Simone de Beauvoir für die Geschichtsbücher: 100 Jahre jung und unerreicht

Buchbesprechung

Bild
Die Lebens-Wege der Beauvoir: letztlich unergründlich?
Bild
Das aktuelle Buch von Hans-Martin Schönherr-Mann
Bild
Über den Tod hinaus vereint: JeanPaul Sartre und Simone de Beauvoir.

Zur Person:

Simone de Beauvoir wurde am 9. Januar 1908 in Paris geboren. Hier verbrachte sie den grössten Teil ihres Lebens. Lange Jahre war sie Muse und Lebensgefährtin des existentiellen Philosophen Jean-Paul Sartre, mit dem sie auch viele - meist politisch motivierte - Reisen unternahm. Sie starb 1986 in Paris.

Zum Buch:

Hans-Martin Schönherr-Mann, Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht, München 2007 (dtv premium); Preis: 25.20 Franken
Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, rororo Hamburg

Zum Autor:

Hans-Martin Schönherr-Mann ist Professor für Politische Philosophie. Seine zahlreichen Publikationen umfassen unter anderem Texte über Jean-Paul Sartre und Hannah Arendt.

Am 9. Januar könnte Simone de Beauvoir ihren 100. Geburtstag feiern. Sie verkörperte in ihrem wechselvollen Leben bedeutend mehr als ihr Hauptwerk "Das andere Geschlecht", auf das sie heute leider oft reduziert wird. Als schillernde Feministin, Philosophin und Schriftstellerin mit dem Hang zur selbstbewussten Selbstinszenierung bleibt sie auch zu ihrem runden Geburtstag noch immer zu entdecken.

 

Brigitta Schmid

07:01:2008

Viele Laudatoren und Biographinnen wählen zu diesem runden Geburtstag ihr feministisches Hauptwerk "Das andere Geschlecht", das 1949 wie eine Granate in die Gesellschaft des Nachkriegs-Europa eingeschlagen hat. Stellvertretend für viele weitere Neuerscheinungen und Neuauflagen zum Geburtstag wird hier das aktuelle Buch von Hans-Martin Schönherr-Mann "Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht" besprochen.

 

Das andere Geschlecht

Simone de Beauvoirs Grundlagenwerk des Feminismus wurde ein Welterfolg und machte sie in Frankreich zur Vorzeigeintellektuellen. Mit ihrer konsequent und radikal gelebten Philosophie der Selbstbestimmung und der Aufklärung der Frauen wurde sie zur Begründerin des modernen Feminismus. Ihre fundamentale Kritik am traditionellen Frauenbild führte ganze Generationen ein in das politische Handeln und damit weiter auf dem Weg der gesellschaftlichen Befreiung der Frauen aus ihrer engen Frauen- und Mutterrolle. Mit ihrer messerscharfen Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse im europäischen Bürgertum führte sie einen konsequenten Kampf gegen das Nichtwissen und die Unterdrückung der Frauen.

 


Ein versöhnlicher männlicher Blick

Hans-Martin Schönherr-Mann hält sich in seinem Buch an die Thematik und den Aufbau von Simone de Beauvoirs Monumentalwerk. Er entwickelt entlang dieser Schiene eine aktuelle Buchkritik und -synthese. Auch wenn er dabei de Beauvoirs Gedanken in vielem auf eine les- und verstehbare Ebene der Alltagslektüre im schnellen 21. Jahrhundert verkürzt, bleibt sein Buch informativ und gut geschrieben. In diesem Rahmen muss de Beauvoirs Lebens- und Schaffenswelt weitgehend ausgeblendet bleiben, was dem Gesamtbild über die Wirkung des Buches nicht zum Guten gereicht und die Leserin an einigen Stellen etwas ratlos auf theoretische Fragmente blicken lässt.

 

Schillernde feministische Figur

Manch eine hätte sich mit dem Blick auf den runden Geburtstag etwas mehr persönliche Informationen über den Mensch Simone de Beauvoir und ihre Lebenswelt im Frankreich der Mitte des 20. Jahrhunderts gewünscht. Wie so vieles aus ihrem persönlichen Umfeld, das in der Zeit der Entstehung auf das Werk eingewirkt haben mag, bleibt auch de Beauvoirs rege Reisetätigkeit, die nach dem Erscheinen des "Anderen Geschlechts" zu einem vitalen Element ihrer Lebensführung wird, bei Hans-Martin Schönherr-Mann unerwähnt. So geht vergessen, dass de Beauvoir auch eine erfolgreiche Schriftstellerin und gesellschaftliche Agitatorin an der Seite ihres langjährigen Lebensgefährten Jean-Paul Sartre gewesen ist.

 

Mit Philosophie zum Glück

Der Autor geht der zentralen Frage aus dem "Anderen Geschlecht" Wie kann ein Mensch sich im Frau-Sein verwirklichen? in sechs der sieben Kapitel seines Buches akribisch auf den Grund. Er stellt die verschiedenen Bereiche, die auch de Beauvoir ins Zentrum ihrer Überlegungen gerückt hat, der Probe der modernen Welt. Er fragt nach den Möglichkeiten der Selbstverwirklichung der Frau in der Liebe, in der Ehe, in der Familie oder im Mann. Auch die Aussage, dass die Emanzipation der einzelnen Frau von der herkömmlichen Frauen- und Mutterrolle zur Selbstverwirklichung führt, hinterfragt er mit einigem Erfolg.



Am Ende seines Buches stellt er die ambitionierte Frage nach der Verwirklichung des Selbst in unserem modernen Alltag. Spätestens mit diesen Thesen stellt Hans-Martin Schönherr-Mann sein Buch in die Reihe von aktuellen Diskussionsbeiträgen zum Thema Mutterschaft - Gesellschaft und selbstbestimmte Frauen, die in letzter Zeit die Debatten in Literaturklubs und Zeitungsfeuilletons füllt. Der Autor selbst preist de Beauvoirs Buch als produktiven existentialistischen Denkansatz zur Erfassung der Lage der Frauen von heute.

 


Befreite Frauen bewegen

In diesem Kontext empfiehlt sich die Lektüre des Buches von Hans-Martin Schönherr-Mann auf jeden Fall. Vor allem der jüngeren Frauengeneration bietet sich damit ein Einstieg in das Werk und die Welt von Simone de Beauvoir. Schlussendlich stellt sie selbst immer noch die brisantesten Fragen zur Lage der Frauen. Ihr Werk hält aber auch spannende Antworten bereit auf die nach wie vor aktuellen Fragestellungen der Selbstdefinition der Frauen und ihren Platz in einer postindustriellen Gesellschaft. In diesem Sinn bietet sich das Gesamtwerk von Simone de Beauvoir an mitgelesen zu werden. Antworten auf aktuelle Fragen der Gesellschaftskritik geben nicht zuletzt auch ihre grossen Romane und die Bände ihrer persönlichen Erinnerungen.


zurück            Diesen Artikel versenden            Mein Kommentar zu diesem Artikel
Verein ostschweizerinnen.ch · c/o Nelly Grubenmann · Tellen | Postfach 30· 9030 Abtwil · kontakt@ostschweizerinnen.ch