Wo der Schutz der Privatsphäre aufhört

Bild
Silvia Hofmann
Bild
Roland Nef

Frauenhaus
Tel. 081 252 38 02
Opferhilfe-Beratungsstelle
Tel. 081 257 31 50
Beratungsstelle für Gewalt ausübende Personen
Tel. 079 544 38 63

Das Persönliche ist politisch: Diese zentrale Parole von "1968" und der neuen Frauenbewegung ist in diesem Sommer mit einem Mal von den höchsten Kreisen der Schweizer Politik und der Schweizer Öffentlichkeit wahrgenommen worden. Vierzig Jahre dauerte es also, bis eine "Privatsache" zum Sturz des Armeechefs führen konnte. Und das auch nur deshalb, weil ein anderer Mann, der Bundesrat und Vorsteher des VBS, bereit war, dieser "Privatsache" keine weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Aktuelles Recht und Gesetz sind jedoch weiter fortgeschritten, als es diesen beiden Männern offensichtlich bekannt war.

 

Silvia Hofmann, lic.phil.MA, Leiterin der Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann

05:08:2008

 

Der Mann als "Oberhaupt der Familie", die Frau als Besitz des Mannes - spukt das nicht doch noch in den Köpfen? Wenn ihm die Hand ausrutscht - ein "Kavaliersdelikt"? Wenn er sie mit Hilfe von Internet und Handy systematisch mehrere Monate unter Druck setzt und auf dem Sexmarkt anbietet - ein "unbesonnenes" Verhalten? Verständnisvolles Nicken? Heimliche Zustimmung? "Der Mann wird ja nicht umsonst zu solchen Mitteln greifen", heisst es am Stammtisch.
Vierzig Jahre lang hat die Frauenbewegung unablässig diese "Privatsache" öffentlich gemacht. Vierzig Jahre lang hat sie den Finger auf den wunden Punkt gelegt. Und darauf gepocht, dass Menschenrechte selbstverständlich auch Frauenrechte sind. Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person."

Es ist eine der jüngsten Errungenschaften der Frauenbewegung, dass häusliche Gewalt und Gewalthandlungen gegen die sexuelle Integrität (z.B. Vergewaltigung in der Ehe) heute Offizialdelikte sind, die von Amtes wegen verfolgt werden müssen. 1997 hatte eine repräsentative Studie im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 35 "Frauen in Recht und Gesellschaft" ergeben, dass mindestens jede fünfte Schweizerin während ihres Lebens physische oder sexuelle Gewalt durch ihren Partner erlebt. 90 Prozent der Täter sind Männer, in 10 Prozent der Fälle sind Frauen die Täterinnen.

Häusliche Gewalt beschränkt sich nicht auf Körperverletzungen. Strafbar sind auch Nötigungen körperlicher oder seelischer Art, wenn der Frau z.B. mit dem Tod gedroht wird. Oder wenn der Partner sie während oder nach der Trennung auf irgendeine Weise nötigt oder belästigt. Das sind keine "Privatsachen" mehr, sondern es sind Offizialdelikte. Insbesondere das neue Gewaltschutzgesetz, das im Kanton Zürich gilt, hat den Schutz der Opfer weiter ausgebaut. Das spielte im Fall Nef eine Rolle. Fachleuten ist zudem seit langem bekannt, dass gerade Trennungssituationen das Risiko massiv erhöhen, Opfer von Gewalt, Nötigung und sogar von Tötungsdelikten zu werden. Erinnert sei hier nur an den Fall der bekannten Skirennfahrerin Corinne Rey-Bellet, die von ihrem Mann erschossen worden ist.

Der Fall Nef zeigt, dass heute auch die Gesellschaft in der Schweiz nicht mehr bereit ist, strafbare Handlungen in Paarbeziehungen oder aufgelösten Beziehungen als "unbesonnenes Verhalten" oder als "Privatsache" zu tolerieren. Der Fall zeigt auch, dass Opfer nicht mehr "dem Frieden zuliebe" schweigen und alles erdulden. Die Opfer wehren sich. Und sie erhalten Schutz. Ein Gedanke zur Personalrekrutierung: Man stelle sich vor, wie ein Armeechef, der sich in einer persönlichen Verlustsituation derart verhält, im so genannten "Ernstfall" reagieren würde.

Das neue Bündner Polizeigesetz erlaubt es, dass eine gewalttätige Person für zehn Tage aus der gemeinsamen Wohnung weggewiesen werden kann. Seit dem 1. Juli 2007 können Opfer von Drohungen, Nachstellungen oder Gewalt bei jedem Bezirksgericht ein Annäherungs-, Quartier- oder Kontaktverbot beantragen, unabhängig davon, in welcher Beziehung Täter und Opfer zueinander stehen.
Opfer haben zudem die Möglichkeit, beim Frauenhaus in Chur und bei der kantonalen Opferhilfe-Beratungsstelle Unterstützung in persönlicher und rechtlicher Hinsicht zu holen. Und für Gewalt ausübende Personen besteht eine kantonale Beratungsstelle, die rund um die Uhr besetzt ist.* Das Bündner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt der Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann engagiert sich seit dem Jahr 2003 für die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und für eine gute Zusammenarbeit zwischen allen Institutionen, die mit häuslicher Gewalt konfrontiert sind. Es hat sich viel verändert seit "1968", und es bleibt noch viel zu tun.


zurück            Diesen Artikel versenden            Mein Kommentar zu diesem Artikel
Verein ostschweizerinnen.ch · c/o Nelly Grubenmann · Tellen | Postfach 30· 9030 Abtwil · kontakt@ostschweizerinnen.ch