Klimawandel in der Politik - Interview mit Yvonne Gilli

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Ihre Kandidatur zur Wahl der Regierungsrätin am 4. Mai 2008 findet breite Unterstützung: Yvonne Gilli.
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"Auf jeden Fall sind wir Vorbilder für die Jugend", sagt die Politikerin und Ärztin Gilli.

"Ebenso ist es wichtig, sich selber zu hinterfragen: Wo verletze ich Personen im direkten Umgang, wo höre ich nicht richtig zu oder urteile zu schnell. Sachpolitik und Konsensfindung ist nur möglich im respektvollen Umgang miteinander", sagt Nationalrätin Yvonne Gilli. Mehr im Internet bei: www.yvonne-gilli.ch.

In den letzten Tagen und Wochen hat das politische Klima in der Schweiz Schaden genommen. Die Grenzen des Anstands, Respekts und der Toleranz im politischen Umgang wurden überschritten. Wie konnte das geschehen und welche Konsequenzen hat dieser Wandel? Wie kann das Klima wieder ins Gleichgewicht gebracht werden? Diese Fragen stellte "ostschweizerinnen.ch" an Yvonne Gilli. Als Nationalrätin und Regierungsratskandidatin der "Grünen" gehören Klimawandel und Klimaschutz für sie - leider - zum politischen Alltag.

 

Brigitte Kuratli

15:04:2008

 

OCH: Frau Gilli, Klimawandel in der Politik. Was ist passiert?

Yvonne Gilli: Für mich war der Anfang dieses Wandels im Vorfeld der Nationalratswahlen mit dem Plakat der SVP mit dem schwarzen Schaf. Mit dieser Plakataktion wurden ganze Menschengruppen ausgegrenzt. Nicht nur Ausländer, sondern auch anders Denkende, Behinderte usw. und undifferenziert schlecht gemacht. Dann natürlich die Abwahl Blochers, bei der ich als frisch gewählte Nationalrätin mitgeholfen habe. Und zwar nicht weil der Anspruch der SVP auf zwei Sitze in Frage gestellt war, sondern einzig und allein wegen seinem politischen Stil mit anders Denkenden umzugehen.
Er hat zu viele Leute verbal verletzt, sich nicht korrekt verhalten und die Geschäfte des Bundesrates nicht vertreten. Und jetzt geschieht Mobbing auf höchster Stufe und wieder mit verbaler Gewalt. In dieser Situation bin ich als Politikerin gefordert und aufgefordert, mich dagegen zu wehren.

Jetzt besteht die Möglichkeit, an Demonstrationen teilzunehmen und eine Protestnote zu hinterlegen. Wie können Sie sich sonst noch dagegen wehren?

Im Kantonsrat habe ich seinerzeit einen Vorstoss eingereicht, bei dem sich Politikerinnen und Politiker bei der Wahl verpflichten müssten, sich an Regeln bezüglich Respekt und Anstand in der Politik zu halten. Ebenso ist es wichtig, sich selber zu hinterfragen: Wo verletze ich Personen im direkten Umgang, wo höre ich nicht richtig zu oder urteile zu schnell. Sachpolitik und Konsensfindung ist nur möglich im respektvollen Umgang miteinander.
Da sind alle gefragt, nicht nur die SVP-Politikerinnen und die SVP-Politiker. Und als Bürgerin und Wählerin beobachte ich jetzt ganz genau, welche Position die einzelnen Kandidierenden einnehmen. Schweigende oder sogar Befürworter dieses Politstils werde ich ganz sicher nicht wählen.

Zur Sachpolitik und der Konsensfindung. Ihre Parteikollegin Cecile Bühlmann hat gesagt: "Ich hätte nie gedacht, dass ich je für eine SVP-Bundesrätin auf die Strasse gehe." Was sagen Sie zu der Rede "100 Tage im Amt" von Eveline Widmer-Schlumpf?

