Von der Grossstadt auf die Alp

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Die Alp Ludera im Kanton Graubünden, auf 1798 Metern über Meer. (Bild: swissinfo)
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Schlechtes Wetter ist eine weitere Herausforderung beim Leben auf der Alp.

Alp Ludera

Die Alp Ludera liegt im bündnerischen Prättigau auf 1798 Metern über Meer unterhalb des Sassauna. Auf der Genossenschafts-Alp sömmern von Mitte Juni bis etwa Ende September rund 80 Kühe von acht Bauern aus dem 400-Seelendorf Fanas.

Neben den Kühen leben auf Ludera je 30 Schweine und Ziegen, ein paar Hühner und ein Herdentriebhund.

Pro Saison werden über 1000 Laibe Halbhartkäse à 5 Kilo sowie mehrere Hundert Kilo Alpbutter produziert. 1994 wurde die neue Alphütte mit moderner Käserei und Käsekeller in Betrieb genommen.

Die Idylle ist perfekt, der Tag lang, die Arbeit knochenhart. Wer sich auf einen Alpsommer einlässt, braucht Durchhaltevermögen und viel Idealismus - wie Christiana aus Berlin, Marlene aus Wien und Carolyn aus München auf der Alp Ludera im Kanton Graubünden.

 

Gaby Ochsenbein, swissinfo.ch

14:05:2013

 

Es ist fünf Uhr in der Früh. Wenn der Wecker klingelt, sind die drei Frauen rasch auf den Beinen. Christiana, die Hirtin, holt die Kühe von der Weide und treibt sie in den Stall. Jede Kuh hat ihren Platz, eine Nummer und einen Namen.

Langsam wird es Tag, und es zeigt sich die ganze Pracht der Bergwelt. Marlene, die 27-jährige Sennerin, heizt den Holzofen ein und trifft die Vorbereitungen fürs Käsen. Bevor die 60 Kühe an die Melkmaschinen angeschlossen werden, wird ausgiebig gefrühstückt. 20 weitere Kühe befinden sich auf der Weide im "Mutterschaftsurlaub". Sie werden bald kalbern und werden deshalb nicht gemolken.

Intaktes Arbeitsverhältnis

Die Alp Ludera liegt auf 1798 Metern über Meer und gehört dem Dorf Fanas im bündnerischen Prättigau. Die Alphütte ist neu und gut eingerichtet, mit Waschmaschine, Dusche und einer modernen Sennerei. Acht Bauern aus Fanas haben ihre Kühe in die Obhut des ausländischen Sennen-Personals gegeben.

Marlene, die in Wien biologische Landwirtschaft studiert und in der Schweiz das Käsen gelernt hat, rühmt das Verhältnis zu den Bauern. "Wir werden geschätzt und bekommen die nötige Unterstützung. Es sind tolle, engagierte Bauern." Zudem würden sie im Vergleich zu anderen Alpen nicht schlecht bezahlt (ca. 8000 Euro pro Kopf für vier Sommermonate).

"Sie machen ihren Job gut. Als unsere Sense kaputt ging, war zwei Tage später eine neue da. Sie liefern die Infrastruktur, was natürlich auch in ihrem Interesse liegt. Denn sie wollen, dass die Kühe wieder gut runterkommen und es guten Käse gibt", sagt Carolyn.

Weil die Schweizer Bauern zunehmend Mühe haben, einheimisches Personal für das traditionsreiche Alpen-Metier zu finden, werden immer mehr Leute aus dem Ausland angeheuert. Laut Schätzungen sollen es rund ein Drittel sein.

Es mache sie traurig und nachdenklich, sagt die 32-jährige Agraringenieurin Christiana, wenn sie von Schweizer Wanderern gefragt werde, was sie hier eigentlich mache. "Ich kenne jeden zweiten Stein und fühle mich nicht fremd, sondern zu Hause. Die Touristen sollten sich stattdessen freuen, dass wir diese Arbeit mit Begeisterung verrichten."

Anstrengender Alp-Alltag

Die 750 Liter Milch der letzten drei Tage ergeben 15 Laibe Halbhartkäse à 5 Kilo. Diese werden im Käsekeller gelagert, wo sie die nächsten Wochen gehegt und gepflegt werden. "Anfangs Sommer gab es pro Tag gegen 900 Liter." Jetzt aber sind die Weiden langsam abgefressen, das Futter wird weniger, die Milch auch. Der August ist ruhiger und es bleibt ab und zu auch Zeit zum Beeren- und Kräutersammeln.

Unterdessen treibt Christina unter lautem Glockengebimmel die Kühe zurück auf die Weide. Ab und zu klopft sie der einen oder anderen auf den knochigen Hintern, während Carolyn fröhlich "hoppa, hoppa" johlt. Der Hund rennt bellend hinterher.

"Man ist hier unglaublich nah an der Natur und den Tieren. Und wenn die Kollegin aus dem Stall kommt und man sich zugrinst, dann weiss ich: Da ist noch so eine Verrückte wie ich. Wir ziehen an einem Strang. Das sind diese kleinen Glücksmomente", sagt die 41-jährige Münchner Sozialpädagogin Carolyn.

Am gleichen Strick zu ziehen, ist zwingend, denn die Arbeit auf der Alp ist extrem hart, besonders in den ersten Wochen, wo 15 Stunden schuften die Regel sind. "Alles ist neu - für uns, aber auch für die Kühe", sagt Carolyn, die ihren zweiten Alpsommer absolviert.

Die drei Frauen haben sich am ÄlplerInnentreffen im deutschen Witzenhausen gefunden und beschlossen, die Genossenschaftsalp Ludera einen Sommer lang gemeinsam zu bewirtschaften. Die drei Städterinnen verstehen sich als eine Art "Schicksalsgemeinschaft": Man arbeitet, wohnt und isst zusammen und teilt alles, Gutes wie Schlechtes.

Programmierter Kulturschock

Die Arbeit auf der Alp geht allen drei Frauen an die Substanz. "Länger als vier Monate kann man nicht durchhalten", sagt Marlene. Trotzdem denkt sie mit gemischten Gefühlen an die bevorstehende Rückkehr nach Wien. Sie ist fasziniert vom Kreislauf auf der Alp, wo alles von den Wiesen über die Kühe bis hin zu Milch und Käse in der Hand des Teams liegt.

"Hier geben die Sonne und die Kühe den Ton an. Wenn ich nach Wien zurückkomme, frage ich mich, welchen Sinn dieses ganze Getöse, die vielen Menschen, diese Reizüberflutung machen. Augen und Ohren sind überfordert. Hier oben herrscht der Rhythmus der Natur."

Für Carolyn ist die Alp eine "Herzenslandschaft", wo sie sich wohl fühlt. "Hier haben wir wenig Fremdbestimmung. Wir haben einen Auftrag. Wie wir den ausgestalten, bleibt uns drei überlassen."

Auch wenn sie sich auf die Grossstadt freue, werde sie die Weite der Berge vermissen. "Auf der Alp dehne ich mich aus, in der Stadt muss ich mich wieder zusammenziehen, um nicht anzuecken."


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