Von einer weissen Doktorin in Afrika, den Medizinfrauen und Medizinmännern

22:07:2014

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Bertha Hardegger
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Missionsstation Paray

Sangomas, das sind südafrikanische Heiltätige (Medizinmänner und -frauen) Sie spielen in der medizinischen Versorgung der traditionellen Nguni-Kulturen eine zentrale Rolle. Ihre Behandlungsmethoden basieren nicht nur auf der Kenntnis von Heilkräutern, sie betreiben auch Hellsehen und beraten ihre Patienten. Eine wissenschaftliche Umfrage ergab, dass 84% der südafrikanischen Bevölkerung dreimal jährlich Sangomas konsultieren. In akademischen Kreisen und unter Medizinern geniessen Sangomas dagegen ein sehr geringes Ansehen


Die Sangoma-Ausstellung im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen dauert bis 19. Oktober.


www.hmsg.ch


Sangomas, das sind die traditionellen Heilerinnen und Heiler Südafrikas. Als Bewahrer von Rezepten und Ritualen sind sie ein wichtiger Teil der dortigen Gesellschaft. Während der Apartheid wurde ihnen das Praktizieren erschwert. Heute besinnt man sich in Südafrika wieder der alten traditionellen Medizin. Der Fotograf Peter Frank hat die Welt der Sangomas erkundet, und das Historische und Völkerkundemuseum St. Gallen hat die aktuelle Ausstellung der grossformatigen Porträts mit Museumsobjekten der Missionsmedizinerin Bertha Hardegger ergänzt - Objekten aus Afrika, die sie seinerzeit dem Museum schenkte.

 

Elke Baliarda

 

Von dieser Schweizer Missionsärztin Bertha Hardegger, geboren am 1903 in Oberegg, gestorben 1979 in Thalwil, soll nun die Rede sein. Die Arzttochter aus Bütschwil arbeitete von 1937 bis 1970 in Lesotho, im Süden Afrikas, wo sie vielfältige Begegnungen mit den Sangomas, den einheimischen Heiltätigen, hatte, die von ihr als „Zauberer“ bezeichnet wurden.

 

Wie ihr Vater Dr. med. Jakob Hardegger war Bertha, die Älteste von acht Kindern, sehr gläubig und sozial engagiert. Daher auch ihr Wunsch, Ärztin zu werden und diesen Beruf sozial-karitativ auszuüben. In ihrem Vorhaben wurde sie von ihren Eltern unterstützt, denn ihnen war eine gute Ausbildung aller sechs Töchter wichtig. Zunächst besuchte Bertha die Sekundarschule im St. Katharinen in Wil. Im Collège Sainte-Croix in Freiburg legte sie 1923 ihre Maturaprüfung ab und studierte anschliessend Medizin in Basel und je ein Semester in Montpellier und Wien. 1930 promovierte sie in Basel. In Basel war sie seinerzeit die einzige Medizinstudentin ihres Jahrgangs. Bis ihr Bruder Armin die väterliche Praxis in Bütschwil übernehmen konnte, erledigte Bertha dreieinhalb Jahre die vielfältigen Aufgaben, bis sie die Erfüllung ihres grossen Wunsches näher rücken sah, als Missionsärztin irgendwo hin zu gehen, wo man ihre Liebe, ihre ärztliche Kunst und ihre Glaubensbegeisterung brauchen konnte. Im Missionsärztlichen Institut in Würzburg erhielt sie die spezielle Ausbildung und Unterstützung. Sie kam zuerst nach Irland zu Sprach- und Tropenstudien. 1935 machte sie das britische Staatsexamen und reiste im folgenden Jahr nach Südafrika, ins heutige Lesotho, das ihr zur zweiten Heimat wurde

 

Im Bergland von Lesotho, wo hauptsächlich Viehzüchter lebten, erwartete Bertha Hardegger ein entbehrungsreiches, strapaziöses, arbeitsreiches Leben. Strassen gab es damals so gut wie keine, nur schmale Pfade. Und die Fortbewegungsmittel? Zu Fuss, mit Esel oder zu Pferd. Einige Male verunfallte sie dabei um ein Haar tödlich – so gefährlich konnte das Unterwegssein in diesem Bergland sein. Bertha Hardegger lebte und arbeitete unter einfachsten Bedingungen. Zusätzlich erschwerend kam hinzu, dass der weisse Doktor eine Frau war. Sie musste das Vertrauen der Menschen erst gewinnen.