Wie erwartet vertritt Eveline Widmer-Schlumpf in den überwiegenden Punkten eine absolut identische SVP-Politik wie Christoph Blocher. Ihre Zustimmung "mit Überzeugung" zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien zeigt einzig auf, dass sie liberaler, also näher an der Wirtschaft politisiert als ihr Vorgänger . Ich habe mir aber nie die Illusion gemacht, dass sich inhaltlich etwas ändert und somit kann ich sie sachpolitisch nicht unterstützen.
Meine einzige Hoffnung besteht darin, dass ihre Art, anderen zuzuhören und verschiedene Argumente in die Überlegungen mit einzubeziehen - diesen Ruf hat sie sich in diesen 100 Tagen erarbeitet - zu anderen und besseren Lösungen führen kann.

Einen Schwerpunkt setzt Eveline Widmer-Schlumpf in der Stärkung der föderalistischen Strukturen. Wie wichtig ist Ihnen der Föderalismus?

Das stimmt, hier stimme ich im Grundsatz mit ihr überein, Föderalismus braucht es so viel wie möglich. Und zwar hat in den letzten Jahren in sehr vielen Bereichen eine Entfremdung stattgefunden. Am allermeisten von der Natur aber auch im Umgang miteinander. Heute ist Solidarität für viele ein Fremdwort.
Ich glaube nicht, dass es heute möglich wäre, ein Sozialwerk wie die AHV einzuführen. Der Grund darin liegt in den immer grösser werdenden Gebilden, zu denen sich die Leute nicht mehr zugehörig fühlen, sich nicht mehr solidarisieren können.

Ist HarmoS deswegen der falsche Weg?

Nein, ich habe für HarmoS gestimmt. Minimale Rahmenbedingen braucht es, die für alle gelten. Und dies wirklich im Sinne von Harmonisierung und nicht Gleichmacherei. HarmoS beinhaltet Rahmenbedingungen wie 11 Jahre Schulpflicht, Blockzeiten etc.. Wäre darin zum Beispiel die Vereinheitlichung von Lehrmitteln enthalten gewesen, hätte ich nicht zustimmen können. Denn gerade in der Volksschule zeigt sich - nun gebrauche ich halt auch noch die viel strapazierte PISA-Studie - Schulen, die sehr viel gestalterische Freiheit haben, schneiden besser ab.
Und ebenso wichtig ist mir, dass vor Entscheiden, die von der Regierung gefällt werden, alle Betroffenen zur Vernehmlassung eingeladen werden. Beim St. Galler Grundlagenpapier "Perspektive Volksschule" wurden weder Eltern noch Kinder befragt, das war ein Fehler. Jetzt ist es umso wichtiger, Kontakt mit den Personen aufzunehmen, die das Referendum gegen HarmoS ergreifen. Nur wenn Anliegen aufgegriffen und Ängste ernst genommen werden, können Lösungen gefunden werden.

Wir sind jetzt wieder zurückgekommen auf den Stil, den Umgang miteinander. Hat der Klimawandel in der Politik Auswirkungen auf die Gesellschaft?

Auf jeden Fall sind wir Vorbilder für unsere Jugend. Wenn wir als Politikerinnen und Politiker nicht Verantwortung übernehmen, Respekt und Toleranz nicht vorleben, müssen wir uns nicht wundern, wenn Jugendliche uns den Spiegel hinhalten und Grenzen überschreiten.

Sie sind eine von sieben Kandidierenden für die zwei freien Sitze im Regierungsrat. Wie stehen Ihre Chancen?

Nach meinem sehr guten Resultat im ersten Wahlgang und der einseitigen Zusammensetzung des verkleinerten Kantonsrats braucht es jetzt eine grüne Stimme im Regierungsrat. Es ist entscheidend, dass alle Stimmen vertreten sind. Eine Chance gewählt zu werden habe ich dann, wenn alle diejenigen, die für sich entschieden haben, dass soziale Werte in der Regierung wichtig sind und Nein zum SVP-Stil sagen, an die Urne gehen und mich wählen.


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