Bedingungsloses Grundeinkommen - Chance für gerechte Teilhabe?

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Ina Praetorius, Autorin und Theologin, Wattwil.
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Impression vom Lancierungsfest am 21. April 12, im Schiffbau in Zürich.

Die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen wurde am 21. April 2012 in Zürich lanciert. Idee ist, dass grundsätzlich jede Person die in der Schweiz lebt, einen Anspruch hat auf monatlich 2500 Franken. Dieses sozialpolitische Finanztransfermodell könnte ein Baustein für eine gerechte Teilhabe aller sein, stößt aber auch auf Vorbehalte und Ablehnung. ostschweizerinnen.ch mischen sich in die Debatte ein und haben mit Ina Praetorius, Autorin und Theologin, eine engagierte Motorin der Idee zum Thema befragt.

 

Eva Grundl

27:04:2012

 

Frau Praetorius, warum braucht es das bedingungslose Grundeinkommen und für wen?

Heute wird immer mehr Menschen deutlich, dass das Geld nicht mehr angemessen verteilt ist. Wenige Superreiche stehen weltweit einem Heer von Erwerbsarbeitslosen und un- oder schlecht bezahlten Care-ArbeiterInnen gegenüber. Die Mehrheit der monetär Armen weltweit sind nach wie vor Frauen und Kinder.

Und die Situation verschlimmert sich: Die Care-Arbeit wird wieder zurück in die Privathaushalte verlagert, durch Rationalisierungen gehen immer mehr bezahlte Arbeitsplätze verloren. Gleichzeitig retten die Staaten mit Milliardenbeträgen Grossbanken. Sogar studierte ÖkonomInnen verstehen nicht mehr wirklich, was da vor sich geht.


In dieser Situation müssen wir neu nachdenken. Klar ist: ohne Geld kann heute, zumindest in postindustriellen, hoch arbeitsteiligen Gesellschaften, niemand mehr leben. Geld ist also vom Tausch- zum Lebensmittel geworden. Und das ist in der Schweiz wie in anderen Sozialstaaten auch längst anerkannt: alle haben hier ein Recht wenn nicht auf ein eigenes Einkommen, so doch auf ein Auskommen im Sinne diverser staatlicher oder innerfamiliärer Transferleistungen.

 

Das bedingungslose Grundeinkommen beruht nun auch auf dieser grundlegenden Einsicht, dass Geld heute für alle lebensnotwendig ist. Allerdings bedeutet es neu, dass alle Menschen, auch Leute, die bisher unbezahlt gearbeitet haben, und auch Kinder ein eigenes Einkommen haben, ohne sich ständig erklären und rechtfertigen zu müssen.

Niemand soll sich mehr schuldig oder minderwertig fühlen, weil er oder sie keinen Erwerbsarbeitsplatz hat, „nur“ häusliche oder nachbarschaftliche Care-Arbeit leistet oder noch in Ausbildung ist. In der Zeit des ausgehenden Patriarchats ist das Grundeinkommen also eine wunderbare Möglichkeit, unsere Existenz und „das Ganze der Arbeit“, wie es die Ökonomin Adelheid Biesecker nennt, neu in den Blick zu bekommen.


Reicht das bisherige System der Milderung sozialer Härten nicht aus und weshalb?

Zur Milderung von sozialen Härten reicht das bisherige System knapp aus, aber nicht zu einem Leben in Würde und Teilhabe. Es ist zum Beispiel ein Unding, dass sogenannt „allein erziehende“ Mütter sich immer noch dafür entschuldigen müssen, dass sie keinen „Ernährer“ haben oder „nur“ Familienarbeit machen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein System zur Milderung sozialer Härten, sondern ein Paradigmenwechsel in der Bewertung von Lebens- und Arbeitsqualität.

 

Es geht aus von einer Vielfalt von Möglichkeiten, sich in der Welt sinnvoll zu betätigen: durch notwendige Fürsorgearbeit, freie kreative oder soziale Arbeit und selbstverständlich weiterhin durch die übliche Erwerbsarbeit. Und es geht davon aus, dass die überwiegende Mehrzahl der Menschen für sich und andere tätig sein wollen, wenn sie in ihrer Tätigkeit einen Sinn sehen.

Wir Vollzeit- oder Teilzeit- Hausfrauen sind ja das beste Beispiel dafür, dass Menschen auch ohne die angeblich notwendigen „finanziellen Anreize“ sinnvoll und kreativ tätig werden.


Zwar wird das bedingungslose Grundeinkommen nicht alle Probleme auf einmal lösen, aber es wird – gerade für Frauen – eine neuartige Verhandlungsposition schaffen, von der aus wir endlich frei entscheiden können, welche Art Arbeit wir notwendig und sinnvoll finden und deshalb tun wollen.


Ist das nicht alles reichlich illusionär?

Ich finde es illusionärer, so weiter zu machen wie bisher: mit immer gestressteren Leuten, die den weniger werdenden Erwerbsarbeitsplätzen hinterher rennen, statt darüber nachzudenken, welche Arbeit Sinn macht.


Wir wissen es alle: Burnout ist zur Volkskrankheit geworden. Warum? - Illusionär ist allenfalls die Vorstellung, dass Menschen, die sich an den im Grunde völlig unnötigen Stress von Arbeit und sogenannter „Work-Life-Balance“ gewöhnt haben, von heute auf morgen fähig sind, ihre ureigenen Fähigkeiten und gesellschaftliche Notwendigkeiten eigenständig zu erkennen.

 

Aber so schnell wird es ja auch nicht gehen mit dem Grundeinkommen. Das Wichtigste ist jetzt, dass wir über diese Idee, also zum Beispiel über die soeben lancierte Volksinitiative, eine breite öffentliche Debatte führen, in der die wirklich grundlegende Fragen gestellt werden: Was ist Arbeit? Was ist Wirtschaft? Wozu soll in Zukunft das Geld (wieder) dienen? Was will ich? Was kann ich? Was ist notwendig? Was macht Sinn? Solche Fragen endlich in der Öffentlichkeit zu debattieren, das ist eine Art politische Therapie für unsere extrem wohlhabende, aber manisch-depressive Gesellschaft.


Wie stellen Sie sich die konkrete Umsetzung durch die Politik vor?

Über die Umsetzung sprechen wir später. Sobald der politische Wille da ist, dass wir einander auch nach der patriarchalen Arbeitsteilung ein Leben in Würde und Teilhabe ermöglichen wollen, ist die Umsetzung kein Problem mehr.

Politik bedeutet ja nicht, sich angeblichen Sachzwängen zu beugen, sondern Welt wohnlich und würdig zu gestalten: für sieben Milliarden Würdeträgerinnen und Würdeträger. Es ist nämlich genug für alle da!


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