11:08:2014
IG Frau und Museum
Martha Beéry-Artho
Säntisstrasse 1
9034 Eggersriet
071 877 25 45
m.beery@sunrise.ch
www.wyborada.ch
frauenarchivostschweiz.ch
www.frauenmuseum.at
Ueber die Möglichkeit, ein Frauenmuseum in Indien zu eröffnen und wie eine junge Inderin dabei vorgeht – ein Besuch in St. Gallen und im Bregenzerwald gehörte dazu. Frauen aus Indien sind unterwegs bei uns, um zu erfahren, wie wir Frauen- und Geschlechtergeschichte, Frauen- und Geschlechterfragen aufarbeiten, sichtbar und vermittelbar machen - dies um auch in Indien einen Prozess in Gang zu setzen, der Frauen mehr Achtung entgegenbringt. Denn darum geht es in Indien jetzt ganz besonders, aber nicht nur dort.
Martha Beéry-Artho
Viele Frauen in
Indien finden Einschränkungen total normal
Unter diesem Titel erschien im Tagesanzeiger am 18. Juli 2014 ein
Interview mit Saumya Saxena. Diese
Inderin, eine Historikerin, die sich für Frauen und ihre Rechte einsetzt,
beschreibt darin die Gewalt gegen Frauen in Indien und wie darauf reagiert
werden kann. Als wichtige Massnahme und als langfristiges Ziel nennt sie eine
Gender-Sensibilisierung, die schon im Grundschulunterricht beginnen
sollte. Dies neben der Gesetzgebung,
vertiefter universitärer Forschung, mehr Frauen in der Polizei und vor allem
auch der Sensibilisierung der Männer in allen entsprechenden Diensten.
Dieser Artikel interessierte mich, denn ich stand mitten in den Vorbereitungen zur Ankunft von Ishani Butalia aus New Dehli. Ishani, eine junge Frau, die im ersten feministischen Verlag in Indien arbeitet, wollte von uns Vorstandsfrauen der Interessengemeinschaft Frau und Museum erfahren, wie wir unser Projekt planen, welche Prioritäten wir setzen, welche Erfahrungen wir machen. Unser Projekt umfasst Gendersensibilisierung - und dies mit der Entwicklung des „weiblichen Blicks“ auf die Darstellung der Frauen in Museen, Ausstellungen und der Öffentlichkeit. Ishani Butalia möchte, zusammen mit anderen Frauennetzwerken in Indien, ein Frauenmuseum gründen. Deshalb reist sie nun an verschiedene Orte in Europa, um sich ein Bild davon machen zu können, wie die Museen aufgestellt sind, wie die Initiativen und Projekte arbeiten und wirken.
Montagmorgen: DehliFly
LX 147 gelandet
Das konnte ich in meinem Computer unter Ankunftsanzeige des Flughafens
Zürich lesen. Also konnte ich auf den
versprochenen Anruf warten, denn ich wollte sie am Bahnhof in St. Gallen
abholen und musste dies mit meinem „Postauto“-Fahrplan koordinieren. Diese
selbständige, allein reisende, junge Inderin kam an, bewegte sich hier wie
„eingeboren“ und überraschte durch ihre Kompetenz und Selbständigkeit. Die
junge Frau, die eine lange Flugreise durch die Nacht hinter sich hatte, war
nach einem kleinen Frühstück und dem Abgeben der Koffer im Hotel den ganzen Tag
bereit, aufzunehmen, was es alles zu berichten und informieren gab.
Die Vorgeschichte zum
Projekt IG Frau und Museum
Sie begann 2004 vor dem Frauenmuseum in Hittisau, als mir bewusst wurde,
dass ein solches Projekt in der Schweiz auch sinnvoll wäre. Eine Anfrage bei den St.
Galler Behörden ergab nicht das gewünschte Echo. So begann ich zu
recherchieren. Der Besuch mehrerer Ausstellungen aus Frauensicht, von
Frauenmuseen, zweier Frauenmuseumskongressen und die Mitwirkung an einer ersten Ausstellung über
Frauenmuseen weltweit bildeten meinen Erfahrungshintergrund und mein
Informationsangebot. Besonders
fasziniert war Ishani vom
Ausstellungkatalog mit 27 Frauenmuseen und Projekten. Heute sollen es ca. 40
sein. Die Zusammenstellung von Sabine
August und mir aus dem Katalog der Ausstellung Frauenmuseen weltweit 2010 wird
Ishani für ihre Recherche sehr gut gebrauchen können. In diesem Papier sind
alle Frauenmuseen, die 2010 mitgemacht haben, aufgelistet, dies mit dem
Gründungsdatum, den Namen der Gründerinnen, der Grösse der Museen, der Anzahl der Mitarbeiterinnen, den Angeboten und den
Fianzierungsformen. Besonders interessant ist es zurzeit zu wissen, dass es auch
in der Ukraine ein Frauenmuseumsprojekt gibt; es erfüllt aber auch mit Sorge um
die dortige Initiantin. Wenn es möglich
ist, wird Ishani eine Übersetzung in
Englisch in Auftrag geben können, denn
sie erhält für ihr Rechercheprojekt Gelder aus einem internationalen Fonds.
Eine
Vernetzungsgeschichte oder Synergien erkennen und entwickeln
Der Dienstag war dem Stand des Projektes IG Frau und Museum gewidmet. In
den vergangenen Monaten ist ein Grundlagenpapier entwickelt worden, das an der
nächsten Hauptversammlung verabschiedet werden soll.