 

Die Sangomas waren sozusagen ihre Konkurrenten. Viele Einheimische, voller Misstrauen, gingen zuerst zu den Heilern, und wenn deren Behandlungen nicht mehr halfen, wurde die weisse Doktorin gerufen. Neben der medizinischen Versorgung der Landbevölkerung im weiten Umkreis (unter anderem hat sie auch hunderte von Kindern auf die Welt geholt) war Bertha Hardegger mitverantwortlich für den Aufbau und den Betrieb von drei Missionsspitälern. Ein enormes Arbeitspensum legte sie dabei an den Tag. Aber ihre grosse Abenteuerlust, ihr Mut und ihre gesunde Konstitution halfen ihr, ihre Berufung auszufüllen, dazu kamen noch ihre Güte, ihr christlicher Lebenswandel und die Begeisterungsfähigkeit. Dem allem konnten sich die Eingeborenen auf die Dauer nicht entziehen.

 

Bertha Hardegger führte in Afrika Tagebuch und beschrieb darin die Schwierigkeiten und Herausforderungen des täglichen Lebens. (Eine Auswahl davon wurde 1987 veröffentlicht, ist aber inzwischen leider vergriffen.)

 

In der Veröffentlichung „Drei Generationen SolidarMed-Ärztinnen in Lesotho“ sagt Bertha Hardegger in einem fiktiven Interview: „Auf meinen Reisen habe ich schon viel Abenteuerliches erlebt. Wie oft sind wir schon acht bis zwölf Stunden geritten pro Tag, um in den Abendstunden noch 50 Patienten zu versorgen. Einmal habe ich mit einem Boten nach zehnstündigem Ritt auf dem offenen Feld übernachtet. Er war vom richtigen Weg abgekommen. Der Boden im Freien war mein Lager, der Sattel mein Kissen. Oft schon haben wild tobende Flüsse uns den Durchritt verwehrt. Einmal hatte ein rasender Bergbach versucht, mich zu verschlingen.“

 

In der Zeit von 1937 bis 1970 war Bertha Hardegger mehre Male auf Heimaturlaub. Diese Zeit benutzte sie neben ihren Vorträgen auch, um Spenden für „ihre Spitäler“ zu sammeln. Am 11. Dezember 1956 war sie zu Gast im Historischen und Völkerkundemuseum (damals noch Neues Museum – Sammlung für Völkerkunde genannt) Ihr Thema: Das Basutoland, Landschaft und Volk, Sitten und Gebräuche, 20 Jahre Ärztin unter südafrikanischen Schwarzen.

 

Zitat aus dem St. Galler Tagblatt, Nr.588, vom 14. Dezember 1956:

„Die vorgeführten Filmstreifen mit wertvollen Dokumentaraufnahmen aus dem Volksleben und der Missionstätigkeit konnten durch einen fachgerechten Zuschnitt nur gewinnen. Besonderem Interesse begegnete die Demonstration verschiedener zur Ausrüstung von männlichen und weiblichen Zauberern gehörenden Objekte, die von Dr. Hardegger gesammelt und von ihr dem St. Galler Museum geschenkt worden sind.“

 

Für ihre Verdienste in Südafrika erhielt Bertha Hardegger höchste Anerkennung. Der päpstlichen Auszeichnung „Pro Ecclesia et Pontifice“ folgten zwei Orden des englischen Königs und der königlichen afrikanischen Gesellschaft. Sie schreibt dazu:“ Ich weiss nicht, wie ich sie verdient habe, ich habe nichts Aussergewöhnliches geleistet, ich habe mich einfach bemüht, meiner Pflicht gerecht zu werden. Das Rüstzeug dazu hat mir Gott gegeben.“

Und der Historiker und Provinienzforscher Peter Müller vom HVMHVM St. Gallen meint dazu: „Bertha Hardegger wäre eindeutig zur Schweizerin des Jahres gekürt worden, wenn es diese Auszeichnung zu ihren Zeiten schon gegeben hätte“.

 

1970 kehrte sie mit 67 Jahren aus gesundheitlichen Gründen endgültig in die Schweiz zurück und praktizierte in Thalwil, in der Praxis ihres Bruders, bis zu ihrem Tode 1979.

Pfarrer Dr. Theo Frey, Bütschwil, sagte unter anderem bei der Abdankung: „Die Missionsärztin Dr. Bertha Hardegger war in wahrsten Sinne des Wortes Licht für unzählige im fernen Afrika, aber auch für uns, die wir durch ihre Begeisterung und Hingabe direkt angesteckt wurden für die Treue zu den Missionswerken. Wir können nicht ermessen, wie viel Segen sie damit stiften durfte.“


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