Frauenrechte - Frauenfallen

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Sie feiern ihr 20-jähriges Bestehen: Die Feministischen Juristinnen Ostschweiz.
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Frauenrechte dürfen nicht zu Frauenfallen werden.

Würde und Selbstbestimmung

Die Feministischen Juristinnen Ostschweiz fjo feiern dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Sie pflegen die Vernetzung und diskutieren interdisziplinäre Fragen. Ihr Leitbild aus dem Jahr 1989 ist nach wie vor aktuell: "Wir teilen die Vision einer Welt, in der Frauen dank Macht und Einfluss ihre Interessen durchsetzen. In dieser Welt ist jede Frau unabhängig von Lebensentwurf und Weltanschauung stark genug, für sich selber einzustehen. Ihre Position in Gesellschaft, Recht und Gesetz sichert ihr Würde, Selbstbestimmung und Existenzgrundlage." Kontakt: Feministische Juristinnen Ostschweiz, Postfach, 9004 St. Gallen oder Tel. 071 288 60 65.

Vor 20 Jahren wurden die Feministischen Juristinnen Ostschweiz fjo gegründet. Was wurde seither erreicht, und was bewegt die Juristinnen heute? Ein Gespräch.

 

Jolanda Spirig

07:12:2009

 

Lisbeth Mattle ist Richterin und Abteilungspräsidentin am St.Galler Versicherungsgericht. Anfang November hat ihr Ehemann einen freundlichen Brief der Direktion der Technischen Betriebe der Stadt St.Gallen erhalten. Es geht um ein Erdwärme-Projekt. Möglicherweise müsse sein Grundstück für kurze Zeit in Anspruch genommen werden: "Selbstverständlich geschieht dies nicht ohne Ihr Einverständnis. Gegebenenfalls werden Mitarbeiter des mit der Messung betrauten Unternehmens Ihre Einwilligung einholen (.) Es freut uns sehr, wenn Sie zum Gelingen dieses für unsere Stadt so wichtigen Projekts beitragen."


Frauen als Anhängsel

Weniger erfreut ist Miteigentümerin Lisbeth Mattle, um deren Einwilligung sich das Amt nicht zu scheren scheint. "Das ist für mich unglaublich, und das nach der Gutschein-Aktion vom Sommer." Wir erinnern uns: Die Stadt St.Gallen hatte ihre 50-Franken-Einkaufsgutscheine für Ehepaare nur an den Ehemann verschickt und damit einen Proteststurm ausgelöst. Die amtliche Begründung: Doppel-Adressierungen würden dort verwendet, wo dies "von der Sache her" richtig sei, so etwa bei Steuerrechnungen, Elternbriefen oder Leistungen des Schulamts. Mattle: "Offenbar ist die Ehefrau im Verständnis der Stadt noch immer oder schon wieder nur ein Anhängsel des Ehemannes, das nach Bedarf wahr- oder eben nicht wahrgenommen wird."


Lisbeth Mattle gehört seit 20 Jahren den Feministischen Juristinnen Ostschweiz an. Als sich die in Wirtschaft, Justiz und Verwaltung tätigen Juristinnen formierten, lag auf der rechtlichen Ebene in der Schweiz vieles im Argen. Inzwischen scheint alles erreicht: 1991 wurde mit dem Frauenstimmrecht die Demokratie auch in Appenzell Innerrhoden eingeführt, seit 1993 gibt es das Opferhilfegesetz, seit 1995 das Gleichstellungsgesetz und seit 2000 das neue Scheidungsrecht. Lohngleichheitsklagen sind dank dem Gleichstellungsgesetz möglich, auch wenn sie in der Realität mit sehr viel Aufwand verbunden sind und ein bestehendes Arbeitsverhältnis zerstören. Obwohl Frauen in der Privatwirtschaft bei gleicher Arbeit noch immer 24 Prozent weniger verdienen als Männer, kommen Lohngleichheitsklagen sehr selten vor.


Keine IV-Rente für Teilerwerbstätige

Und manchmal werden ausgerechnet jene Gesetze, die den Frauen eigentlich zugute kommen sollten, zur Frauenfalle. So etwa bei der "gemischten Methode" zur Bemessung der Invalidität bei teilerwerbstätigen Hausfrauen. Die Methode sollte der Teilzeitbeschäftigung auch in der IV Rechnung tragen. Doch geht das Bundesgericht inzwischen davon aus, dass bei 50-prozentiger Arbeitsunfähigkeit und einer 50-prozentigen Teilzeitbeschäftigung im Erwerbsbereich keine Teilinvalidität besteht, da die Person bei einer Vollbeschäftigung theoretisch zu 50 Prozent arbeiten könnte. Pech gehabt: Die Praxis des Bundesgerichts bewirkt, dass teilerwerbstätige Mütter vom Versicherungsschutz der IV ausgeschlossen werden. Damit sind sie schlechter gestellt als Vollzeithausfrauen.


Das Bundesgericht, das aus 27 Richtern und neun Richterinnen besteht, erblickt darin keine Diskriminierung, schliesslich rechne es beim teilerwerbstätigen Hausmann gleich. Lisbeth Mattle ärgert sich über die realitätsferne Begründung. Tatsache ist, dass 59 Prozent der erwerbstätigen Frauen Teilzeit arbeiten, während der Anteil der teilzeitbeschäftigten Männer nur zwölf Prozent ausmacht.


Der diskriminierte Mann

Das Bundesgericht hat 2005 auch einem Freiburger Beschwerdeführer Recht gegeben, der sich diskriminiert fühlte, weil eine Stelle als Professorin nur für Frauen ausgeschrieben worden war. Für Lisbeth Mattle eine rein formale Argumentation, die einer ausgewogenen Vertretung von Frauen und Männern in gehobenen Positionen im Wege stehe. Immerhin seien Massnahmen zur Frauenförderung nach dem UNO-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) gefordert. "Das wurde aber vom Bundesgericht nicht geprüft, obwohl die Schweiz das Übereinkommen schon 1997 ratifiziert hatte."


Abgesehen von der Rechtsprechung sind es gesellschaftliche Fragen, die die feministischen Juristinnen zur Sprache bringen. Frauen stiessen spätestens dann an Grenzen, wenn sich die Kinderfrage stelle. Dieser Knackpunkt stelle sich für die Männer nicht. Noch sei die Rollenfreiheit nicht gegeben: "Frauen, die aussteigen und später wieder einsteigen, sind automatisch benachteiligt", sagt Lisbeth Mattle, die selbst zwei Kinder hat.


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