Weibliche Genitalbeschneidung (Teil1)

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Aufklärung ist vonnöten beim Thema der weiblichen Genitalbeschneidung.
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Isabelle Ihring bereiste unter anderem Kenia.

Die Autorin nahm bereits während ihres Studiums an Aufklärungsprojekten gegen weibliche Genitalbeschneidung in Afrika (Kenia und Senegal) teil. Diese gaben einen tiefen Einblick in das Leben auf dem Land und waren verbunden mit intensiven Gesprächen mit den Menschen: "Ich habe ich gelernt, dass der Kampf gegen diese Praktik nicht von einem auf den nächsten Tag abzuschaffen ist. Im Gegenteil: er ist mit viel Geduld und vor allem Respekt gegenüber den Betroffenen und deren Familien verbunden. Den Menschen respektvoll zu begegnen und einen Dialog zu suchen ohne sie zu verurteilen, ist der einzige Weg weibliche Genitalbeschneidung langfristig abzuschaffen.

Mittlerweile engagiere ich mich für FORWARD Germany e.V. und TERRE DES FEMMES e.V., halte Vorträge und bin stets darum bemüht, auf das Thema aufmerksam zu machen."

Die Beschneidung der weiblichen Genitalien ist bis zum heutigen Tag noch weit verbreitet. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leben ca. 150 Mio. Mädchen und Frauen weltweit, die von dieser uralten Tradition betroffen sind. Die Praktik hat sich überwiegend in afrikanischen Ländern durchgesetzt, insgesamt sind 28 afrikanische Länder betroffen, darunter auch klassische Urlaubsländer wie Kenia oder Ägypten. Doch was ist weibliche Genitalbeschneidung überhaupt?

 

Isabelle Ihring

12:01:2008

 

Die WHO hat die Praktik definiert und in mehrere unterschiedliche Typen unterteilt. Die Definition besagt, dass "unter genitale Verstümmelung alle Praktiken fallen, durch die die weiblichen Genitalien verletzt oder entfernt werden." Die ethnische Zugehörigkeit bestimmt, welche Form weiblicher Genitalbeschneidung praktiziert wird. Grundsätzlich jedoch wird die Klitorisperle entfernt, der empfindsamste Teil des weiblichen Körpers. Im schlimmsten Fall werden neben der Klitorisperle auch noch die inneren Labien und inneren Schichten der äußeren Labien entfernt. Diese Wunde wird daraufhin zugenäht, sodass nur noch eine kleine Öffnung zurück bleibt. Egal welche Form praktiziert wird, bedeutet weibliche Genitalverstümmelung immense Schmerzen für die Mädchen, da der Eingriff ohne Betäubungsmittel durchgeführt wird. Neben diesen unvorstellbaren Schmerzen treten noch viele weitere Konsequenzen auf, so wie beispielsweise starke Blutungen, die bis zum Tod führen können oder die Verletzung der umliegenden Organe (Harnleiter, After). Ein Großteil der betroffenen Frauen hat allerdings am meisten mit den angfristigen Folgen zu kämpfen. Das sind v. a. Infektionen, Inkontinenz, Entstehung von Zysten, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, erschwerte Geburten und als Folge daraus eine hohe Säuglingssterblichkeitsrate.

 

Festhalten an Traditionen

Um zu verstehen, weshalb sich die Praktik noch bis heute hält, ist ein Blick auf das Leben der Menschen nötig. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das kenianische Landleben, da mir mein Aufenthalt dort einen kleinen Einblick in dieses anstrengende, harte Leben und die damit verbundenen Traditionen und Vorstellungen gegeben hat.
Die Familien können meist von den Erträgen leben, die ihre Felder ihnen einbringen, überschüssige Erträge werden auf dem Markt verkauft. Das Leben innerhalb der Familien verläuft in der Regel noch nach sehr traditionellen Vorstellungen: an oberster Stelle steht die Heirat und die Gründung einer Familie (auch wenn oft die finanziellen Mittel knapp werden, um alle Kinder zu ernähren). Die Rechte und Pflichten, die jedes Familienmitglied hat, sind klar verteilt. Innerhalb dieser traditionellen Lebensstruktur spielt die Beschneidung der Mädchen eine wichtige Rolle. Mädchen soll dieser Eingriff zur Frau machen, denn nur eine beschnittene Frau kann als ehrbare, treue, gesunde und fürsorgliche Ehefrau in die Gemeinschaft integriert werden. In manchen Ethnien wird die Praktik im Pubertätsalter im Sinne eines Initiationsrituals durchgeführt. Andere wiederum lassen den Eingriff bereits im Kleinkindalter durchführen, weil sie denken, dass sich die Mädchen dann nicht mehr an die immensen Schmerzen der Praktik erinnern könnten.
Innerhalb dieses traditionellen Regelwerks ist es für einzelne Familien nicht einfach sich gegen eine Jahrtausend alte Tradition wie die der weiblichen Genitalbeschneidung zu stellen. Denn dies würde bedeuten, dass sie nicht länger Teil dieser Gemeinschaft wären. Und da der Überlebenskampf auf dem Land kaum ohne Gemeinschaft zu meistern ist, wäre es für einzelne Familien folgenschwer einen solchen Ausschluss zu riskieren. Für eine einzelne Mutter, die sich gegen den Willen ihrer Familie dazu entschließt, ihre Tochter nicht beschneiden zu lassen, ist dies demnach nicht nur ein Kampf gegen die eigene Familie, sondern auch gegen die gesamte Gemeinschaft.

