Gestickte Wünsche, Lebensweisheiten, Handlungsmaximen und Sinnsprüche
waren in fast jedem Haushalt zu finden. In Küche und Stube, Schlafzimmer
und Wäschekammer gaben sieben BewohnerInnen sinnige, religiöse,
moralisch belehrende aber auch ironisch-subversive Weisheiten mit auf
den Weg. Ihre Blütezeit erlebten gestickte Spruchtücher zwischen 1870
und 1930. In den Küchen vieler Haushalte waren sie aber noch bis in die
1950er Jahre hinein zu finden. Nach den Weltausstellungen der
Gründerzeit vom Bürgertum in Mode gebracht, hielten sinnreich bestickte
Textilien bald auch in bäuerlichen, kleinbürgerlichen und proletarischen
Haushalten Einzug.
100 Spruchtücher
Für
die Ausstellung hat das Frauenmuseum Hittisau hunderte Spruchtücher
gesammelt – darunter auch von Migrantinnen mitgebrachte Tücher in
kroatischer, italienischer, tschechischer oder ungarischer Sprache. "Die aufwändige Handarbeit war ein Mittel zur Verinnerlichung unverrückbarer Rollenzuschreibungen, zur Festschreibung von Klischees und zur Verklärung des eigenen familiären und sozialen Umfelds. Diese Spuchtücher sind aufschlussreiche kultur - und frauenhistorische Dokumente. Sie erzählen von Rollenfestschreibungen, von menschlichen Beziehungen als Wunschbild, Realität oder Bürde“, so die Direktorin des Frauenmuseum Hittisau, Stefania Pitscheider Soraperra.
"Froh erfülle Deine Pflicht und ....."
"Wer
sich die Mühe macht, einen halben Quadratmeter Leinen mit Worten zu
besticken, muss etwas über sich und die Welt sagen wollen", meint Textilkünstlerin Beate Luger-Goyer. Beate
Luger-Goyer ist Textilkünstlerin und Professorin an der
Kunstuniversität Linz/textil.kunst.design. Sie hat zahlreiche Bühnen-
und Kunstprojekte umgesetzt. Sie war künstlerische Leiterin des
Textilsymposiums Textile Kultur Haslach und hat 2001 – gemeinsam mit
Rudolf Habringer und Walter Kohl – das Projekt „Tritt ein bring Glück
herein. Eine Spruchspur“ beim Festival der Regionen entwickelt. Für das
Frauenmuseum Hittisau hat sie die Fassadeninstallation „Froh erfülle
deine Pflicht und ...“ realisiert.
Zeitgenössische Positionen
Seit
den 1990er Jahren bedienen sich KünstlerInnen zunehmend der Stickerei
als Arbeitsweise und künstlerisches Medium. Die künstlerische Praxis des
Stickens war traditionell ein Ausdruck bürgerlicher Ordnung und
festgeschriebener Weiblichkeitsideale. In der zeitgenössischen Kunst
mutiert das Sticken zu einer provozierenden Praxis, die ebendiese Ideale
konterkariert und hinterfragt. Die
Ausstellung im Frauenmuseum wird durch Positionen zeitgenössischer
Künstlerinnen erweitert, die sich in ihrem Werk mit gestickten
Bild-Text-Kontexten auseinandersetzen. Carmen Pfanner zeigt
einen Bauplan zu ihrer installativen Arbeit „Corps Plastique“, in der
sie sich mit dem Diktat der Schönheitsindustrie auseinandersetzt. Die
Ungarin Zsófi Pittmann gestaltet Spruchtücher mit Popmotiven, die hölzernen Sitzbänke des Frauenmuseums werden von Christine Pavlic mit der Bohrmaschine bestickt, Flurina Badel sticht sich in ihrem Video in den Finger bis ihr gestickter Namenszug blutbefleckt ist, Christine Lederers Teppich sendet eine provokante Botschaft. Renate Hinterkörner bestickt
fünf karierte Trockentücher mit den „Pflichten“ einer Ehefrau: Kinder,
selbstlose Unterstützung des Gatten, Krankenpflege und
Geschlechtsverkehr. A.M. Jehles Arbeit verwandelt ein harmloses Spruchtuch in eine pointierte politische Aussage.