Die diebische Freude, gelesen zu werden

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Vermisst ihre Schweizer Freunde: Dorothee Elmiger. Bild: Lena Langbein.
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Dorothee Elmiger wurde 1985 in Wetzikon geboren. Bild: Wiki.

Dorothee Elmiger

Sie wurde 1985 in Wetzikon geboren und wuchs in Appenzell auf.
 
Nach dem Schulabschluss nahm sie ein Studium der Philosophie und Politikwissenschaften in Zürich auf.
 
Dann studierte sie am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel und verbrachte ein Auslandssemester am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.
 
Seit 2009 führt sie ihr Studium der Politikwissenschaften in Berlin fort.
 
Im Jahr 2008 nahm sie am Festival für junge Literatur in Hildesheim "Prosanova" teil.
 
2009 war sie Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses.
 
Im Sommer 2010 erhielt sie den 2. Preis (Kelag-Preis) des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs.
 
Für "Einladung an die Waghalsigen" wurde Dorothee Elmiger im Herbst 2010 mit dem aspekte-Literaturpreis des ZDF für das beste deutschsprachige Prosadebüt ausgezeichnet.
 
Sie war ausserdem nominiert für den Schweizer Buchpreis. 
 
Bisherige Veröffentlichungen:
 
Üblicher Horizont, BELLA triste Nummer 22, Hildesheim 2008
 
Dorf, Hrsg: Dorothee Elmiger u. a, Uerste Verlag 2009
 
Einladung an die Waghalsigen. DuMont, Köln 2010

Kritiker loben ihren kühnen Umgang mit Sprache, die Feuilletons sprechen von einer neuen Stimme. Der Schriftstellerin Dorothee Elmiger behagt der Medienrummel um ihre eigene Person aber nicht. Ihre Einladung zu mehr Engagement verschickt sie lieber still und leise: schriftlich.

 

Lena Langbein, swissinfo.ch

15:11:2012

 

Die schönsten Momente sind für Dorothee Elmiger jene, in denen sie sich vorstellt, dass irgendwo jemand ihr Buch liest. "Ich empfinde fast eine diebische Freude, wenn ich mir überlege, dass das Buch – vielleicht auf Umwegen – zu einer Person gekommen ist, die ich nicht kenne", sagt sie.
 
Für ihren Roman "Einladung an die Waghalsigen" wurde die 25-jährige Schriftstellerin aus Appenzell in diesem Jahr mit dem 2. Preis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs und dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet.
 
Die Mechanismen des Literaturbetriebes und der Medienrummel um ihre Person bereiten Dorothee Elmiger Unbehagen. Noch immer hat sie sich nicht daran gewöhnt, Artikel über sich in den Medien zu lesen. "Früher habe ich immer gedacht, ich wäre dann doch insgeheim stolz. Aber diesen Moment gibt es nie", sagt sie. 
 
Was sie freut, ist, wenn verstanden wird, was sie sagen und schreiben wollte. Ihr geht es um das Schreiben und die Gespräche mit Leuten, die ihr Buch gelesen haben. "Da geht es um den Text. Es entsteht ein direkter Kontakt, und manchmal habe ich das Gefühl, ein Funke ist übergesprungen", sagt sie.


 

Einladung an die waghalsige Jugend

In Dorothee Elmigers Buch geht es um zwei Schwestern, die in einem ehemaligen Kohleabbaugebiet leben. In den Stollen ist vor langer Zeit ein Feuer ausgebrochen, das niemand löschen kann. Nur wenige Menschen wohnen noch in dem verlassenen Gebiet.
 
Die beiden Schwestern – die Jugend der Stadt – machen sich auf die Suche nach der Vergangenheit, von der sie nicht viel wissen, und nach der Zukunft, die sie nicht gestalten können, so lange sie nichts über Vergangenes wissen.
 
"Obwohl man uns sagt, dass früher auch nichts besser war, und obwohl der Polizeikommandant und seine Beamten sich auf nichts verstehen als auf das Patrouillieren, das halbherzige Zitieren von Paragrafen und den chronologischen Gehorsam, obwohl die Mutter sich längst solitär aufgemacht hat, hätten wir uns allerdings gefreut über die Überlieferung einiger Hinweise, eine Anleitung zum Handeln die Zukunft betreffend, […]", lässt Dorothee Elmiger eine der Schwestern am Anfang des Romans schreiben.
 
Diese "Anleitung zum Handeln die Zukunft betreffend" braucht die Jugend letztlich gar nicht. Und die Einladung Dorothee Elmigers kann man auch wörtlich verstehen als Aufforderung an junge Menschen, die Vergangenheit zu hinterfragen und die Zukunft aktiv in die Hand zu nehmen.


 

Durch Zufall in Berlin

Seit eineinhalb Jahren studiert Dorothee Elmiger Politikwissenschaften in Berlin. Dass sie nach Berlin gezogen ist, war eher ein Zufall. Sie hatte sich an mehreren deutschen Hochschulen beworben, und die Freie Universität Berlin war die erste, die ihr die Zulassung geschickt hat.
 
Von ihrem Studium hat Dorothee Elmiger aber ganz konkrete Vorstellungen: Nach der sehr praxisorientierten Ausbildung am Literaturinstitut in Biel möchte sie jetzt mehr theoretisch arbeiten und vor allem Werke der politischen Theorie und Philosophie lesen.
 
Eine Laufbahn als Politikwissenschaftlerin strebt sie nicht an. Sie studiert das Fach im Hinblick auf ihre Schriftstellerei.
 
Am Berliner Institut für Politikwissenschaften, dem Otto-Suhr-Institut, gefällt ihr, dass viele Studierende sehr engagiert sind und ein grosses Mitspracherecht einfordern. "Eine solche Leidenschaft für die Sache, die über die Anforderungen hinaus geht, habe ich in der Schweiz nicht erlebt", sagt sie.


 

Der Wunsch, direkt teilzunehmen

Was Dorothee Elmiger in Berlin fehlt, ist ein persönlicher Bezug zum politischen Tagesgeschehen. "In der Schweiz haben die Dinge viel mehr mit mir zu tun. Ich werde wütend. Oder freue mich – selten", sagt sie.
 
"Ich verfolge alles viel stärker mit. Das sind Dinge, die mich beim Schreiben beschäftigen." In der Schweiz hat sie kürzlich bei einigen Veranstaltungen gegen die Ausschaffungsinitiative gelesen. Zu politischen Debatten oder Ereignissen in Deutschland fühlt sie eine grössere Distanz.
 
Die Frage, ob sie sonst grosse Unterschiede zwischen der Schweiz und Deutschland erlebt, verneint Dorothee Elmiger entschieden. Die Vorurteile über die Deutschen in der Schweiz und die damit verbundenen Diskussionen ärgern sie furchtbar. "Wenn ich meinen eigenen Freundeskreis angucke, werden diese Kategorien und Vorurteile absurd", sagt sie.


 

Schreiben fern vom Erwartungsdruck

Und wie ist es nun, mit so viel Ruhm weiter zu schreiben? "Natürlich ist das jetzt eine schwierige Situation für das nächste Buch", sagt Dorothee Elmiger. "Es ist nicht möglich, so zu tun, als wäre wieder alles auf Null zurück. Aber solche Gedanken habe ich im Alltag. Das Schreiben findet an einem anderen Ort statt, wo diese Gedanken nicht hinreichen."


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