"Sprache und Identität: Hochdeutsch im Kindergarten? Im Radio? Überhaupt?"

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Lokale Identität und die Besinnung auf die Herkunft sind en vogue in der Schweiz und anderswo.
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Ein Trend in der Schweiz ist das Schreiben in Mundart bei SMS und E-Mail.

Friedrich Dürrenmatt bringt es folgendermassen auf den Punkt:

„Ich rede Berndeutsch und ich schreibe Deutsch. (…) Ich muss immer wieder die Sprache, die ich rede, verlassen, um eine Sprache zu finden, die ich nicht reden kann, denn wenn ich Deutsch rede, rede ich es mit einem berndeutschen Akzent. (…) Es gibt Kritiker, die mir vorwerfen, man spüre in meinem Deutsch das Berndeutsch. Ich hoffe, dass man es spürt. Ich schreibe ein Deutsch, das auf dem Boden des Berndeutschen gewachsen ist.“

 

Ambrosia Weisser

„Verstönd Sie Mundart oder söll i Hochdütsch rede?“ - Diese entgegenkommende und freundliche Frage, der wohl jeder Deutsche in der Schweiz schon einmal begegnet sein dürfte, ist eigentlich ganz einfach und doch hat sie jede Menge Untertöne. Was will der Fragende damit wirklich aussagen? Möchte er Brücken schaffen, legt er Wert darauf, dass ich alles verstehe? Folgt er einfach einem Höflichkeitskodex?

 

Ambrosia Weisser

24:12:2012

 

Will er die Sprachunterschiede Mundart/Hochdeutsch bewusst herauskehren, sich distanzieren und dem Gespräch womöglich noch einen ganz offiziellen Anstrich geben - oder möchte er etwa mit seinen Hochdeutsch-Fähigkeiten glänzen?

Und wie kommt die Frage bei mir an? - In erster Linie als freundliche und höfliche Geste, um gemeinsam zu kommunizieren. Dann regt sich aber auch mein Widerstand und ich frage mich, ob man mir denn nicht an der Nasenspitze ansieht, dass ich (fast) alles verstehe und deshalb diese Frage hinfällig ist.

Ich sehe das Entgegenkommen des Fragenden und doch vertrete ich die Meinung, dass die Schweizerinnen und Schweizer in ihrer Landessprache reden sollten, so, „wie ihnen der Schnabel gewachsen ist“, mit der Sprache ihrer Herkunft und ihres Herzens.


Wie hält es die Schweiz und ihre Bevölkerung generell damit? Wann wird Mundart verwendet, wann kommt Hochdeutsch zur Anwendung? Verlieren die Schweizer ihre Identität, wenn Hochdeutsch zunehmend den Alltag bestimmt?

 

Starke Mundart


Die Mundart hat heute in der Deutschschweiz eine ungeschmälert starke Stellung – und das ist auch gut so. In Zeiten von Globalisierung und Öffnung von Arbeitsmärkten werden nicht nur international verwendete Sprachen, sondern eben gerade auch identitätsstiftende „Instrumente“ wie Dialekte immer wichtiger bzw. behalten ihre Wichtigkeit. Zahlreiche Studien belegen zwar die Vorteile, die einen frühen Beginn des Hochdeutscherwerbs belegen, aber muss dies schon im Kindergarten in aller Konsequenz verfolgt werden?


Ausgehend von der heutigen familiären Situation der 1-2-Kind-Familien, die längst nicht mehr in ein grösseres Familiengefüge eingebunden sind wie früher noch, sollte eines der wichtigsten Ziele des Kindergartens erst einmal die Sozialisierung sein. Dazu ist es wichtig, dass die Kinder lernen, Kontakte zu knüpfen und sich mit der Umwelt auseinandersetzen.

Am einfachsten fällt dies wohl in der Muttersprache. Das Hochdeutsch kommt ganz automatisch zum Einsatz bei Rollenspielen, die oft Filmen aus dem Fernsehen nachempfunden sind. Da die meisten Kinderbücher in Hochdeutsch sind, kommen die Kinder auch beim Vorlesen mit dem Hochdeutschen in Berührung.


Befürworter des frühen und gezielten Erlernens von Hochdeutsch wie z. B. der Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverband DLV argumentieren, dass eine gute Beherrschung der Bildungssprache Hochdeutsch Voraussetzung für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn sind.

