Zuerst denken, dann aber handeln

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Paola Ghillani leistet in ihren Referaten grosse Überzeugungsarbeit.
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Bananen aus fairem Handel machen eine Erfolgsgeschichte.

Paola Ghillani ist Inhaberin der Paola Ghillani & Friends AG. Mit einem Universitätsabschluss als Apothekerin in der Tasche hat sie ihre berufliche Laufbahn in der Pharmaindustrie begonnen. Nach fast 10 Jahren Tätigkeit in multinationalen Unternehmen übernimmt Paola Ghillani 1999 die Geschäftsleitung der Fair Trade Organisation Max Havelaar-Stiftung. In dieser Zeitperiode war sie auch als Verwaltungsratsmitglied der FLO International (Fair Trade Labelling Organisation) tätig. Hier amtete sie zwischen 2001 und 2004 als Verwaltungsrats-
präsidentin. Seit 2005 ist Paola Ghillani zudem Mitglied des Verwaltungsrates des IKRK (Internationales Komitee des Roten Kreuzes). Sie hat Einsitz in verschiedenen weiteren Verwaltungsräten und ist Beiratsmitglied in ethischen Anlagefonds. Am 1. September 2005 gründet Paola Ghillani ihre eigene Firma, die in der Beratung in den Bereichen Unternehmensstrategie und -führung tätig ist. Sie setzt sich auch für die Förderung und Implementierung von Nachhaltigkeit und Ethik in der Wirtschaft ein. Paola Ghillani durfte diverse Preise entgegen nehmen; unter anderem wurde sie am WEF 2000 in Davos zum Global Leader for Tomorrow gewählt.

 

Paola Ghillani im Internet:

www.paolaghillanifriends.com.

Mit Paola Ghillani kommt an der 11. FrauenVernetzungsWerkstatt am 15. März 2008 eine Frau zu Wort, die fest auf dem Boden der wirtschaftlichen Tatsachen steht. Sie setzt bei ihrem Engagement für nachhaltiges Wirtschaften ihr breites Wissen, ihre langjährige Berufserfahrung und nicht selten auch eine gehörige Portion Optimismus ein. Dabei ist der Ehrgeiz, bis in die Wolken zu sehen, ihrem Erfolg bestimmt nicht abträglich.

 

Brigitta Schmid Pfändler

18:02:2008

 

In einem Interview hat sie sich zu ihrer Geschäftsphilosophie und zu denkenden Frauen ganz allgemein geäussert. Die Fragen gestellt hat Brigitta Schmid Pfändler:

Paola Ghillani, das Thema der 11. FrauenVernetzungsWerkstatt lautet "Frauen denken". Wie manifestiert sich ihrer Meinung nach spezifisch weibliches Denken?

Frauen denken ganzheitlich. Sie haben kein Schubladendenken. Um ein atypisches Beispiel zu nennen: Sie sehen bei der Produktion nicht nur die Entwicklung des Motors, sondern bereits das ganze Auto.

Wie kann weibliches Denken in der Gesellschaft mehr Breitenwirkung entfalten?

Kontinuität ist eine hervorragende weibliche Stärke. Frauen, speziell Mütter, haben einen Blick für die Chancen der eigenen Kinder, respektive der nächsten Generation. Sie treffen ihre Entscheidungen oft mit mittel- oder sogar langfristigen Perspektiven. So kann ein Entwicklungsprozess einsetzen. Ziel der Frauen ist es, der kommenden Generation eine qualitativ bessere Zukunft zu ermöglichen.

Reduzieren Sie so die Frauen nicht auf das primäre Interesse des Familienerhalts?

Nein, keineswegs. Ich sehe darin eine spezifisch weibliche Stärke. Frauen abstrahieren von der eigenen Entwicklung auf diejenige der kommenden Generation. Die Kinder sollen weiter gehen als sie es getan haben. Frauen handeln vielfach auch sehr solidarisch. Sie setzen sich füreinander ein, was vor allem in Kriegs- und Konfliktsituationen immer wieder beeindruckend zum Ausdruck kommt.

Wäre es da nicht wichtig mehr Frauen in wirtschaftlichen Entscheidungspositionen zu haben, um Geschäftsmodelle zu entwickeln, die sich in den Dienst der Menschen stellen?

Ja sicher, es braucht mehr eigenständig denkende Frauen in Schlüsselpositionen. Aber nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in den NGOs, in der Politik und der Administration. Frauen müssen in der Öffentlichkeit präsenter werden. Sie bringen überall neue, ganzheitliche Denkmuster, die in Kombination mit den männlichen Ansätzen fruchtbar genutzt werden können. Für eine zukunftsorientierte Entwicklung braucht es eben fähige, denkende Männer und Frauen.

Wie manifestiert sich weibliches Denken in der Wirtschaft?

Die Frauen, die sich engagieren, kann man auf einen kurzen gemeinsamen Nenner bringen: Sie sehen in der Wirtschaft ein Instrument zur Gesellschaftsentwicklung. Sie benutzen ihre Position viel weniger als Mittel zum Selbstzweck als ihre männlichen Pendants. Im Übrigen gilt natürlich auch hier, dass Ausnahmen die Regel bestätigen.

Zentrales Thema Ihres beruflichen Engagements ist die Nachhaltigkeit. Wie sehen Sie den optimalen Weg zur unternehmerisch gelebten "Nachhaltigkeit"?

