gewiesen. Die anmutige Ester nahm ihren Platz ein, verheimlichte aber ihrem König ihre jüdische Herkunft. Ihr Adoptivvater Mordechai hatte einen Posten am Tor des königlichen Palastes und belauschte, wie der König ermordet werden sollte.  Ester warnte ihren Mann und Mordechai erwarb die Gunst des Königs, was aber höhere Regierungsbeamten wie Haman nicht dulden wollten. Haman nützte aus Wut das Vertrauen des Königs aus und überzeugte ihn, das jüdische Volk im persischen Reich zu vernichten, weil dieses sich den Riten und Gesetzen nicht beugen wolle. Mit königlichen Siegel wurde im ganzen Reich verkündet, dass am 13. Tag des 12. Monats  (im persischen Kalender der Monat Adar, im gregorianischen der Februar, bei uns der März) die jüdische Bevölkerung als vogelfrei erklärt werde und vernichtet werden dürfe. Ester erfuhr per Zufall vom Wehklagen ihres Adoptivvaters, der in Trauerkleider gehüllt in Susa, einer grossen Residenzstadt, die kommende Katastrophe beweinte. Sie sendete ihm Boten zu, um den Grund seiner Trauer zu erfahren und erfuhr auf diesem Weg von Hamans fürchterlichem Plan. Das Hofprotokoll liess es nicht zu, unerlaubt vor dem König zu erscheinen und sah dafür die Todesstrafe vor.  Die schöne Ester aber nahm sich ein Herz, erzählte dem König, dass Haman sein Vertrauen missbrauche und bat um Gnade für ihr Volk, nachdem sie ihm auch ihre jüdische Herkunft offenbart hatte.

Esters königliches Dekret

Das erste königliche Dekret durfte aber nie zurückgenommen werden, auch nicht vom König selbst. Ester und Mordechai, mittlerweile mit königlichem Siegel bevollmächtigt, erliessen darum ein zweites Dekret, das die Vernichtung der Feinde der Juden  durch die Juden selbst verlangte. Auf Anweisung Mordechais versammelten sich die Juden in allen Städten und töteten ihre Feinde mit dem Schwert. Eingeschüchtert, durch das zweite Dekret, wagte niemand sich zu wehren. Nichtjuden, die fürchteten, selbst Opfer der Massenhinrichtungen zu werden, traten zum Judentum über oder gaben sich als Juden aus. Am 13. Adar wurden in Susa 500 Männer, die zehn Söhne des Verräters Haman und viele andere Männer aus allen 102 Provinzen getötet. Weil Ester dem König mitteilte, dass ein Tag nicht ausreiche, um alle Feinde zu vernichten, wurde auch der 14. Adar dafür genutzt. In Susa starben somit weitere 300 Männer und im ganzen Reich fanden  gesamthaft 75'000 Männer an beiden Tagen den Tod. So wurde aus dem geplanten Genozid an den Juden ein Massenmord an ihren Feinden. Dem alten Testament ist zu entnehmen, dass  die Frauen und Kinder am Leben gelassen wurden und sich die Juden auch nicht am Vermögen der getöteten Feinde bereicherten.

Purimfest

Zur Erinnerung der Rettung durch Ester feiern noch heute die Juden das Purimfest, ihre „Fasnacht“. Purim bedeutet „lose“.  Königin Ester wird bis heute von den Juden verehrt und fand Einzug in den Kreis der „neun guten Heldinnen“, einer ikonografischen Überlieferung jüdischer Heldinnen.  Eine jüdische Frau des Perserkönigs Xerxes I. ist historisch zwar nicht nachgewiesen, genausowenig wie die Königin Waschti und deren Verstossung. Auch weitere Motive der Erzählung passen nicht ins historische Umfeld oder wirken gar märchenhaft. Selbst eine Verwandtschaft mit dem Namen der babylonisch/assyrischen Ischtar ist nicht anzunehmen, da die Geschichte in Persien und nicht im Irak spielt. Ester aber wird bis heute verehrt: im Judentum am Purimfest. Bei den Katholiken ist ihr Gedanktag am 24. Mai und in der Orthodoxen Kirche am vorletzten Sonntag im Advent. In der Orthodoxen Kirche wird  Ester gar als Heilige verehrt und wird selbst im ökumenischen Heiligenlexikon erwähnt. Purim läutet bei den Juden Ta’anit Ester, den jüdischen Fasttag, am 13. März ein. Ist der 13. ein Sabbat, wird das Ester-Fasten auf den Donnerstag vorverlegt. Der 13. Adar gehört laut Historiker Heinrich Graetz zu jenen 35 Gedenktagen, an denen Fasten verboten ist.  Die Vorschriften sind praktisch dieselben wie jene für die öffentlichen Fasttage. Es beginnt frühmorgens vor Sonnenaufgang beim Micha-Gebet. Auch die Zeremonie an der ein „halber Schekel“ bezahlt wird, wie zur Zeit als der Tempel noch stand, gehört dazu. In einem tiefen Teller in der Synagoge werden drei besondere Münzen gelegt, die an Esters Bitte an  die Juden erinnern, drei Tage lang zu fasten und Umkehr zu halten, um sich auf das erflehte Wunder vorzubereiten.  Wie bei anderen jüdischen Festen wird die Freude des Purimfestes unmittelbar unterbrochen, um den Toten zu gedenken. Die Juden erinnern damit, dass es keine Freude gibt, in die sich nicht Spuren von Trauer mischen.


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