Veränderter Feminismus oder die Kunst, gleich und doch anders zu sein

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Heidi Witzig refereiert an der FrauenVernetzungsWerkstatt am 15. März an der Universität St.Gallen
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Wie kluge Frauen alt werden: Zehn Portraits von Zeitgenossinnen, befragt von Heidi Witzig.

Bücher: 
(Mitherausgeberin oder Autorin):
Frauengeschichte(n) , 4. Auflage 2001
Brave Frauen - aufmüpfige Weiber, 3. Auflage, 1995
Polenta und Paradeplatz, 2. Auflage 2001
Unruhige Verhältnisse, Zürich 2002
blütenweiss bis rabenschwarz, Zürich 2003
Wie kluge Frauen alt werden, Zürich 2007

Dr. phil. Heidi Witzig (1944) ist freischaffende Historikerin mit vielfältiger Kurs- und Vortragstätigkeit im Gebiet Frauen- und Geschlechtergeschichte und ihrer Bedeutung für heutige gesellschaftliche, kulturelle und politische Probleme. Sie erfüllt Lehraufträge an verschiedenen Universitäten. An der diesjährigen FrauenVernetzungsWerkstatt am 15. März wird sie referieren zum Thema: "Selbst stehen und selbst reden - vom Objekt für Männerphantasien zum selbst-bestimmten Subjekt". Die Mutter einer erwachsenen Tochter äussert sich hier über den veränderten Feminismus und ihr Engagement für Werte.

 

Brigitte Schorr

04:02:2008

 

Brigitte Schorr: Sie sind Historikerin. Fasziniert Sie die Vergangenheit?

Heidi Witzig: Die Frage: "Woher komme ich?" beschäftigt mich, über ein allgemeines geschichtliches Verständnis hinaus. Das Forschen über meine Traditionen als Frau hat auch mir persönlich sehr viel Erkenntnis über mein eigenes Leben erschlossen.

B.S.: Was können wir heute Ihrer Meinung nach aus der Vergangenheit lernen?

H.W.: Für mich ist das Erkennen der Vergangenheit  Vorbedingung, um die Fragen nach dem "Ist" und dem "Wohin" mit Gewinn angehen zu können.

B.S.: Wie kam es zu Ihrem Engagement für den Feminismus?

H.W.: Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als Mädchen und junge Frauen politisch wie gesellschaftlich diskriminiert und in die Ecke der abhängigen Weiblichkeit gedrängt wurden. Die Frauenbefreiungsbewegung FBB war für mich persönlich als Frau, und auch für mein politisches und wissenschaftliches Engagement eine Erleuchtung!

B.S.: Hat sich Ihre Einstellung zum Feminismus im Laufe Ihrer Beschäftigung mit dem Thema verändert? Und wenn ja, in welche Richtung und gab es einen Auslöser dafür?

H.W.: Die junge Frauengeneration erlebt den Feminismus nicht mehr als geschlossene Ideologie, sondern als ein Spiel mit Feminismen im Plural. Das machte mir lange Zeit Mühe, da ich die Einheit der feministischen Bewegung gefährdet glaubte und die leicht fundamentalistisch angehauchte Unbedingtheit der FBB lange Zeit genoss. Unterdessen bin ich froh über die neue Entwicklung - fundamentalistische Ausrichtungen haben wir heute zur Genüge.

B.S.: Sie sind Mutter einer erwachsenen Tochter. Wie hat sich Ihre feministische Einstellung auf die Erziehung ausgewirkt?

H.W.: Für mich war klar, dass ich die Rollen mit meinem Partner teilen wollte, und dass das Leben in einer Wohngemeinschaft ideal sei. Tatsächlich war dieses Modell auch für die anderen Mütter und Väter in unserer Wohngemeinschaft wichtig - auch die heute erwachsenen Kinder sind von dieser Wohnform immer noch überzeugt. Ich glaube auch, dass meine Tochter davon profitiert hat, dass sie mit mehreren Vorbildern bezüglich Weiblichkeit (und Männlichkeit) aufwuchs.

B.S.: Was würden Sie dem Feminismus für die Zukunft wünschen?

H.W.: Ich wünsche den jungen feministisch engagierten Frauen eine Generation bewusster Mütter, die ihnen den Rücken stärken.

B.S.: Wo finden Sie neben Ihrer Vortragstätigkeit Oasen, bei denen Sie auftanken können? Was gibt Ihnen Energie und Kraft?

H.W.: Meine Vorträge und Forschungen sowie das Bücherschreiben sind für mich nicht einfach Arbeit. Sie geben mir auch Energie. Und ganz zentral ist für mich der Austausch mit meinen FreundInnen - ich kann und mag mir ein Leben ohne Freundschaften nicht vorstellen.

B.S.: Welches Buch lesen Sie gerade?

H.W.: Ich habe kürzlich von Imre Kerztész: Dossier K. - Eine Ermittlung gelesen. Kertész versucht sich selbst zu verstehen und zu sehen als einer, der zuerst durch die Naziverfolgungen und später durch die sowjetische Diktatur zutiefst geprägt wurde. Seine Offenheit und, trotz aller Schonungslosigkeit, auch die respektvolle Haltung gegenüber sich selbst, hat mich sehr beeindruckt. Auch an Frauen gehen patriarchale Zumutungen nicht spurlos vorbei - sie prägen unsere Persönlichkeit mit.


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