Königin Ester - auf dem Bild mit ihrem Adoptivvater und Vetter Mordechai - war für die alten Meister ein gern gemaltes Sujet.
Das Ester und Mordechai-Mausoleum in Hamadan, Iran, ist bis heute ein Anziehungspunkt für Juden und Christen auf der ganzen Welt.
Anmutige Königin Ester
Ester war nicht irgendwer. Sie war eine Jüdin in Persien. Sie war eine Frau, die als Waisenkind
aufwuchs, von ihrem Vetter adoptiert und schliesslich Königin wurde. Ob Märchen
oder nicht, das spielt gar keine Rolle. Fakt ist, dass Ester von den Juden bis
heute für ihren Mut verehrt wird. Die jüdische „Fasnacht“ ist dieser Frau
gewidmet und läutet auch gleich die jüdische Fastenzeit ein.
Die Fasnacht war für uns Christen schon vorbei, als die Juden erst damit begannen. Purim, der jüdische „Karneval“, ist aber im Gegensatz zu unserer Fasnacht, einer Frau geweiht. Wir geben uns am Karneval der Völlerei hin, feiern, lassen die Sau raus, bevor die Fastenzeit beginnt, mit der wir uns auf den Leidensweg und die Auferstehung des Sohnes Gottes vorbereiten. Purim aber ist ein Fest der Freude und Befreiung, mit dem Hintergrund der Taten einer grossen Frau: der wundervollen Königin Ester.
Sarah Forrer
Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, welche Kraft eine
Frau wie Ester haben musste, wenn sie denn wirklich gelebt haben sollte. Die
alttestamentliche Familienstruktur war patriarchal. Mit der Heirat wurde die
Frau entrechtet und wurde zum Eigentum ihres „Herrn“. Ihr Mann konnte mehrere
Frauen haben, während sie jungfräulich bleiben musste und im Haus ihres Vaters
lebte bis zur Heirat, in der sie nur ihrem Mann zunutze sein durfte. Ehebruch hatte die Todesstrafe zur Folge. Im Buch der
Sprichwörter (Spr 31,10-31) sind die Eigenschaften einer Frau klar beschrieben. Es gab einzelne Prophetinnen, doch selbst diese hatten
keinen uneingeschränkten Zutritt zum Tempel.
Die Frauen durften nur im Frauenvorhof beten. Sie hatten dem Manne
Untertan zu sein, ihre Pflicht zu erfüllen und Kinder zu gebären. Sie konnten
zwar ein Erbe erhalten, zum Beispiel Jiobs Töchter oder Moses Frauen, doch nur,
wenn es keine männlichen Geschwister gab. Ein Erwerb war in ganz seltenen
Fällen möglich und wird so in der Bibel erwähnt. Im Familienstamm sind Frauen zu
jener Zeit aber kaum aufgeführt – und wenn überhaupt, hatten sie meist die
Mutter- oder Stammesmutterolle inne.
Von jüdischer Herkunft
Ester war eine jüdische Waise und Adoptivtochter ihres
Cousins Mordechai in der persischen Diaspora im 5. Jahrhundert vor Christus. Aufgrund
ihrer Ungehorsamkeit wurde Königin Waschti, die erste Frau des persischen
Königs Ahasveros, vom Hof gewiesen. Die anmutige Ester nahm ihren Platz ein,
verheimlichte aber ihrem König ihre jüdische Herkunft. Ihr Adoptivvater Mordechai
hatte einen Posten am Tor des königlichen Palastes und belauschte, wie der
König ermordet werden sollte. Ester
warnte ihren Mann und Mordechai erwarb die Gunst des Königs, was aber höhere
Regierungsbeamten wie Haman nicht dulden wollten. Haman nützte aus Wut das
Vertrauen des Königs aus und überzeugte ihn, das jüdische Volk im persischen
Reich zu vernichten, weil dieses sich den Riten und Gesetzen nicht beugen wolle. Mit königlichen Siegel wurde im ganzen Reich verkündet, dass
am 13. Tag des 12. Monats (im persischen
Kalender der Monat Adar, im gregorianischen der Februar, bei uns der März) die jüdische
Bevölkerung als vogelfrei erklärt werde und vernichtet werden dürfe. Ester
erfuhr per Zufall vom Wehklagen ihres Adoptivvaters, der in Trauerkleider
gehüllt in Susa, einer grossen Residenzstadt, die kommende Katastrophe beweinte. Sie sendete ihm Boten zu, um den Grund seiner Trauer zu erfahren und erfuhr
auf diesem Weg von Hamans fürchterlichem Plan. Das Hofprotokoll liess es nicht
zu, unerlaubt vor dem König zu erscheinen und sah dafür die Todesstrafe vor. Die schöne Ester aber nahm sich ein Herz,
erzählte dem König, dass Haman sein Vertrauen missbrauche und bat um Gnade für
ihr Volk, nachdem sie ihm auch ihre jüdische Herkunft offenbart hatte.