 

Die soziokulturellen Hintergründe

Neben diesem familiären und gemeinschaftlichen Druck existiert auch eine Vielzahl unterschiedlicher Begründungen zur Rechtfertigung dieser Praktik. Diese Begründungen beruhen meist auf mythischen Vorstellungen und Aberglauben. Durch mangelnde Bildung halten sie sich in den Köpfen der Menschen und werden schon längst nicht mehr hinterfragt.
Familien, die auf dem Land leben, haben meist kein Geld, ihren Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Obwohl in vielen Ländern kein Schulgeld bezahlt werden muss, kosten dennoch Bücher, Hefte, Stifte usw. Geld - Geld, das die meisten Familien nicht für jedes ihrer Kinder aufbringen können. So wird pragmatisch entschieden, welches der Kinder eine Schulausbildung benötigt. Nach traditionellen Vorstellungen sind Söhne auf ihr Leben als Familienernährer vorzubereiten, eine Rolle, der mit einer besseren Schul- und Berufsausbildung erfolgreicher nachzukommen ist. Daher besuchen die meisten Jungen der Familien eine Schule und machen einen Schulabschluss, in der Hoffnung einen Beruf erlernen zu können, der sie von der harten und schwer kalkulierbaren Arbeit auf dem Feld unabhängig werden lässt. Auf der anderen Seite stehen die
Töchter, deren Rolle einmal sein wird, eine gute Haus- und Ehefrau zu sein. Um das zu lernen, brauchen Mädchen nicht zwingend eine langjährige Schulausbildung, denn dies können sie am besten von ihren Müttern lernen. Folglich steht die Mehrheit der Mädchen ohne Schulabschluss da und kann oftmals weder lesen noch schreiben. Die mangelnde Bildung trägt sehr stark dazu bei, dass Argumente zur Rechtfertigung von weiblicher Genitalbeschneidung hervor gebracht und geglaubt werden, die schlichtweg falsch sind. So wird beispielsweise behauptet, die Klitoris sei giftig und müsse aus diesem Grund entfernt werden oder beschnittene Frauen hätten es leichter Kinder zu gebären.

Hinzu kommt die Instrumentalisierung der Religionen. Sehr oft wird die Praktik mithilfe des Korans oder der Bibel gerechtfertigt. Angeblich würde die Beschneidung von Mädchen vom Propheten Mohammed oder vom Papst vorgeschrieben werden. Tatsache ist jedoch, dass die Praktik der weiblichen Genitalbeschneidung viel älter ist als alle drei Weltreligionen, somit weder in Koran noch Bibel steht.
Ferner spielt die Position der Männer eine entscheidende Rolle. Von Kindesbeinen an wird Jungen erzählt, dass nur beschnittene Frauen treue Ehefrauen sind, die gesunde Kinder zur Welt bringen. Folge dieser Sozialisation und Erziehung ist, dass erwachsene Männer nicht bereit sind, unbeschnittene Frauen zu ehelichen. Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass die Ethnien, die ihre Mädchen beschneiden auch meist ihre Jungen beschneiden. Die Männer verstehen deshalb nicht, weshalb die Beschneidung der Mädchen so viel schlechter sein soll als ihre eigene. Sie können es auch nicht wissen, da Geschlechtserziehung und die Anatomie der Genitalien nicht Teil des Unterrichts ist. Veranschaulicht man im Rahmen von Aufklärungsarbeit anhand von Modellen die Unterschiede zwischen der männlichen und weiblichen Beschneidung, sind die Männer meist sehr betroffen und erkennen, dass weibliche Genitalbeschneidung schlimme, weitreichende und andauernde Konsequenzen für ihre Ehefrauen und Töchter
hat. Es ist unbedingt wichtig männliche Jugendliche und junge Männer intensiv über die Konsequenzen weiblicher Genitalbeschneidung aufzuklären.
Werden sie im Kampf gegen die Praktik miteinbezogen, so ist es langfristig möglich sie davon zu überzeugen, dass gerade unbeschnittene Frauen gesunde Kinder zur Welt bringen und der Erhalt der Klitoris nicht zur Auswirkung hat, dass Frauen unrein oder untreu sind.


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