Ein Programm mit Veranstaltungen zur Entwicklung des weiblichen Blicks
oder eben der Gendersensibilisierung läuft. Als Kernpunkte
gelten: forschen-interpretieren-sammeln-bewahren-dokumentieren-ausstellen-auseinandersetzen.
Indische Klänge in
der Frauenbibliothek Wyborada St. Gallen
Ganz im Sinne des Grundlagenpapiers, in dem die Zusammenarbeit mit den
bestehenden Projekten einen wichtigen Bestandteil bildet, besuchten 3
Vorstandsfrauen der IG Frau und Museum, Heidi Witzig, Barbla Jäger und ich die
Frauenbibliothek- und Phonothek Wyborada und das Archiv für Frauen-,
Geschlechter- und Sozialgeschichte in St. Gallen. Elke Baliarda und Caecilia van
de Laak waren die Gastgeberinnen beim Besuch der Frauenbibliothek. Der
Austausch mit der „Verlegerin aus Indien“ war wohl für beide Teile sehr spannend, ein berührender Augen-
bzw.“ Ohrenblick“ war, als Caecilia Indische Musik auflegte.
……und Einblicke in die Sammlung der Dokumente zu
Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte der Ostschweiz
Am Nachmittag führte Alexa Lindner Margadant durch das Archiv für Frauen-,
Geschlechter- und Sozialgeschichte. Dessen Entstehen aus der Arbeit der
Wyborada Bibliothek heraus, dessen Arbeit und Entwicklung, die gelagerten
Dokumentationen und die Arbeit bildeten einen ebenso interessanten Einblick in
die Arbeit des Dokumentierens ostschweizerischer Frauen-, Geschlechter- und
Sozialgeschichte wie auch auf die von
Alexa Lindner vorgestellten St. Galler und Schweizer Frauen und ihre
Leistungen.
Es war klar, dass darauf ein (gut beschirmter) Spaziergang erfolgte, rund um
den Frauenpavillon, an der St. Mangenkirche ( Wyborada lebte da als Inklusin)
vorbei zur Kathedrale. Um Gallus herum
führt kein Weg in St. Gallen, auch wenn er damals die wie Weiber kreischenden
bocksfüssigen Geister vertrieben hat (vielleicht sind es eben doch Weiber
gewesen). Noch vieles wäre zu zeigen gewesen, so auch das ehemalige
Frauenkloster St. Katharinen, das Haus,
in dem Anna Schlatter-Bernet gelebt hat, den Ort wo Meta von Salis im Gefängnis
gesessen haben soll. Doch wir hatten uns auf die bestehenden Frauenorte zu
beschränken, Orte, in denen Geschichte
geschrieben, aufbewahrt, gelesen und dokumentiert wird, oder mit anderen
Worten: Orte in denen Frauenbeiträge zur Geschlechtersensibilisierung geleistet
wurden und werden.
Der Mittwoch mit der
gestickten Moral
So nahe an einem echten Frauenmuseum (Hittisau) gelegen, war es klar, dass
ich Ishani Butalia auch ins Frauenmuseum Hittisau führte. Wir kamen kurz nach
der First Lady von Österreich, Margrit Fischer, an. Diese stattet jedes Jahr
dem einzigen realen Frauenmuseum in Österreich, aber auch dem einzigen in der
Welt auf dem Land gelegenen, einen Besuch ab. Stefania Pitscheider, die
Leiterin, und Helga Rädler, eine der Mitarbeiterinnen, stellten uns kompetent
die Gegebenheiten des Projektes vor und
führten uns durch die Ausstellung: „Gestickte Moral, Spruchtücher
zwischen Tradition, Rollenzuschreibung und Illusion“. Umschwirrt von einer
Kindergruppe, zwischen gestickter Moral
und sitzend auf einer Bank mit dem gestickten Text: „be a nicegirl,
sitstraight, keepyourhandstoyourselfandalwayssaypleaseandthankyou“oder auf
Deutsch: „Sei ein nettes Mädchen, sitz gerade, behalte die Hände bei dir und
sage immer „Bitte“ und „Danke“, wurde informiert und diskutiert. Die Bank hatte
es in sich. Ishani kannte den Spruch aus ihrer Kindheit in Indien und setzte
sich entzückt hin, denn durch das Sticken mittels Bohrmaschine in das harte
Holz entlarvt die Künstlerin Christine Pavlic die Starre vieler Aussagen und
führt diese ad absurdum.
Ishani hat sich wieder auf den Weg gemacht nach Amsterdam
ins Museum „Femart“ und zum Geschlechterforschungszentrum, ins „Frauenmuseum Aarhus“ nach Dänemark und
ins „Kvinnemuseum“ in Finnland. Eine ihrer Kolleginnen reist nach Deutschland
und besucht die Frauenmuseen in Bonn und Wiesbaden sowie das Haus der Frauengeschichte
in Bonn.
Frauen aus Indien sind unterwegs bei uns, um zu erfahren, wie wir Frauen- und Geschlechtergeschichte, Frauen- und Geschlechterfragen aufarbeiten, sichtbar und vermittelbar machen - dies um auch in Indien einen Prozess in Gang zu setzen, der Frauen mehr Achtung entgegenbringt. Denn darum geht es in Indien jetzt ganz besonders, aber nicht nur dort.