Esters königliches Dekret
Das erste königliche Dekret durfte aber nie zurückgenommen
werden, auch nicht vom König selbst. Ester und Mordechai, mittlerweile mit
königlichem Siegel bevollmächtigt, erliessen darum ein zweites Dekret, das die
Vernichtung der Feinde der Juden durch
die Juden selbst verlangte. Auf Anweisung Mordechais versammelten sich die
Juden in allen Städten und töteten ihre Feinde mit dem Schwert.
Eingeschüchtert, durch das zweite Dekret, wagte niemand sich zu wehren.
Nichtjuden, die fürchteten, selbst Opfer der Massenhinrichtungen zu werden, traten
zum Judentum über oder gaben sich als Juden aus. Am 13. Adar wurden in Susa 500
Männer, die zehn Söhne des Verräters Haman und viele andere Männer aus allen
102 Provinzen getötet. Weil Ester dem König mitteilte, dass ein Tag nicht
ausreiche, um alle Feinde zu vernichten, wurde auch der 14. Adar dafür genutzt.
In Susa starben somit weitere 300 Männer und im ganzen Reich fanden gesamthaft 75'000 Männer an beiden Tagen den
Tod. So wurde aus dem geplanten Genozid an den Juden ein Massenmord an ihren
Feinden. Dem alten Testament ist zu
entnehmen, dass die Frauen und Kinder am
Leben gelassen wurden und sich die Juden auch nicht am Vermögen der
getöteten Feinde bereicherten.
Purimfest
Zur Erinnerung der Rettung durch
Ester feiern noch heute die Juden das Purimfest, ihre „Fasnacht“. Purim
bedeutet „lose“. Königin Ester wird bis
heute von den Juden verehrt und fand Einzug in den Kreis der „neun guten
Heldinnen“, einer ikonografischen Überlieferung jüdischer Heldinnen. Eine jüdische Frau des Perserkönigs Xerxes I.
ist historisch zwar nicht nachgewiesen, genausowenig wie die Königin Waschti und
deren Verstossung. Auch weitere Motive der Erzählung passen nicht ins
historische Umfeld oder wirken gar märchenhaft. Selbst eine Verwandtschaft mit
dem Namen der babylonisch/assyrischen Ischtar ist nicht anzunehmen, da die
Geschichte in Persien und nicht im Irak spielt. Ester aber wird bis heute verehrt:
im Judentum am Purimfest. Bei den Katholiken ist ihr Gedanktag am 24. Mai und
in der Orthodoxen Kirche am vorletzten Sonntag im Advent. In der Orthodoxen Kirche
wird Ester gar als Heilige verehrt und
wird selbst im ökumenischen Heiligenlexikon erwähnt. Purim läutet bei den Juden Ta’anit Ester, den jüdischen
Fasttag, am 13. März ein. Ist der 13. ein Sabbat, wird das Ester-Fasten auf den
Donnerstag vorverlegt. Der 13. Adar gehört laut Historiker Heinrich Graetz zu
jenen 35 Gedenktagen, an denen Fasten verboten ist. Die Vorschriften sind praktisch dieselben wie
jene für die öffentlichen Fasttage. Es beginnt frühmorgens vor Sonnenaufgang
beim Micha-Gebet. Auch die Zeremonie an der ein „halber Schekel“ bezahlt wird,
wie zur Zeit als der Tempel noch stand, gehört dazu. In einem tiefen Teller in
der Synagoge werden drei besondere Münzen gelegt, die an Esters Bitte an die Juden erinnern, drei Tage lang zu fasten
und Umkehr zu halten, um sich auf das erflehte Wunder vorzubereiten. Wie bei anderen jüdischen Festen wird die
Freude des Purimfestes unmittelbar unterbrochen, um den Toten zu gedenken. Die
Juden erinnern damit, dass es keine Freude gibt, in die sich nicht Spuren von Trauer
mischen.