Der frühe Beginn soll dies gewährleisten. Weiter wird von Hochdeutsch im Kindergarten eine verbesserte Einstellung der Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer erwartet, sodass sich diese mehr zutrauen und ohne Hemmungen Hochdeutsch sprechen würden. Eine Gegenposition dazu ist allerdings, dass dadurch die Deutschschweizer Dialekte verloren gehen. Ausserdem könnten so die Deutschschweizer Lieder und Verse nicht mehr vermittelt werden, womit Kulturgut verloren ginge und damit ein Teil Deutschschweizer Identität.


Eine ganz wichtige Voraussetzung für das Erlernen und die Verwendung von Hochdeutsch in Kindergarten und Schule ist die Einstellung und das Sprachvermögen der Lehrpersonen. Sie sollen einen positiven Bezug zum Hochdeutschen haben, es ungezwungen anwenden können und Korrekturen im angemessenen Rahmen vornehmen, denn Zielsprache für Deutschschweizer Kinder kann nur das Schweizerhochdeutsch sein.

Das Deutsch, das die Schweizer sprechen, ist nicht identisch mit dem Deutsch, das in Deutschland gesprochen wird. Nicht nur die Aussprache ist anders, auch Grammatik und Wortschatz unterscheiden sich vom Hochdeutschen.

 

Sprache drückt das Herkommen aus

 

Aber: Es gibt keine eigenständige deutschschweizerische Standardsprache; Schweizerdeutsch n’existe pas. Die Deutschschweiz wird repräsentiert durch verschiedene Dialekte. So gibt es neben dem Berndeutschen, Baseldeutschen, Zürichdeutschen und Walliserdeutschen noch viele weitere kantonale und sogar regionale Dialekte. Beim Gebrauch dieser jeweiligen Dialekte drücken die Verwender ihre lokale Identität aus.

Sie benutzen dabei die Sprache nicht nur, um Inhalte mitzuteilen, sondern teilen dabei auch mit, woher sie kommen. Dies schafft einen regionalen Bezug und einen festen Platz in einer lokal umrissenen Gesellschaft. Damit wird ein Gruppen-Identitätsgefühl geschaffen, das Menschen innerhalb einer Gruppe ein-, andere „Sprachgemeinschaften“ aber auch ausschliessen kann.


Die lokale Identität und die Besinnung auf die Herkunft stehen derzeit voll im Trend. Unter dem Schlagwort „Swissness“ erleben Jodeln und nationale Bräuche eine Renaissance, Uhren made in Switzerland stehen für die Schweizer Werte Präzision, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit.

Agro-Produkte werden unter den Labels „Heidi“ oder „Suisse Garantie“ als frische und natürliche Lebensmittel aus absoluter Schweizer Herkunft angepriesen und Schweiz Tourismus vermittelt weltweit die Schweiz als urchiges und naturbelassenes Hier-ist-die-Welt-noch-in-Ordnung-Land.

 

Allerdings kann sich diese Abgrenzung auch als Eigentor erweisen. Der Schweizer Schriftsteller Hugo Loetscher sah darin die Gefahr eines reaktionären Konservatismus. „Und mit dem Schweizer Blut ist das auch so ein Problem. Viele Kompatrioten können mir mit ihrem Blut nicht helfen, während viele Ausländer die Blutgruppe,haben, die für eine lebensbedrohliche Transfusion unerlässlich wäre.“

 

Sprache und noch mehr Trends


Die Schriftsprache in der deutschsprachigen Schweiz ist Hochdeutsch. Fast alle Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sind in Hochdeutsch geschrieben und haben je nach Medium zuweilen einen hohen Anteil an Helvetismen. Der Anteil an Schweizer Mundart-Literatur ist marginal. Die selbst für Schweizer mühsam zu lesende Sprache vermag nur einen kleinen Interessentenkreis anzusprechen. Sehr im Trend liegt das Schreiben in Mundart dagegen bei SMS und E-Mail.

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen: „In Mundart kann ich mich besser ausdrücken und ich muss nicht auf die Grammatik und die Rechtschreibung achten.“ „Ig finde mir sie hie ir Schwiz u drum redet me Bärndütsch.“ „Man muss viel weniger überlegen, was man sagen will.“ „Für mich ist die Mundart eher mein Privatleben und das Hochdeutsche eher mein Leben in der Schule.“

 

Teil II des Essays von Ambrosia Weisser folgt demnächst.


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