Bundesrat will mehr führen

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"Es braucht zwei Jahre Bundespräsidentschaft", sagt Wirtschaftsministerin Doris Leuthard.
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Den Beziehungen der Schweiz kommt höchste Priorität zu, so Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf.

Seit 1990 wird in der Schweiz eine Regierungsreform angestrebt.

1990: Der Bundesrat beauftragt eine Arbeitsgruppe mit Vorschlägen. Man denkt an mehr Bundesräte oder an ein Ministerialkabinett mit Staatssekretären.

1993: Der Bundesrat schlägt dem Parlament vor, bis zu 21 Staatssekretäre einzustellen, die die Regierung in ihrer Arbeit entlasten.

1995: Das Parlament sieht ein Projekt vor, dass maximal 10 Staatssekretäre umfasst.

1996: Das Volk schickt eine entsprechende Vorlage mit 61% Nein bachab.

1998: Die Regierung relanciert die Diskussion mit zwei Vorschlägen. Einem Bundesrat mit 9 Mitgliedern und Präsidialdepartement, oder einer Zwei-Kreise-Regierung.

Danach ist der Regierungskreis in einen engeren und weiteren Kreis unterteilt. Der engere Kreis steht für die Träger der politischen Gesamtverantwortung (Mitglieder des Bundesrats), während die delegierten Minister als Träger sektorieller politischer Mitverantwortung dem weiteren Kreis angehören.

2001: Das Projekt der Regierung mit zwei Kreisen wird vom Bundesrat an das Parlament weitergeleitet.

2003: Der Ständerat zieht eine Ausweitung des Bundesrates von 7 auf 9 Köpfe vor.

2004: Die Räte schicken die Vorlage an den Bundesrat zurück und verlangt weitere Vorschläge, besonders im Bereich der behördlicher Effizienz.

2008: Der Bundesrat verzichtet auf eine Reorganisation der Departemente. Dies bedeutet das Aus für ein "Super-Departement" für Sicherheit.

2009: Auf Druck des Parlaments belebt der Bundesrat die Regierungsreform erneut. Es ist von einer Verlängerung der Bundespräsidentschaft die Rede.

Februar 2010: Die SVP lanciert eine Volksinitiative, die vorsieht, die Bundesräte direkt vom Volk und nicht mehr vom Parlament wählen zu lassen.

Radio SRI/ swissinfo.

Verlängerung der Amtsdauer für die Bundespräsidentschaft und vermehrter Einsatz von Staatssekretären: Das sind zwei Eckpfeiler der Regierungsreform, die der Bundesrat bis im Sommer den Räten unterbreiten wird. Ziel ist es, mehr zu führen und weniger zu verwalten.

 

Sonia Fenazzi

27:03:2010

 

Während sich die Welt ständig ändert und die Probleme zunehmen, sind die Strukturen rund um die Schweizer Regierung seit 1848 praktisch unverändert geblieben. Damals war der Bundesstaat in der heutigen Form gegründet worden.

Daran erinnerte am Donnerstag Bundespräsidentin Doris Leuthard. Vor den Medien führte sie die Grundzüge der Regierungsreform auf, einen Tag nachdem diese an der Klausursitzung des Bundesrats diskutiert worden waren: Schon Ende der 90er-Jahre habe sich die Notwendigkeit von Reformen abgezeichnet. Doch haben seither jegliche Änderungswünsche Schiffbruch erlitten.

Jetzt hingegen sei "die Zeit reif", so Leuthard. Nicht nur hätten Globalisierung und Krise diese Notwendigkeit klar aufgezeigt, auch aus den jüngsten Ereignissen habe man die Konsequenzen gezogen.

Den Beziehungen der Schweiz zum Ausland komme somit höchste Priorität zu. Deshalb die Notwendigkeit einer Verlängerung der Bundespräsidentschaft. Es sei äusserst wichtig, "Kontakte zu knüpfen und aufrechtzuerhalten". Denn in ausserordentlichen Situationen seien gerade sie ausschlaggebend, so Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf.


 

Längere Dauer, nicht mehr Macht

Deshalb sei der Bundesrat überzeugt, dass es nicht ein, sondern zwei Jahre Bundespräsidentschaft brauche. Eine Vier-Jahres-Periode wäre zu lange, so der Bundesrat. "Sie wäre auch mit dem Konkordanz-System nicht kompatibel", sagte Leuthard.

