Von eisigen Medien und eisernen Ladies

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Regula Stämpfli - es ist Zeit, die richtigen Fragen zu stellen wenn es um politisierende Frauen geht.
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Sie war die Kandidatin aus der Ostschweiz: Regierungsrätin Karin Keller-Sutter.

Mehr über Dr. Regula Stämpfli erfahren Sie hier.


Lesen Sie bei ostschweizerinnen.ch in Kürze einen Kommentar von Helga Klee zum Ausgang der Bundesratswahlen 2010.  

Ein Klischée ist doof, Hundert wirken ergreifend, 1000 sind dann schon Wissenschaft. Was wir im Vorfeld über die herausragenden Kandidatinnen Sommaruga, Fehr und Keller- Sutter nicht alles lesen, hören und ertragen mussten! Besonders ärgerlich sind dabei die Journalisten, die Meinungen sammeln, statt endlich die Fakten zu kennen. Bei jeder Wahl beginnen die Frauen dort, wo ihre älteren Schwestern und Mütter schon längst waren. Das macht müde und das macht wütend. Vor allem am Abend der Bundesratswahl, der zwar mit einer Frauenmehrheit in der Regierung allemal ein Glas Wein wert ist, doch den Champagner noch nicht: Karin Keller-Sutter hätte wunderbar in den Bundesrat gepasst. Nun ja.

 

Regula Stämpfli

23:09:2010

 

Also. Ich nehme nun die Chance, mir und Ihnen die wichtigsten Fragen, was denn am 22. September 2010 in der Schweiz wirklich passiert ist, zu stellen und zu beantworten. Dies in der Hoffnung, dass bei nächsten Bundesratswahlen vielleicht weniger Klischées wiedergekäut, sondern echte Themen diskutiert werden.

 

Erstens: Ist die Frauenmehrheit nun historisch oder courant normal?

Beides. Historisch, weil die Schweiz nun in die Spitzengruppe der Länder fällt, die  mindestens die Hälfte Frauen in der Regierung stellen. Courant normal, weil die Frauen nicht als Frauen und Feministinnen, sondern allesamt wegen ihrer Parteizugehörigkeit in der Regierung sitzen.

 

Zweitens: Wieso so viele Frauen?

 

Weil in der Schweiz die Normalbiographie von Frauen für politische Ämter geeignet ist. Frauen können auch als Wiedereinsteigerinnen in der Politik Karriere machen.

Politik ist in der Schweiz ehrenamtlich, ideal für Wiedereinsteigerinnen, mit weniger Prestige als auch schon gesegnet und erfordert viel geldlose, aufopferungswürdige Zeit. Zeit, die Schweizer Männer, gerade auf lokaler Ebene, lieber fürs Geldverdienen und Karriere aufwenden als für die Politik. Nur in den prestigeträchtigen Gemeindeexekutiven finden sich noch eine Mehrheit Männer, ansonsten sind die Frauen in der ehrenamtlichen Politik überall im Vormarsch.  

Die Häufung der Frauen im Bundesrat ist also nicht zufällig – so war auch der grösste Kanton Zürich während Jahren von einer Frauenmehrheit regiert. Dies passiert immer, wenn Regieren in Zeiten der Wirtschaftskrise und politischen Polarisierung enorm schwierig geworden ist. Dann sind Trümmerfrauen gefragt.

 

Drittens: Weshalb haben wir in der Finma, in der UBS, in der CS, in den Chefredaktionen der wichtigen Medienkartelle nicht nur keine Frauenmehrheit, sondern eine eigentliche Frauendiskriminierung?

 

Weil es in diesen Institutionen um echte politische und wirtschaftliche Gestaltungsmacht geht. Würden nicht nur Frauen in diese Gremien reinkommen, sondern deren Strukturen auch gewandelt und das Verständnis des Wirtschaften für das Volk und nicht das Volk für die Wirtschaft gefördert, dann käme dies einer Revolution gleich. Aber genau deshalb sind in diesen Institutionen Frauen nur mit der Lupe zu suchen. Solche echten Machtpositionen behalten die alteingesessenene Familien, die Aufsteigermänner sowie die globale, männliche Elite. Also: Frauen nehmen dann in der Politik Platz, wenn die Männer diesen verlassen haben... So bedeutet die Feminisierung eines Berufes ja oft leider nicht die Steigerung von Ansehen, Macht und Lohn, sondern das Gegenteil. Genauso wie die Feminisierung des Berufes eigentlich die Auswanderung der Männer aus diesem Beruf beschreibt. Alles spannende Zusammenhänge, die in der Klischéeschweiz und Medienberichterstattung kaum diskutiert und verstanden werden.

 

Viertens: Weshalb hat es wiederum eine herausragende, kompetente FDP-Frau nicht geschafft?

 

Seit dem unwürdigen Abgang von Elisabeth Kopp kann es die FDP nicht wirklich mit ihren Frauen. Es gibt zuwenig ernstgemeinte parteiinterne Frauenförderung, die von der Parteispitze betrieben wird und auch die potenten Wirtschaftsnetzwerke umfasst. Ohne Economiesuisse läuft bei den bürgerlichen Parteien wenig. Und Economiesuisse hat schon längst als ihren Favoriten ihren eigenen Vizepräsidenten ernannt. So einfach und so schwer ist dies für FDP-Frauen.

 

Fünftens: Weshalb kursieren selbst nach der Einführung des Frauenstimm- und –wahlrechts sowie der Festschreibung der Gleichstellung in der Bundesverfassung immer noch dieselben Klischées, welche schon die Anti-Frauenrechtler – und –innen vor 100 Jahren ins Feld geführt haben?

 

Weil die Frauen wie sie es auch machen, immer falsch machen. Sind Frauen zu sehr Frau, wird dies kommentiert und etikettiert, sind Frauen sehr sachlich, wird dies als distanziert ausgelegt, sind Frauen zu kompetent, wird das als krankhafter Ehrgeiz begriffen, sind Frauen temperamentvoll wird dies als unprofessionell etikettiert usw. Deshalb mussten Frauen auch auf Etiketten der Medien reagieren, die total daneben waren. Simonetta Sommaruga musste ihre weiche Seite zeigen, Jacqueline Fehr ihre mütterliche, Karin Sutter-Keller musste mit dem schmerzlichen Hinweis auf ihre Fehlgeburten „klarstellen“, dass sie nicht einfach Karrieristin ist. Das zeigt, dass Frauen zwar wie Männer politisieren sollen, aber nie wie Männer denken, handeln und leben dürfen. Frauen dürfen gleichzeitig aber auch nicht zu sehr Frau sein. Es ist wirklich nicht immer einfach.


Angesichts solcher Entwicklungen muss ich manchmal mit Erich Kästner und seiner ironischen Betrachtung über Erfahrung und Zeit lächeln. Er meinte: „‘Erfahrung‘? Erfahrung heisst noch nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre lang falsch machen.“ Im Hinblick auf die ewigen Medienklischées seit der Einführung des Frauenstimmrechts können die falschen Fragen sogar fast 50 Jahre lang gestellt werden....
 


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