Die guten Schuldnerinnen von Nicaragua

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Nicaraguanerinnen bei einer Kundgebung in der Landeshauptstadt Managua zum internationalen Tag der Frau. Bild: Wikipedia.
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Nicaragua grenzt im Norden an Honduras, im Süden an Costa Rica sowie im Westen an den Pazifik und im Osten an die Karibik.

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Nicaragua gehört neben El Salvador zu jenen Ländern des amerikanischen Kontinents, die pro Kopf der Bevölkerung am meisten Entwicklungshilfe von internationalen Geberstaaten erhalten. Frauen gehen besonders nachhaltig mit Hilfe um.

 

Erwin Dettling, Managua

17:08:2009

 

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) finanziert in Nicaragua Mikrokredite für Frauen. Weil diese traditionell über keine eigenen Werte verfügen, bürgen die Frauen solidarisch untereinander.

Die DEZA finanziert ein Projekt, das Frauen in ländlichen Gebieten erlaubt, ohne Garantien Kleinkredite aufzunehmen. "In Nicaragua führen vor allem Frauen die Haushalte", erklärt Peter Bischof, der Regionaldirektor der DEZA für Zentralamerika, im Gespräch mit swissinfo.ch. "Das Problem ist, dass in der Regel die Männer das Land und andere belehnbare und werthaltige Güter besitzen."

Was mit wenig geliehenem Geld möglich ist, beweist eine Gruppe von zwölf Frauen, die im Weiler Las Banderas zu einer Solidaritäts-Gemeinschaft zusammengefunden hat. Las Banderas liegt in der Provinz Boaco, 50 Kilometer im Nordosten der Hauptstadt, am Rand eines fruchtbaren Tieflands.

Die Frauen in Las Banderas haben gelernt, dass ihre solidarische Haftung als Garantie für Kleinkredite zählt. Sie erhalten von PRESTANIC, einer Partner-Organisation der DEZA, Kleinkredite im Gegenwert von 100 bis 200 US-Dollar.

 

Männer im Steinbruch - Frauen nehmen Kredite auf

Der einzige Reichtum von Las Banderas ist ein Steinbruch. Viele Männer des Weilers finden zwar in der Mine Arbeit, die eigentliche Wertschöpfung findet jedoch anderswo statt. Die schweren Steinplatten werden mit Lastern in die Städte transportiert und im Bausektor verwendet. Die Bewohner des Weilers machen seit Jahren Druck bei den Behörden, dass die Hauptstrasse asphaltiert wird - bislang ohne Erfolg.

Die Frauen von Las Banderas lassen sich nicht unterkriegen. Sie sind gewiefte Investorinnen geworden. Rosalinda kauft mit dem geliehenen Geld Kleider und verkauft diese in den umliegenden Dörfern. Dora beschafft sich Öl und Mehl, backt Brot und verkauft ihre Erzeugnisse von Haus zu Haus. Ruth hat nach und nach mit dem geliehenen Geld einen Dorfladen aufgebaut.

Entscheidend ist der richtige Umgang mit den Kleinkrediten. "Die Frauen sollten den Kredit nach drei, vier Monaten zurückzahlen, sonst frisst der happige Zins das Kapital auf", erklärt Perla Rosales de Salazar, die nationale Koordinatorin von PROMIFIN, einer weiteren Partnerorganisation der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit in Nicaragua.

 

Kredite ohne Finanzwissen nützen wenig

PRESTANIC hat in Nicaragua bisher mehr als fünfzig Kommunalbanken gegründet, denen rund 700 Mitglieder angehören. 80 Prozent der Kunden sind Frauen. "Wir sind sehr disziplinierte Schuldnerinnen", erklärt Herlinda, die mit einem Kredit von 150 Dollar einen Grill-Stand für Fische aufgebaut hat.

Wie viel kostet das Programm? "Uns steht in Nicaragua rund 1 Mio. Dollar zur Verfügung", rechnet Juan Vega, der Regionaldirektor von PRESTANIC, vor. Wir leihen nicht nur Geld, wir vermitteln mit unseren Kreditpromotoren auch Wissen, das die DEZA mit ihrer Unterstützung finanziert."

Die Frauen von Las Banderas haben mit ihrer eigenständigen Kreditwirtschaft ein Stück Unabhängigkeit von ihren Männern erreicht. Schätzen die Männer diese neue Unabhängigkeit? "Solange sie sehen, dass wir damit zum Haushaltbudget beitragen und zur besseren Versorgung der Kinder, haben unsere Männer nichts dagegen", meint Carol, die mit ihrem Mikro-Kredit einen kleinen Kleiderhandel aufgezogen hat.

 

Der Wandel liegt im Detail

Die Frauen von Las Banderas zeigen, dass die Revolution in Nicaragua nicht umsonst war. Es gibt neue Strassen im Land, eine verbesserte Energieversorgung, mehr Schulen und Spitäler. Neue Ideen sind in die Köpfe der Menschen gelangt, wie aus Hilfe später Selbsthilfe wird.

Schockierend bleibt, dass auch dreissig Jahre nach der Revolution noch immer vor Dreck strotzende Buben und Mädchen in zerfetzten Kleidern in Stadt und Land betteln und unter Torbogen und in Hauseingängen schlafen müssen.

Die revolutionären Postulate sind heute weitgehend Geschichte. Der sozialistische Mensch ist auch in Nicaragua nicht auf die Welt gekommen. Es dominieren nicht genossenschaftliche Produktionsweisen, sondern es weht, wie überall sonst in Zentralamerika, der neoliberale Wind.

 

Demokratie und internationale Hilfe sind gekoppelt

Es liegt weitgehend in der Hand der Regierung des Landes, wie reichlich die internationalen Hilfsgelder für Nicaragua fliessen. Seit den fragwürdigen Gemeindewahlen im Jahr 2008 haben verschiedene Länder die Budgethilfe an Nicaragua gekürzt oder gestrichen.

Die Anschuldigungen der Wahlfälschung konnten bisher nicht entkräftet werden. Zu den Ländern, welche die Budgethilfe für Nicaragua gestrichen haben, gehört auch die Schweiz.

Textquelle: RadioSRI/ swissinfo.ch.


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