"Gott dazwischen" - eine Frau denkt Theologie weiter

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Ina Praetorius sorgt auch mit ihrer neusten Publikation für Aufsehen.
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"Gott dazwischen" - ein Buch für Menschen, die Lust haben, sich von der Fülle der biblisch-kirchlichen Tradition überraschen zu lassen

Ina Praetorius
Gott dazwischen.
Eine unfertige Theologie.
Grünewald Verlag 2008, 144 Seiten. 

ISBN:
978-3-7867-2734-7
€ 14,90 

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Website:
www.inapraetorius.ch

 
Tipp:
Am 28.2./1.3. 2009 findet im evangelischen Tagungs- und Studienzentrum Boldern (Männedorf) eine Tagung zum Thema „In einer suchenden Zeit. Gott im Wandel“ statt. Die Hauptreferate halten Ina Praetorius und Othmar Keel (em. Professor für Altes Testament und Altorientalistik in Fribourg).
www.boldern.ch.

Die reformierte Theologin Ina Praetorius erntet für ihre neuste Publikation begeisterte Kritiken. Mit Hannah Arendt als Patin schöpft die Autorin aktiv aus dem Schatz der biblisch-kirchlichen Tradition, um neue Blickwinkel und Sichtweisen zu entwickeln. ostschweizerinnen.ch hat Ina Praetorius über die Themen Theologie, Spiritualität und Mentalitäten befragt.

 

Eva Grundl

08:12:2008

 

Frau Prätorius, viele Menschen halten eisern und, so der Eindruck: oftmals wider besseren Wissens an der Vorstellung eines Gottes fest, der ein Mann ist. Wie ist dieses Phänomen zu erklären?

Mentalitäten ändern sich sehr langsam. Man hat sich an den Herrgott über Jahrhunderte gewöhnt. Viele Menschen scheinen auch Angst zu haben, dass ihnen das Göttliche ganz verloren geht, wenn sie es nicht mehr in der herkömmlichen Sprache benennen können.

Hinzu kommt, dass viele kritische Menschen die Kirchen, die am männlichen Gottesbild festhalten, schon längst verlassen haben und sich zum Beispiel in der Esoterik oder in östlichen Religionen eingerichtet haben, wo das Umfassende anders benannt wird: als „Energie“ oder „Geist“... Und natürlich gibt es auch Leute, etwa in den Kirchenleitungen, die gar nicht wollen, dass die Gleichsetzung von Männlichkeit mit Göttlichkeit sich auflöst. Denn für sie bedeutet das Machtverlust.

 

Es gibt trotzdem genügend Leute, die spüren, dass unsere Vorstellungen vom Sinn des Ganzen in Bewegung gekommen sind. Mit solchen Leuten – es sind Frauen und Männer – arbeite ich zusammen, und sie sind es auch, die sich über meine Theologie freuen.

Patin Ihres neusten Buches "Gott dazwischen" ist die Philosophin und Schriftstellerin Hannah Arendt, der auch ein ganzes Kapitel gewidmet ist. Was fasziniert, was bewegt Sie an und bei der Auseinandersetzung mit Arendt?

Hannah Arendt hat, besonders in ihrem Hauptwerk „Vita activa“ (1958), eine eigenwillige Vorstellung davon entwickelt, wer wir als Menschen eigentlich sind. Anders als ihr Lehrer Martin Heidegger, der Menschsein als „Sein zum Tode“ deutet, denkt sie vom Anfang her: von der Geburt.

Dadurch kommen ganz andere Aspekte unseres Daseins in den Blick als in den gängigen Menschenbildern: die Einzigartigkeit jedes und jeder Einzelnen, unsere Lebendigkeit, die Fähigkeit, Neues zu beginnen, Pluralität, das Leben als Überraschung, und vor allem: Bezogenheit.

Das patriarchale Denken hat sich ja über Jahrhunderte bemüht, „den Menschen“ – sprich: den Mann - als „unabhängig“ zu denken, als „Self made man“. Diese Orientierung löst Arendt auf, ohne damit allerdings die Idee aufzugeben, dass wir frei sind. Freiheit ist für sie nicht mehr das Gegenteil von Abhängigkeit, sondern wir sind „frei in Bezogenheit“.

 

Dieses Denken ist eine gute, realistische Basis, um die Welt neu als ein lebendiges Bezugsgewebe zu verstehen. - Interessant für mich ist auch, dass Hannah Arendt zwar nicht gläubig ist, aber doch in jüdischer, also biblischer Tradition denkt. Ihre Texte haben mir einen ganz neuen (aber eigentlich uralten) Zugang zur Bibel eröffnet.

Und: Arendt hat nicht den Anspruch, perfekt zu sein. Ihr Denken ist unabgeschlossen und lässt sich weiter entwickeln. So hat sie zum Beispiel unsere Geburtlichkeit neu ins Spiel gebracht, nicht aber die Frage gestellt, von wem wir geboren wurden, was also unsere Mütter für uns bedeuten. Hier können wir heute anknüpfen und weiter entwickeln.


Welche Art von Theologie und welche Formen der Spiritualität brauchen die Menschen im dritten Jahrtausend?

 

Unsere biblische und kirchliche Tradition ist ein reicher Schatz, den wir heben können - und sollten. In meinem Buch nenne ich diese Tradition einen „fruchtbaren Kompost“, der der kundigen Bearbeitung bedarf. Kompost wird ja auch stumpf und unfruchtbar, wenn man ihn einfach liegen lässt. Wir können die Traditionen aktiv entwickeln.

 

Es gibt da so viel Tragendes und Spannendes: die Zehn Gebote, das ökologische Staunen in den Schöpfungspsalmen, die kultkritische Prophetie, die Gleichnisse, die „Freiheit in Christus“, dann die geistlichen Formen der Lebensgestaltung: Schweigen, Gebet, Pilgern, Singen, gemeinsame Mahlzeiten usw. Aber all das wird erst lebensfreundlich, wenn wir uns von der Vorstellung befreien, es sei ein festes, unveränderliches, von Männern besessenes Lehrgebäude, das man „glauben“ muss.

 

Wenn wir den Mut haben, das vermeintlich Feste in Bewegung zu setzen, dann fängt alles an, neu zu leuchten. Das fühlt sich an, wie wenn ich eine verdreckte und blind gewordene Fensterscheibe putze: die Stube wird wieder hell und der Blick nach draussen frei. Der Blick nach draussen: das ist, was wir „interreligiöses Gespräch“ nennen.

Wenn ich den Reichtum der eigenen Tradition spüre, dann werde ich auch neugierig und offen für andere. Solche verankerte Welt-Offenheit ist es, was wir brauchen.


Sie haben mit Ihrem Buch große Begeisterung der KritikerInnen gerade dafür erhalten, dass Ihre Theologie "unfertig" ist. Kann denn eine Theologie je abgeschlossen sein und würde das nicht das Ende jedweder Theologie sein?

 

Ja, Geschlossenheit ist das Ende der Theologie und des geistlichen Lebens. Womit wir wieder bei Hannah Arendt wären: Das Leben überrascht uns jeden Tag neu. Niemand kann wissen, was heute noch alles passieren wird. Vor allem im Ersten Testament heisst es immer wieder, Gott, also die Wahrheit, die Liebe, sei „lebendig“.

Lebendiges kann man nicht endgültig einsperren, es befreit sich immer wieder. Die Heilige Geistkraft weht zwischen unseren festgefügten Ideen und setzt mich immer wieder neu in Bewegung...


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