Die Detailausführungen zu den Modifikationen seien zur Zeit noch nicht abgesegnet. Noch bleibe offen, ob der Bundespräsident oder die -präsidentin künftig vom Parlament oder der Regierung gewählt wird. Auch dürfe weder eine Partei noch eine Sprachgruppe die Präsidentschaft unterwandern.

Demgegenüber bliebe es bei der Vizepräsidentschaft beim jährlichen Wechsel. Der Bundespräsident hätte keine zusätzlichen Machtbefugnisse. Er bliebe 'Primus inter pares' wie bisher. Mit anderen Worten, die Schweiz würde sich nicht zu einer 'Präsidial-Konföderation' umwandeln.


 

Sieben bleibt optimal

Der Bundesrat hat es abgelehnt, ein zusätzliches Präsidial-Departement einzuführen, auf neun Bundesräte aufzustocken oder die Präsidialarbeiten fix immer dem gleichen Departement zuzuordnen. Er zieht eine Verstärkung des Stabs des Bundespräsidenten vor.

Was zähle, sei eine starke Unterstützung seitens der Administration, unterstreicht Eveline Widmer-Schlumpf. Das gelte auch für den gesamten Bundesrat. Deshalb der Vorschlag, die Zahl der gegenwärtig vier Staatssekretäre zu erhöhen.

Diese müssten künftig auch technische Aufgaben lösen, sowohl im Management des Departements als auch in der Beziehungen zum Parlament. Damit würde der Bundesrat entlastet und könnte sich vermehrt der politischen Führung widmen. "Die politische Verantwortung wird auch künftig beim Departementchef liegen", so Leuthard.

"Die Anzahl der Staatssekretäre ist noch nicht fixiert worden. Es könnten deren acht oder zwölf sein", vermutet Widmer-Schlumpf. Die Regierung werde die Frage der Staatssekretäre parallel auch bei der Reform der Departemente entscheiden.

Der Bundesrat möchte die Anzahl der Ministerien nicht verändern: 7 sei eine ideal Zahl für das Funktionieren einer Kollegial-Regierung, so Leuthard. Wäre der Bundesrat auf 9 Mitglieder vergrössert worden, würde laut der Wirtschaftsministerin "alles viel komplizierter werden."

Auch mit 9 Bundesräten würde sich die Regierung nicht von den vielen Tagesgeschäften entlasten, sagt Widmer-Schlumpf.


 

Lauwarme Reaktionen

Bei den grossen Parteien hält sich die Begeisterung zu den Reformvorschläge in Grenzen. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) sagt klar Nein: Die strategischen Probleme würden auf diese Weise nicht gelöst. Im Gegenteil, die Ungleichgewichte, die Orientierung gegen aussen und die Rolle der Bürokratie würden sich akzentuieren. Um starke Persönlichkeiten in der Regierung zu haben, brauche es eine Volkswahl, schreibt die SVP in ihrer Stellungnahme.

Die SVP hat selbst eine Volksinitiative lanciert, um die 7 Bundesräte neu durch direkte Volkswahl zu bestimmen.

Nationalrat Andreas Gross von der Sozialdemokratischen Partei schätzt die Reformvorschläge des Bundesrates als 'grossen Fortschritt' ein. Andererseits handle es sich um eine minimalistische Reform, ohne grossen Mut. Er hoffe ausserdem, dass der Bundespräsident auch künftig vom Parlament gewählt werde.

Ähnlich äusserte sich Ueli Leuenberger, Präsident der Grünen: Er hätte gerne neun Bundesräte. Damit liessen sich die Sprachregionen besser integrieren.

"Ziemlich zufrieden" gibt sich der Freisinn: Mit diesem Vorschlag würde die Regierung wohl weitblickender werden, so Philippe Miauton, Sprecher der FDP-Liberalen.

Die christdemokratische Sprecherin Marianne Binder sagt, die Verstärkung der Bundespräsidentschaft sei zu begrüssen, genüge aber noch nicht. Auch sollten die Staatssekretäre vom Parlament bestätigt werden.


Quelle: Radio SRI/ swissinfo; Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle.


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