Im Rückblick: Mein Fussballerlebnis

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Keine Angst, die nächste EURO kommt bestimmt!
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Das Runde muß in das Eckige.

Na, welches Spiel hat sich Autor Alexander Sailer angesehen? Wissen Sie es? Wir sind gespannt!

Mit sportlichen Grüßen
Ihre Eva Grundl, Redaktionsleiterin. 

In der Schweiz gibt es zur Zeit einen Anlass, der nennt sich EURO 08. Der heisst wohl so, weil es um viel Geld geht, allerdings solches ausserhalb der Schweiz, wir haben ja noch den Franken. Offenbar um dieses Geld aus den Leuten zu holen, werden sog. Fussballspiele organisiert, und da kommen Spieler von ganz verschiedenen Ländern, von ganz weit her, z.B. Deutschland oder sogar Dänemark.

 

Alexander Sailer

04:07:2008

 

Gestern also schaute ich am Fernsehen zum ersten Mal ein bisschen zu. Hei, was man da sah! Da waren zuerst etwa 20 Mannen auf dem Platz, die einen rot, die andern weiss angezogen, wahrscheinlich damit sie sich besser unterscheiden können und nicht jedesmal fragen müssen, wie der andere heisst und zu welcher Gruppe er gehört. Es wurde ein Ball gebracht, ein schwarzer Mann pfiff (zu welcher Gruppe gehört der?), und sofort strebten die Weissen nach rechts (von meinem Sitz in der Stube aus am TV). Aber oha! Das sahen die Roten offensichtlich nicht gern, sie waren klar dagegen, denn sie stellten sich den Weissen in den Weg, nahmen sogar dem Mann, der gerade den Ball tschutete, denselben ziemlich unhöflich, um nicht zu sagen ruppig, einfach weg.

 

Von einer Entschuldigung hörte ich nichts, die Mannen redeten überhaupt nicht. Der Rote rannte mit dem Ball davon und zwar nach links! Ein Weisser in der Nähe sah das wiederum nicht gern und kickte dem Roten in die Beine und nahm ihm den Ball wieder ab. Nach etwa 6 Sekunden kam wieder ein Roter und holte sich den Ball wieder. Nach etwa 3 Sekunden kam wieder ein Weisser, und holte sich den Ball wieder und stupfte ihn zu einem andern Weissen. Dieser war dankbar für diesen Freundlichkeitsbeweis und zeigte das, indem er den Ball wieder jenem Weissen zukommen liess, der ihm vorher den Ball gegeben hatte.

 

Aber nach einer Weile wurde den Roten das Hin und Her der Weissen zu bunt, weshalb sie es unterbrachen, indem sie sich den Ball wieder aneigneten. Dann aber machten sie genau das, was sie vorher bei den Weissen abgelehnt hatten, selber, und zwar eine ganze Weile! Man sieht, die Roten sind kein bisschen besser als die Weissen! Dann ging’s wieder wie vorher: Nach etwa 4 Sekunden kam wieder ein Weisser und holte sich den Ball. Aber nach etwa 3 Sekunden kam wieder ein Roter und holte sich den Ball wieder. Aber nach etwa 5 Sekunden kam wieder ein Weisser und holte sich den Ball wieder. Aber nach etwa 2 Sekunden schon kam wieder ein Roter und holte sich den Ball wieder. Bis dahin konnte ich das Spiel nicht wahnsinnig interessant finden. Sie hielten das Spiel nicht einmal eine Stunde durch, und schon hatten sie Durst und brauchten eine Pause.

