Die Unwirklichkeit der Abbildung der Wirklichkeit

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Stilleben-27-2008 (Shirana Shahbazi/Galerie Bob van Orsouw, Zürich).
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Eine Ausstellungsimpression.

Die Werke der iranischen Fotografin Shirana Shahbazi stellen die Sehgewohnheiten in Frage und konfrontieren die Betrachtenden mit der Abstraktion in der Fotografie. Zu sehen sind sie in der Ausstellung "Much like Zero" im Fotomuseum Winterthur.

 

Eveline Kobler, swissinfo.ch

21:09:2011

 

Im Kopf kurvt stets die Frage herum, was es ist, das man nicht versteht.

"Es ist keine Ausstellung, die Fragen beantworten will. Es ist eine Ausstellung, die Fragen aufwirft", sagt auch der Kurator Urs Stahel vom Fotomuseum Winterthur. "Sie weckt ständige Zweifel an der Interpretation, mit der man die Bilder lesen will."


 

Stilleben und Totenköpfe

Riesige Stilleben hängen neben Totenköpfen. Bergbilder neben geometrischen, gestalteten Flächen. Zwei der wändefüllenden Werke sind von Fotografien zu gemalten Bildern geworden. Die Stilleben auf schwarzem Grund erinnern an gegenständliche Malerei. Ähnliches hat man irgendwo schon gesehen, bei den alten holländischen Meistern.

Und die Abbildungen der Totenschädel wecken die Erinnerung an die bildgewordenen Auseinandersetzungen mit dem Jenseits im Mittelalter, an die Ars Moriendi. Auch diese hier scheinen zu lachen. Man spürt förmlich die Lust der Künstlerin an der Farbe, am Gestalten, am Kreieren, die Lust am Bild.

Shirana Shahbazi zeigt auch Porträts von Menschen, Muscheln, Steinen, Landschaften. Ein Teil ihrer Bilder ist im Iran entstanden. Einzelne Porträts gibt es keine, der Mensch wird immer zweimal gezeigt. Dies verleiht den Bildern Leichtigkeit und Lebendigkeit. Ehrlichkeit.


 

Analoge Fotografie

Die Bilder seien alle analog fotografiert worden, erklärt der Kurator. Nichts sei digital. Und bearbeitet erst recht nicht. "Die Künstlerin lässt die geometrischen Figuren bauen und fotografiert sie dann. Dies ergibt auf den Bildern eine Tiefenwirkung, die mit computergenerierten Bildern niemals erreicht würde", sagt Urs Stahel.

Diese Technik erlaubt auch Mehrfachbelichtung, durch die im Bild mehrere Ebenen und farbliche Überlagerungen erzeugt werden.

 

Abstraktion

Fotografien seien immer Abstraktionen. Oft sei man sich das nicht bewusst, sagt der Kurator. "Das Spektrum in der Fotografie beginnt bei der dokumentarischen Fotografie, die behauptet, die Wirklichkeit abzubilden. Am anderen Ende steht die Abstraktion", erklärt er. Dazwischen liege die Welt der Shirina Shahbazi. Die Künstlerin entwickle sich von der konkreten Fotografie zur Darstellerin von Abstraktem, und diesen Weg könne man beobachten. "Am Schluss wird alles Konstruktion, alles abstrakt."

Die Ausstellung "Much like Zero" ist gewissermassen eine Werkschau der Fotografin, die 1974 im Iran geboren wurde und mit ihren Eltern 1985 nach Deutschland emigrierte. Sie lebt und arbeitet seit 1998 in Zürich. "Man fragt sich: Was bedeuten diese meist alltäglichen Landschaften, Stadtlandschaften oder Porträts?", sagt der Kurator. "Warum hängt ein Stilleben mitten in den Bildern aus dem Iran?"

Im letzten Raum der Ausstellung, der "Galerie", hängen neben neuen und neusten Fotografien auch ältere Werke. Es sind 60 Stück.


 

Interpretation

Plötzlich reflektiere man, dass nicht nur der Kontext, sondern auch die eigene Interpretation ein Teil des Bildes sei, das man sehe. "Man nimmt die Bilder vielleicht als exotisch wahr, oder als banal, für andere wirken sie gar folkloristisch. Aber genau diesen einfachen Blick auf die Fotografien bricht die Fotografin, mit Absicht."

Mit ihren Fotografien und auch mit der Zusammenstellung in der Ausstellung stellt die 37-Jährige das Dokumentarische in den Bildern selbst in Frage. Es wird klar: Fotos bilden nicht die Welt ab, sondern wie die fotografierende Person die Welt wahrnimmt.


 

"Much like zero"

Der Titel der Ausstellung "Much like zero" habe sich erst während der konkreten Vorbereitung ergeben, erzählt der Kurator. Lange habe sich Shirin Shahbazi überlegt, wie man die Ausstellung benennen könnte. "Der Titel 'Soviel wie nichts' drückt aus, dass die gezeigte Wirklichkeit immer nur Bildwirklichkeit ist."


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