Verborgene Schätze der Öffentlichkeit zugänglich gemacht

Hingehen!

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Gertrud Schwyzer in Herisau.
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Patientinnen in der Nähstube.

46 Jahre umfasste Gertrud Schwyzers Anstaltaufenthalt. Die 28 Jahre davor wurden 1942 in ihrer Krankengeschichte in nur wenigen Sätzen zusammengefasst. Maria Gertrud Schwyzer (1896 – 1970), geboren und aufgewachsen in Zürich, besuchte die Kunstgewerbeschule und arbeitete mehrere Jahre als Fotografin und als Zeichnerin am Pathologischen Institut in Zürich. 1919 erlitt sie einen ersten Zusammenbruch und wurde im Sanatorium Küsnacht behandelt, von wo sie einen Monat später in die Nerverheilanstalt Hohenegg kam und 1920 als sozial geheilt entlassen wurde.

 

 

Bald darauf nahm sie ihre berufliche Tätigkeit wieder auf, beendete diese aber 1923 und zog nach München, um dort die Kunstakademie zu besuchen. Sie begann intensiv Violine zu spielen und erlitt 1925 wieder einen Zusammenbruch. Eingewiesen in die psychiatrische Klinik München, wurde sie von dort nach Sonnenhalde Riehen und bald darauf wieder nach Hohenegg gebracht. Nach weiteren Aufenthalten in verschiedenen Anstalten wurde Gertrud Schwyzer schliesslich 1927 in der 1908 eröffneten Appenenzell-Ausserrhodischen Heil- und Pflegeanstalt Herisau aufgenommen. wo sie bis zu ihrem Tod verblieb.

 

 

Die Ausstellung dauert bis zum 11. März und ist von Dienstag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr und Samstag/Sonntag von 12 bis 17 Uhr geöffnet.

„Begegnungen“ heisst die laufende Ausstellung im Museum im Lagerhaus, Davidstrasse 44 in St. Gallen. Sie macht der Öffentlichkeit Schätze aus Schweizer Psychiatrien sichtbar. Es handelt sich um die zweite Reihe von ungewöhnlichen Konfrontationen sowie Begegnungen mit bisher unbekannten Werken, aktuell von Hans Brühlmann, Gertrud Schwyzer und Julius Süss, die einen grossen Teil ihres Lebens in Psychiatrischen Kliniken verbracht haben.

 

Elke Baliarda

07:02:2012

 

Im Fokus der „Begegnungen“ steht das Verhältnis zwischen Künstler und Patient. Die in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Littenheid entstanden Werke Günther Ueckers bieten in der Ausstellung im Lagerhaus Konfrontationen zu den Arbeiten der Patientin und Patienten.

„Dort, wo der Mensch sich existentiell herausgefordert fühlt, teilt sich ihm mit, was Welt bewirkt“, erklärt Uecker sein Projekt, das er 1980 mit einer Gruppe Studierender der Düsseldorfer Akademie in der Klinik Littenheid durchführte. Die hier entstandenen Aquarelle und Zeichnungen Ueckers stellen in der Ausstellung ein Gegenüber zu den Arbeiten der Patienten dar.

 

 

Unter ihnen nimmt der Ostschweizer Maler Hans Brühlmann eine besondere Stellung ein 1878 in Amriswil geboren, erhielt er seine Ausbildung in Zürich, Bremen und Stuttgart, wo er auch 1911 verstarb. Der zum Wandbild neigende Künstler hat in seinen letzten von Krankheit gezeichneten Jahren ein zeichnerisches Werk von ungewöhnlicher Sensibilität geschaffen.

 

Aber seine „kranken Bilder“ aus dem Kantonalen Asyl Will, die in der Ausstellung zu sehen sind, wurden meist übergangen. Julius Süss (Heil- und Pflegeanstalt Rosegg) ist der zeichnerische Autodidakt. Er bezieht sich auf Klassiker der Literatur und der Opernwelt oder setzt ironischen Gottesverwandlungen und Bilder des „Irren“ auf Papier.

Da gibt es Witzblätter von Berlin, wo er eine Zeit lang lebte. Da ist der Herr Grau, der seinen Identitätsverlust widerspiegelt. Zu sehen sind gesamthaft 400 Arbeiten, darunter umfangreiche Konvolute von Julius Süss( ca. 200 Zeichnungen)

 

Im Mittelpunkt soll aber Gertrud Schwyzer (1896 bis 1970) stehen. Aus ihrem umfangreichen Werk, das nahezu unbekannt ist, wurden erst wenige Blätter ausgestellt. Im Museum im Lagerhaus sind nun 112 Blätter und Skizzenhefte zu sehen. Indessen ist der grösste Teil ihrer Arbeiten, der in der Psychiatrischen Klinik Herisau aufbewahrt wird, für die Öffentlichkeit leider nicht zugänglich.

 

 Gertrud Schwyzer lebte von 1927 bis zu ihrem Tode in der Appenzell-Ausserrhodischen Heil- und Pflegeanstalt Herisau, wie die Klinik damals hiess. Als Zeichnerin am Pathologischen Institut Zürich und mit ihrem begonnenen Kunststudium ist Gertrud Schwyzer, was das realistische Malen anbetrifft, sehr erfahren. Das wurde in Herisau denn auch mit Wohlwollen zu Kenntnis genommen.

 

Gertrud Schwyzer portraitiert sich immer wieder selbst. In der Nähstube portraitiert sie ihre Mitpatientinnen, die ganz in die Arbeit vertieft sind. Sie malt Kleider als erweiterte Haut des Ich’s.

Einbezogen sind Wäsche, Kittelschürzen, Malkasten, Garnrollen und immer wieder ihre Schuhe. Sie aquarelliert, sie macht Bleistiftzeichnungen, sie bemalt Kalenderblätter. Es entstehen Stimmungsbilder aus dem Klinik-Alltag. Parallel zur Malerei hat Gertrud Schwyzer auch Haararbeiten angefertigt, Haardeckchen, Haarkleider, die aber leider nicht erhalten geblieben sind.

 

 

Gertrud Schwyzers mehrere hundert Arbeiten umfassender Nachlass befindet sich mit Ausnahme eines Blattes, das nach 1935 in die Heidelberger Sammlung Prinzhorn kam, im Besitz der Kantonalen Kunstsammlung Appenzell Ausserrhoden und ist leider für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.


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