 

Eine nette Geste passierte am Anfang der zweiten Spielzeit. Ein Roter, der gerade den Ball hatte, schoss denselben weiter und zwar nicht wieder zu einem Roten, sondern direkt zu einem Weissen. Sonst halten die Gruppen ja zusammen, bekämpfen sogar die andern, nur weil sie eine andere Farbe tragen, aber dieser Rote mit Nr. 9 war menschenfreund-licher, sozial-kompetent sagt man heute, indem er eben einem Andersfarbigen den Ball überreichte. Es kann natürlich auch sein, dass er farbenblind war und darum nicht abschätzen konnte, wem er den Ball weitergeben soll. Der Weisse aber, der den Ball vom Roten bekommen hatte, erwies sich als sehr undankbar, denn er hielt sich wieder ausschliesslich an seine eigene Gruppe.

 

Zwei Mannen übrigens, die offenbar nicht so viel herumrennen wollten, standen an den beiden Breitseiten vor einem grossen Rahmen mit einem Netz. Sie warteten, bis der Ball näher kam und schauten dann sehr aufmerksam, was da passierte. Sie mischten sich gelegentlich auch ein und schnappten sich den Ball mit den Händen. Dabei sagt man, es handle sich um Fussball! Der Kopf wurde in diesem Spiel übrigens nicht gebraucht, ausser wenn ein Ball genau einen solchen traf.

 

Ganz selten wurde es ein wenig ruhiger, wenn jeweils ein paar Mannen links oder ganz rechts sich in der Nähe des Netzrahmens den Ball zuspiel- ten, einfach so. Die hatten wahrscheinlich genug vom Gehetze weiter vorne und wollten eine Verschnaufpause, was ich gut verstehen kann. Eindrücklich war immer wieder, wenn ein Spieler einen andern einfach umrannte oder den Haken stellte, worauf der Umgerannte sich in unendlichem Schmerz fotogen ächzend am Boden wälzte. Es kamen dann Helfer angerannt, mit Köfferchen, und bald war dem Gestürzten wieder wohl, nach ein paar Hinkerchen er hüpfte jedenfalls herum wieder wie zuvor.

 

Auffällig fand ich, dass die Mannen den Balltausch, wie ich ihn oben beschrieben habe von Rot zu Weiss und umgekehrt ständig wieder-holten. Wahrscheinlich beherrschten sie das am besten und sie mussten nichts denken dabei, was ihnen offenbar zugute kam. Nur die Sekunden, während denen Rot oder Weiss den Ball hatten, waren vielleicht etwas anders verteilt, aber sonst hielten sich die Kicker streng an dieses Prinzip: So rasch wie möglich sollen die jeweils andern den Ball haben.

 

Ganz komisch war auch das Publikum. Fast alle waren rot gekleidet. Und alle waren unglaublich stark involviert. Die Gesichter zeigten alle paar Sekunden, wenn der Ball wieder bei den andern war, einen völlig andern Ausdruck. Goethe hat wahrscheinlich auch einmal so ein Spiel gesehen, bevor er das Gedicht vom „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, ist allein die Seele, die spielt.“ Es muss ein Fussballspiel gewesen sein. Die Gesichter jedenfalls verzerrten sich bei jedem Ballwechsel, die Augen verdrehten sich zum Himmel, die Leute schrien den Spielern zu, was sie zu tun hatten, es waren ausnahmslos Experten auf den Rängen, aber die Spieler waren natürlich schon rein akustisch überfordert, auf alle diese gutgemeinten Ratschreie zu hören, das schafft ja nun wirklich niemand.

 

Ausserdem waren sich die Ratschlagenden offenbar überhaupt nicht einig, was am besten sei, was die Sache für die Spieler noch kompliziert hätte, falls sie hätten zuhören können. Für die Zuschauer wurde auch etwas Turnen organisiert, denn manchmal standen die Leute irgendwo auf und streckten die Arme in die Höhe, und die auf der nächsten Tribüne machten das nach. Das war begleitet von einem Stimmtraining, die vielen Kehlen riefen so etwas wie „hohooo“. Ich finde es schön, dass die Leute wegen eines Balles, der herum-geschupst wird, so viel Anteilnahme zeigen und so unglaublich begeisterungsfähig sind. Ich selber stellte dann aber bald ab, ich hatte jetzt ja begriffen, um was es da geht.


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