11:12:2013
Frauenleben
Seit Jahren befasse ich mich mit dem Schreiben von Biografien. Dabei stosse ich immer wieder auf Frauen, die durch Erziehung und falsche Vorstellungen weitgehend eingeschränkt wurden und deren Leben nach den gängigen Sitten vorgespurt war. Doch muss dies immer nur schlecht sein? Maria und Teresa beantworten es uns.
Cornelia Forrer
Teresa hat vor zwei Jahren ihren Ehemann verloren. Sie lebt heute in einem Pflegeheim, dabei hat sie sich gleich nach dem Tod ihres Mannes einen Traum erfüllt und eine moderne Wohnung angeschafft – mit Geld vom Hausverkauf. Man staunt, wie wenig der Verlust ihres Ehemannes, mit dem sie ein halbes Jahrhundert das Leben teilte, diese Frau zu berühren scheint. Dabei ist die 80-Jährige ja dem Anschein nach, eine sehr herzliche Person. „Ich habe unter der Lieblosigkeit meines Mannes immer gelitten“, erklärt sie. Es sei seine Art sie zu strafen gewesen, wenn er auf Liebesentzug umgestellt habe und wochenlang kein Wort mehr mit ihr sprach. Die Ehe sei damals eingefädelt worden. Eine gute Partie sei er gewesen, ein stattlicher, schöner Mann mit etwas Vermögen und gutem Beruf. In den Nachkriegsjahren fragte niemand in der Familie, was das jüngste von fünf Mädchen denn eigentlich wollte – und es spielte keine Rolle, dass Teresa die Sekundarschule mit Bravour schaffte und gern studiert hätte.
Doch sie ist dennoch nicht verbittert. „Es war halt so, zu dieser Zeit“, sagt sie. Mit den eigenen Töchtern habe sie es aber anders gemacht. Sie habe viel Wert darauf gelegt, dass diese gut ausgebildet wurden und nicht auf einen Ehemann angewiesen sind. Das ist zwar gelungen, doch während die eine in Scheidung lebt, fristet die andere ein fast so unglückliches Eheleben, wie ihre Mutter Jahrzehnte zuvor. Das tut Teresa weh. „Die Kinder leiden immer am meisten“, sagt sie. „Die Kinder und die Frauen“, schiebt sie dann nach. Es sei irgendwie gut gewesen, dass sie krank geworden sei, denn im Spitalbett habe sie eine Frau kennen gelernt, die ihr riet, malen zu lernen – eine Leidenschaft, die Teresa in den Folgejahren Trost und Anerkennung brachte. An der Schwelle des Todes angelangt, freut sich Teresa über alle Stunden, die sie malend verbrachte. „Ich hätte nie gedacht, dass ich etwas kann“, sagt die Frau, die schon im Pensionsalter den Umgang mit dem Computer erlernte und heute skypend, emailend und chattend Kontakte zu ihren Freundinnen pflegt. „Man kann die Zeit nicht zurück schrauben, doch wir müssen schauen, dass die heutigen Frauen nicht mehr in die Abhängigkeit zu einem Mann geraten“, sagt Teresa, die sich seit einiger Zeit mit der Genderfrage beschäftigt.
Nur ein paar Zimmer von Teresa entfernt lebt Maria. Die Mutter von sechs erwachsenen Söhnen und drei Töchtern beschäftigt sich nicht mit der Gleichstellung. Als Italienerin ist „La Mama“ Chefin des Clans. Geheiratet hat die 85-Jährige im gleichen Alter wie Teresa. Auch ihre Ehe wurde mehr oder weniger vermittelt. Ihr Mann sei schön gewesen, aber arm. Zusammen mit ihm zog sie schon kurz nach der Hochzeit als Gastarbeiterin in die Schweiz. Deutsch hat sie nie gelernt. Nur bruchstückhaft kann sie sich ausdrücken. Wenn Not an der Frau ist, spricht ihre Lina für sie, die Tochter, die sie ebenso täglich besucht, wie die anderen Kinder, Enkel- und Schwiegerkinder.
Teresa hat kaum die Schule besucht. Für sie war es immer klar, dass sie heiraten, Kinder haben und auch beim Geld-Verdienen mithelfen würde. Dass man die Rückkehr in das Heimatland verpasste, spielt heute keine Rolle mehr, doch beerdigt werden will sie in Sizilien. Maria hat sich zwar, nach unseren Vorstellungen, kaum entwickeln können, ist aber trotzdem glücklich. Sie hat ihren Platz dort gefunden, wo sie sich wohl fühlt und sie anerkannt ist. Mama ist die Grösste. Sie hält alles zusammen und hat bei Entscheidungen das letzte Wort. Den Tod ihres Sohnes im Alter von nur zwölf Jahren hat Maria, dank Unterstützung der Familie, genauso verkraftet, wie der Tod des geliebten Mannes. Die Kinder sind gut verheiratet – und keines denkt an Trennung oder Scheidung. Marias Familie rückt umso näher zusammen, wenn es Probleme gibt. Niemand muss hier etwas beweisen und jeder hat im Familienclan seinen festen Platz, den ihm niemand streitig macht.
Ist Maria nun zu bedauern, weil sie sich nicht so entwickeln konnte, wie wir es ihr gewünscht hätten? Auch Teresa hatte kein leichtes Leben. Sie hat sich aber ihre Nischen geschaffen und sich immer weiter entwickelt. Irgendwie wirkt sie dennoch frustriert, nicht, weil sie vieles verpasst hat und auf vieles verzichten musste. Doch als die Möglichkeit kam, noch ein paar schöne Jahre für sich zu haben, machte das Schicksal durch die Krankheit einen Strich durch ihre Pläne. Noch immer hofft Teresa, einst zurück in ihre kleine Wohnung kehren zu dürfen, doch die Prognosen sind eher schlecht. Maria wohnt ebenfalls im Heim, doch das spielt für ihre Lieben keine Rolle. Mama soll gut aufgehoben sein - und das Familienleben spielt sich nun halt weitgehend im Seniorenheim ab.