Nachhaltigkeit gehört heute in jede zukunftsorientierte Unternehmungsstrategie und -führung. Allerdings spreche ich hier lieber von nachhaltiger Entwicklung, da es sich um einen dynamischen Prozess handelt. Um diesen zum Erfolg zu führen, gehören strategische Ziele in Bezug auf Wirtschaft, Gesellschaft und Ökologie dazu.

Können Sie diese Aussage noch etwas präzisieren?

Auf einen Nenner gebracht, heisst das für ein Unternehmen: Es muss erfolgreich wirtschaften, aber auch auf eine sozial verträgliche Entwicklung achten und ökologisch verantwortlich handeln. Damit diese Ziele mit Erfolg umgesetzt werden, braucht es transparente Entscheidungsprozesse und eine gelebte Unternehmungsverantwortung gegenüber allen Interessegruppen; nicht nur den Geldgebern gegenüber. So wird ein Mehrwert geschaffen.

Sind unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft denn auf dem Weg zu dieser viel beschworenen Nachhaltigkeit?

Das Bewusstsein ist da. Es hat sich in den letzten Jahren entwickelt. Ob wir hier genug und schnell genug vorwärts kommen, kann ich nicht beantworten. Das wird die Zukunft zeigen.

An welchen Indikatoren machen Sie diese Aussage fest?

Es hat allgemein ein Umdenken eingesetzt. Die Max Havelaar Bananen aus fairem Handel sind hier ein gutes Beispiel. Heute wird ungefähr eine von zwei Bananen im Grosshandel als Fair Trade-Banane gehandelt. Ein etwas anders gelagertes Beispiel ist die Reaktion der Konsumentinnen auf nicht ökologische oder überflüssige Verpackungen bei Genussmitteln. Nicht mehr jede Entwicklung wird von den Verbrauchern angenommen.

Max Havelaar ist eine gerne zitierte Erfolgsgeschichte. Es bleibt aber eine Geschichte, die nicht in grossem Umfang nachgeahmt wurde. Warum?

Fair Trade-Mechanismen wirken mittelfristig. Im Idealfall so, dass das Gütesigel irgendwann überflüssig wird, weil alle sich an die Bedingungen halten und die Firmen entsprechend wirtschaften. Damit dieses Modell seine Wirkung entfalten kann, braucht es externe Beobachter. Positive Beispiele aus der Schweiz, die mir spontan in den Sinn kommen, sind die Firmen Trisa und Baer.

Wenn nachhaltiges Handeln im Trend liegt, warum ist die wirtschaftliche Realität immer noch weit von einer nachhaltigen Entwicklung entfernt?

In den letzen Jahren haben sich die Entwicklungen an den Finanzmärkten, parallel zu den Zugriffmöglichkeiten über das Internet, dramatisch dynamisiert. Das muss verstärkt in die wirtschaftlichen Überlegungen mit einbezogen werden. Die moderne Informationstechnologie hat einen wichtigen Nebeneffekt: Der freie Zugriff von Millionen von Nutzern überall auf der Welt in Verbindung mit den Finanzmärkten birgt einiges an Brisanz in nicht voraussehbaren Mechanismen und Gefahren.

Können Sie eine Gefahr nennen?

Geld wäre auf der Welt genug vorhanden um die Ernährungs- und Wirtschaftssicherheit in den Griff zu bekommen. Leider findet sich dieses Geld nicht dort, wo es nutzbringend eingesetzt werden kann. Man muss sich von der Virtualität der Internet-Märkte lösen und sich mit der Realität der Welt auseinandersetzten, dann erkennt man die Gefahr des Überflusses auf der einen Erdhälfte und die Not auf der anderen.

Sie haben in einem Interview einmal gesagt: "Die Schweiz hat das Potenzial als Silikon Valley der Nachhaltigkeit berühmt zu werden."

Wir in der Schweiz haben das Potenzial, sprich die Mittel, Ressourcen und Ausbildungsmöglichkeiten, um Technologien zu entwickeln, die für eine nachhaltige Entwicklung eingesetzt werden können. Ich bin überzeugt, dass wir diese Technologien nutzen können um auf dem Weltmarkt als Nischenanbieter die negativen Konsequenzen der Globalisierung auf wirtschaftlichem, sozialem und ökologischem Gebiet aufzufangen.

Verschiedene Gesellschaftsmodelle propagieren ganz unterschiedliche Ansätze, um zu einer gerechten Welt zu kommen. Rennen wir nicht alle einer Utopie hinterher?

Die Schaffung einer besseren Welt ist für mich keine Utopie, viel mehr eine Frage der Lebenseinstellung. Mit nachhaltiger Entwicklung oder Fair Trade haben wir gute wirtschaftliche Modelle, die selbstverständlich durch Erfahrungen verbessert werden können. Sie müssen als dynamischer Prozess verstanden werden.

Paola Ghillani, haben Sie eine persönliche Utopie?

Es ist weniger eine Utopie, als vielmehr eine Vision, ein Ideal. Ich setzte mich dafür ein, dass durch nachhaltiges Wirtschaften eine bessere Welt geschaffen wird.

Eine letzte Frage nach diesem interessanten Gespräch: Woher nehmen Sie die Energie für Ihr grosses Engagement?

Na ja, eine ganz persönliche Utopie habe natürlich auch ich im Hinterkopf. Es wäre schön, überall dort anwesend sein zu können, wo man gerade will. Solange es diese Allgegenwart für uns Menschen nicht gibt, halte ich mich an handfestere Träume und lebe diese nach Möglichkeit aus.


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