22:08:2014
Dieser Text ist im Tages-Anzeiger von Dienstag, 19. August auf seite 23 erschienen.
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Bettina
Weber ist Gesellschaftsredaktorin des «Tages-Anzeigers» und schreibt
regelmässig ihre Kolumnen, unter anderem ihre Ratschläge zu Stilfragen, die von
Leserinnen an sie gerichtet sind. Jedes Mal trifft sie den Nagel auf den Kopf mit ihrer feministischen
Überzeugungskraft.
Mutig und mit spitzer Feder
Bettina Weber
Soll man sich als emanzipierte Frau die Beine rasieren? Diese Frage stellte Frau S. dem Tages-Anzeiger in der Rubrik Stilfrage.
Bettina Weber
Liebe Frau S.
Es
verblüfft mich kolossal, dass diese Frage immer mal wieder gestellt wird.
Meistens ist das im Frühling oder im Sommer der Fall, was ich kurios finde:
Haare wachsen ja auch in der kalten Jahreszeit.
Da haperts aber leider ein wenig, vor allem bei jungen Damen. Kürzlich unterhielt ich mich mit der Mutter einer Sechzehnjährigen, sie erzählte, unter den Freundinnen ihrer Tochter sei es das oberste Ziel, reich zu heiraten. Das geben die ganz offen zu und sehen auch nichts Schlimmes dabei, deren kollektives Vorbild ist Kim Kardashian. Das hat hat mich doch etwas frappiert, ja es erschütterte mich nachgerade so sehr, dass ich vorübergehend in eine sehr tiefe Depression versank.
Dann erinnerte ich mich an Kamla Bhasin, die indische Soziologin und Feministin, die diesbezüglich etwas vom Klügsten sagte, das ich je gehört habe: «Wie kommen eigentlich junge Frauen darauf, unter Berufung auf die Gleichberechtigung für sich in Anspruch zu nehmen, sie könnten wählen, ob sie arbeiten gehen oder daheim bleiben? Wenn sie sich schon auf die Gleichberechtigung berufen, müssten sie diese Wahlmöglichkeit auch ihren Männern zubilligen. Tun sie aber nicht. Sie gehen ganz automatisch davon aus, dass nur sie wählen dürfen, weil der Mann ohnehin arbeiten und das Geld verdienen geht.» Das, sagte Bhasin und schaute sehr amüsiert, sei das Gegenteil von emanzipiert.
Deshalb sollen von mir aus all die jungen Frauen Beine und Arme und Bikinizone und Achseln und was weiss ich rasieren. Aber sie sollen bitte im Kopf über die Fünfzigerjahre hinauskommen.