Adlerclan am Necker

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Das diesjährige Gemeinschafts-Tipi war besonders und wurde mit dem Feuer gleich imprägniert.
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Am Ende des Monats Juli trifft sich der Adlerclan immer im Tipi am Fluss.

Wo Wege hinführen,
bleiben Spuren,
ruhen als Zeichen des Wirkens.
Wirken weiter –
sind Begleiter.

Dieser Spruch passt zum Adlerclan. Indianerinnen und Indianer verschiedener Stämme folgen dem Ruf der Häuptlingsfrauen Winona und Tashina, finden sich nach Monden zusammen und verbringen gemeinsame Zeit im Tipi-Lager am Necker.

www.wirkstatt-hengarten.ch

Ende Juli, bevor der Mond voll ist, treffen wir uns. Wir Indianer und Indianerinnen verbringen zusammen am Necker gemeinsame Zeit. Das Adlerclan-Camp liegt im Zentrum der Prärie, in einem versteckten Paradies, inmitten der freien Natur. Wo unser Treffpunkt aber ist, bleibt euch Bleichgesichtern weiterhin verborgen.

 

Sarah Forrer

10:08:2010

 

Spannend ist jedes Jahr, wen wir wohl im Tipi-Lager wieder treffen. Benjamin und ich waren dieses Jahr zum fünften Mal dabei. Einige Indianerinnen und Indianer sehen wir während des ganzen Jahres nicht. Wenn wir uns am Ende des Monats Juli dann ins Tipi begeben, sind sie um einen Kopf grösser, haben einen anderen Haarschnitt, tragen einen neuen Kopfschmuck oder haben ganz andere Hobbies als im Jahr zuvor. Was bleibt, ist aber immer die Verbindung im Adlerclan und eigentlich auch die Freundschaft, denn beim Singen und Trommeln nähern  wir uns alle rasch wieder an.


Weil es in diesem Jahr zwei „schlaue Füchse“ hatte, entschloss sich mein Bruder, einen neuen Namen zu bekommen. Er war ab sofort der „weise Fuchs“. Obwohl er eigentlich den alten Namen liebte, gefiel ihm auch der neue, denn er hat doch schon viel Erfahrung, wie die Indianer leben und was sie beschäftigt. Das nennt man auch Weisheit. Ich blieb weiterhin „die Wölfin“. Zur Hälfte waren in diesem Jahr neue Indianer im Camp mit dabei, die restlichen waren alte Bekannte aus andern Stämmen.


Die kleinste Indianerin, namens Muna, war grad vier Jahre alt. Sie war mit den anderen Mädchen im Indianerinnen-Tipi zum Schlafen eingeteilt. Wir kamen unter den jungen Indianerinnen sehr gut miteinander aus. Keine zickte, und es wurde auch niemand ausgeschlossen aus dem Kreis der weisen Frauen. Muna aber fand ich ganz besonders niedlich. Ich spielte gern mit ihr.


Als wir wieder einmal zusammen spielten, trug sie mir auf, einen Büffel fürs Mittagessen zu jagen und nach Hause zu bringen. Ich musste lachen, als ich mir vorstellte, wie wir das grosse Tier enthäuten, zerteilen, vorbereiten und dann am Spiess braten würden. Bis elf Uhr in der Nacht spielten wir oft ein Klatschspiel und lachten uns dabei fast krumm. Tashina und Winona, die Häuptlingsfrauen, hörten uns und mahnten, etwas leiser zu sein, denn Muna war im Traum schon in die Prärie entritten.


Ob die Indianer auch schon die Zahnbürsten kannten? Muna jedenfalls wollte sich das Zähneputzen nicht ersparen, obwohl es draussen stürmte und regnete. Sie liess sich auch nicht von ihrer Mutter beruhigen. „Wenn ich nicht die Zähne putze, kommt der Zahnteufel und macht Löcher in meine Zähne“, sagte sie mit Nachdruck. Die Zahnpasta zu schlucken, anstatt am tipidorfeigenen Holzbrünneli auszuspucken, beruhigte die kleine Indianerin und die Nachruhe war gerettet. Ob der Zahnteufel übrigens Federn trägt?


Das Gemeinschafts-Tipi war in diesem Jahr neu und ausgeklügelter. Wenn wir ein Feuer machten, wurde gleichzeitig die Tipihaut imprägniert. Bei den diesjährigen Wetterverhältnissen war das unbezahlbar. Das Zelt schwamm hin und wieder mehr oder weniger auf dem nassen Boden. Pfahlbauer-Tipis wären darum eine gute Lösung gewesen. Wir schöpften das Wasser mit Konservenbüchsen ab, trockneten den Boden mit Stroh aus und legten Paletten unter. Indianer kennen schliesslich keinen Schmerz.


Das Essen der Indianer ist immer hervorragend. Vor allem die Suppe werde ich ein ganzes Jahr wieder vermissen. Als es einmal regnete, sangen wir ein Wasserlied und alle mussten lachen. Viel eher hätten wir wohl den Sonnentanz tanzen müssen, aber das war uns unter den gegebenen Umständen entfallen. Im Küchenzelt ist immer Winona beschäftigt, sie ist die indianische Köchin und verfügt über ein Wissen zu den Pflanzen und Kräutern, von dem wir andern Indianer nur träumen können.


Am letzten Tag fand Etu einen Brief auf der Toilette. Etu ist einer der alten Indianer, denn er ist schon seit Beginn dabei. Im Brief war eine Nachricht versteckt. Wir Indianer sollten gemeinsam Sonnenspeicher giessen. In Gruppen aufgeteilt, nach Regeln der indianischen Himmelsrichtungen, gossen die alten Indianer unter unserem Blick die Speicher. „Es wäre zu gefährlich, diese selber zu giessen“, meinten Winona und Tashina, denn das Eisen werde glühend heiss. Die Form aber suchten wir selbst. Wir hatten auch die Geheimnisse zu entschlüsseln, um die richtige Form zu erhalten.


Seit Durchführung unserer Adlerclan-Teffen im Tipi – und das dauert doch schon sieben Jahre – musste das Lager erstmals vorzeitig beendet werden. Der Wettergott hatte einfach kein Einsehen, soviel wir uns auch bemühten, die Sonne hervorzulocken. So brachen wir die Zelte ab und verabschiedeten uns. Die Wölfin und der weise Fuchs kehrten unterkühlt in die Welt der Bleichgesichter zurück, genossen das warme Bad, das weiche Bett und die Pflege der bleichgesichtigen Eltern. Dennoch, hat es sich gelohnt und wir werden nächstes Jahr wiederum im Tipilager die Friedenspfeife mit den andern Clanmitgliedern aus andern Stämmen rauchen.


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