Wirbel um Carla Del Pontes Buch

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Stapel von "Die Jagd" im Luganeser Buchladen Le Melisa, die von Carla Del Ponte hätten signiert werden sollen. Bild:swissinfo
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Seit Januar 2008 ist Carla Del Ponte Botschafterin in Argentinien.

"La caccia. Io e i criminali di guerra" ist im Verlag Feltrinelli herausgekommen und liegt zurzeit nur auf Italienisch vor.

Die Rechte sind aber schon in verschiedene Länder verkauft worden.

Carla Del Ponte beschreibt darin ihre acht Jahre als Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag.

"Die Jagd. Ich und die Kriegsverbrecher" ist in die Regale der italienischen und Schweizer Buchläden gelangt. Seit langem erwartet, löst das Buch Diskussionen aus - nicht nur, weil der Autorin die Werbung dafür untersagt wurde.

 

Pressedienst

11:04:2008

 

Dieses Werbeverbot an die Adresse der Autorin kommt vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA): Ihre Rolle als Botschafterin in Argentinien verlange von Carla Del Ponte eine ausgeglichene Rolle in ihrer diplomatischen Funktion und eine Vertretung der Interessen der Eidgenossenschaft.

In Bern ist man der Ansicht, dass einige der im Buch enthaltenen Anschuldigungen der ehemaligen Chefanklägerin am UNO-Kriegsverbrechertribunal in dieser Weise nicht von der Schweizer Regierung aufrecht erhalten werden können - jener Regierung, die Del Ponte jetzt vertritt.

Die 412 Seiten, auf denen del Ponte ihre acht Jahre als Jägerin von Kriegsverbrechern zusammenfasst, enthalten auch provokante Passagen. So hat es denn auch an Reaktionen nicht gefehlt.

Ausgerechnet Belgrad, so schreibt die italienische "La Repubblica" vom 12. März, habe mit allen Mitteln versucht, die Publikation des Buchs zu stoppen, indem es sich an den UNO-Generalsekretär und an das Haager Tribunal wandte.

 

Grosses Vertrauen in Gerichtsbarkeit

"Was ich mit diesem Buch sagen möchte", so Del Ponte gegenüber swissinfo, noch bevor ihr vom EDA die Schweigepflicht auferlegt worden war, "bezieht sich auf das grosse Vertrauen in die internationale Gerichtsbarkeit."

Denn es lasse sich auch für Tausende von Opfern solcher Kriegsverbrechen Gerechtigkeit schaffen - trotz aller Hindernisse, die einem in den Weg gelegt würden. "Und ich wende mich vor allem an die Jugend, damit auch sie sich in irgendeiner Weise in diesem Bereich engagiert."

Was hält sie denn unter diesen Umständen von dem vom Haager Gerichtshof am 2. April ausgesprochenen Freispruch des ehemaligen kosovarischen Premierministers Ramush Haradinaj? Dieser war angeklagt, zahlreiche Serben während des Krieges 1998 - 1999 gefoltert und umgebracht zu haben. Hat auch die internationale Gerichtsbarkeit ihre Grenzen?

Del Ponte: "Die internationale Gerichtsbarkeit hat ihre Grenzen, sicher. So wie auch die nationale und die lokale Justiz." Man wisse ja, dass es viele Schwierigkeiten gebe. Aber die eingeschlagene Richtung stimme.

 

Die blutigen neunziger Jahre

In der Buchhandlung Melisa in Lugano, wo Del Ponte am Dienstagvormittag für die Promotion ihres Buches erwartet worden war, herrscht Enttäuschung. "Ein Sprechverbot? Das ist ja eine Schande. Die Schweiz sollte stolz darauf sein, eine solche Botschafterin zu haben", sagt eine Dame mit Blick auf die gestapelten Bücher von Del Ponte.

Vor dem Laden erscheint eine weitere Frau. "Kommen auch Sie wegen dem Buch von Del Ponte?" Ja, sagt sie, das sei eine mutige Person, ein Vorbild für alle Frauen, die kämpfen. "Ich hoffe, dass Del Ponte mein Exemplar signieren wird." Noch weiss die Frau gar nicht, dass es gar keinen Sinn hat, auf die Autorin zu warten.

In den 13 Kapiteln versucht Del Ponte, die Hindernisse und Schwierigkeiten darzulegen, die sie überwinden musste, um eine internationale Gerichtsbarkeit zum Funktionieren zu bringen, und um die schlimmsten Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda zu fassen.

 

Ein Faustschlag in Belgrads Magengrube

In Interviews, die Del Ponte im Vorfeld der Publikation ihres Buches gegeben hat, betonte sie immer wieder, dass das Buch nichts anderes sei als eine Chronik ihrer Reisen, die mit Hoffnungen begannen und mit einer Pressekonferenz endeten.

Eigentlich ist die Publikation eine Faust in Belgrads Magengrube: Erzählt werden die verzweifelten und erfolgslosen Verhandlungen, um endlich Radovan Karadzic und Ratko Mladic hinter Schloss und Riegel zu bringen.

Im Kapital 11 kommt sie auf Kosovo zu sprechen. Darin beschreibt die Ex-Chefanklägerin auch den gegenwärtigen Premierminister Hashim Thaci, zu Zeiten der UCK-Gipfeltreffen. Sie erinnert sich, wie sie von Thaci während eines Round Tables mit unpassenden Kommentaren eingedeckt worden war.

"Ich blickte ihm in die Augen", erinnert sich Del Ponte auf Seiten 293 und 294, "und teilte ihm mit, dass ich ein Untersuchungs-Dossier über die von Albanern begangenen Kriegsverbrechen im Kosovo eröffnet habe. Nie habe ich die Anklage gegen ihn selbst erwähnt, doch Thaci muss es gespürt haben, weil sich sein Gesicht versteinerte."

 

Eine ungemütliche Frau

Die Enthüllung der dramatischen und oft peinlichen Hintergründe und Del Pontes direkter Schreibstil werfen ein neues Licht auf einige der dunkelsten Kapitel der neueren Geschichte des Alten Kontinents.

In ihrem neuen Buch lässt die Autorin Carla Del Ponte, immer treu zu sich selbst, denn auch keines aus. Weitere Passagen dürften nicht allen Politikern gefallen. Das waren die Zeiten, als man ihr ihre Unnachgiebigkeit vorwarf, und damit die guten Beziehungen der Staaten untereinander auf Spiel gesetzt zu haben.

 

Immer wieder an eine Gummiwand

Die Beziehung des Staatsanwalts mit der Politik ist nicht ganz einfach. Das weiss sie von jeher. Sie steht zur Zeit deutlich in der Kritik der Aussenpolitischen Kommission der Eidgenössischen Räte. Einige Parlamentarier verlangen bereits ihren Rücktritt.

Sie war sich immer bewusst, wie komplex sich die Beziehungen zwischen Staatsräson und Gerichtsbarkeit entwickeln können. Auf Seite 13 im Vorwort beschreibt sie, wie ihr beruflicher Werdegang immer wieder an eine Gummiwand prallte, die sich aus potenten Persönlichkeiten, Finanzleuten, Bankiers und Politikern zusammensetzt.

"Während fast acht Jahren", so die derzeitige Botschafterin, "habe ich in einem Sicherheits-Appartment in Den Haag gelebt". Jetzt lebt sie in dem Land, in dem die Mütter der Plaza de Mayo ihren Kampf ausgefochten haben - den gleichen Kampf wie sie, Del Ponte, um Gerechtigkeit.

 

Quelle: Radio SRI/ swissinfo, Françoise Gehring, Lugano
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)


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