Auch Königskerzen scherzen

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Ruth Heller, Sina Semadeni und Karin Streule im Gespräch.
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Der neue Gedichtband im Appenzeller Verlag.

Sina Semadeni/ Ruth Heller:
«Auch Königskerzen scherzen»,
40 S.,
Appenzeller Verlag,
Herisau 2011, Fr. 24.–,
ISBN: 978-3-85882-581-0.

 

Die Turmstube auf Schloss Grünenstein war bis auf den letzten Nothocker besetzt, als Sina Semadeni ihren neuen Gedichtband vorstellte, illustriert von Ruth Heller und spontan intoniert von Karin Streule.

 

Jolanda Spirig

27:10:2011

 

BALGACH. „Im neuen Gedichtband „Auch Königskerzen scherzen“ ist sehr viel Weisheit sehr fein verpackt“, stellte Schlossverwalterin Luzia Bänziger das aktuelle Buch vor. Man habe es schnell gelesen und doch enthielten die wenigen Seiten sehr viel Saatgut für fein besaitete Menschen.

Einige ausgesuchte Samen hat sie denn auch den drei Frauen überreicht: Kürbiskerne für die Balgacher Autorin Sina Semadeni, die, im Garten ausgesetzt, unaufhörlich und unkontrollierbar Blätter und Blüten treiben. Haselnüsse für die Auer Künstlerin Ruth Heller, die zuerst einige Nüsse zu knacken hatte, bis ihr eigenwilliger Strich den selbst gesteckten botanischen Zielvorstellungen genügte.

Und schliesslich klitzekleine Alfalfa Samen für die Appenzeller Musikerin Karin Streule , die traditionelle Musik mit einem feinen Gespür auf ganz neue Art interpretiert. Sie liess sich auf Semadenis Pflanzenwelt ein, nahm neben Kalimba, Sansula und indischer Maultrommel auch pflanzliche Instrumente zur Hand und verbreitete mit heller Alpsteinstimme ihre ganz eigene Interpretation der einheimischen Blütenpflanzen.

 

Der Grössenwahn der Königskerze

 

Sina Semadeni las mit Dramatik vom Grössenwahn der Königskerze, von der Flockenblume, die in Fitnesszeiten als Flocken im Birchermüesli endet, vom Froschlöffel und vom Türkenbund, der einst aus dem Turban eines geköpften Sultans herausgewachsen sein soll. Die Musikerin schuf derweil mit ihrer breit gefächerten Stimme einen ausgewachsenen orientalischen Bazar, der immer lauter und bunter ertönte, je mehr Wiederholungen ihr Loop Gerät von sich gab. Zarter und geradezu märchenhaft klang es bei der Federnelke und bei der Schlüsselblume, die Semadeni ganz profan mit der ständigen Suche nach dem stets verlegten Schlüssel verknüpft hatte.

Während Karin Streules Musikeinlage wähnte man sich dagegen als Insekt am Bachbord, wo die Schlüsselblume heimisch ist. Es unkte im Gras, das Bächlein blubberte vor sich hin, Fabelwesen rauschten durch die zarten Halme.

 

Von einer Amsel gefressen

 

Der Kontrast der beiden Frauen hätte nicht grösser sein können. Während die erfahrene Schriftstellerin das begeisterte Publikum mit witziger Bestimmtheit immer wieder neu auf den Boden der Realität knallen liess, entführte die junge Musikerin dasselbe in die heilen Welten des Traums.

Nach dem Apéro im Turmzimmer waren es dann alte Kinderlieder, die die Appenzellerin elfengleich mit Gitarrenbegleitung intonierte. Sina Semadeni entzauberte auch diese Träume mit unpublizierten Texten. Dem Lied „Summ, Summ, Summ, Bienchen summ herum“ setzte sie flugs den mit Streptomycin belasteten Bienenhonig entgegen. Auch „Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg“ liess sie nicht durchgehen: „Der Maikäfer fliegt nicht“, warf sie entschieden ein. „Erstens ist der Vater nicht im Krieg und zweitens wurde er soeben von einer Amsel gefressen.“

Hier sind sie wieder, die ungewohnten Verknüpfungen und der trockene Humor, die ihre Texte so lesenswert machen.

 

Signierstunde bei Moflar

 

Zurück zum Gedichtband, der selbst die Paradeblume nicht verschont: „Bei der Rose geht die Pose in die Hose“, heisst es gleich zu Beginn des Gedichts. Die Blume endet, wie könnte es bei Sina Semadeni anders sein, „empört, unerhört, ganz zerstört, voller Rost, ohne Trost auf dem Kompost“.

Während die Autorin die botanischen Fakten ad absurdum führt und das Blumendasein mit dem Leben der Menschen verknüpft, setzt Ruth Heller die Texte mit ihren charakteristischen Figuren enthusiastisch um.


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